Von den Mühen, Geschichte zu gestalten

Der Zukunftsforscher Robert Jungk über kleine Hoffnungen, die Vergeblichkeit gewaltsamer Revolution und die ökologische Akupunktur der Industriegesellschaft / „Wir brauchen einen langen Atem“  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Herr Jungk, auf der einen Seite predigen Sie seit Jahrzehnten Hoffnung – die Wahrnehmung der kleinen Zeichen –, auf der anderen Seite beobachten Sie aber, daß die positiven Veränderungen der Gesellschaft eher aus der Angst entstehen, daß es sonst mit unserer Welt zu Ende geht.

Robert Jungk: Ja. Die Angst ist zuerst da, die Angst ist objektiv begründet, sie war noch nie so begründet wie heute. Gefährliche Entwicklungen scheinen unaufhaltbar. Die zentrale Frage ist aber, ob man von dieser Angst gelähmt wird oder ob man von ihr angetrieben wird. Es gibt eben die Hoffnung aus dieser Angst, das etwas getan wird, daß Zeichen gesetzt werden und anders gehandelt wird. Viele Menschen allerdings lassen sich von der Angst in die Isolation treiben, lassen sich die Flügel brechen. Wir haben das in der Emigration erlebt, den meisten eigentlich sind die Flügel gebrochen worden. Es war nur eine Minderheit, die die Emigration als Lebensschule genutzt hat.

Aber wie soll aus den kleinen Zeichen, den wenigen, die sich nicht die Flügel brechen lassen, die große Veränderung entstehen?

Ich glaube nicht, daß die aus der Summe kommt. Die kleinen Zeichen geben einfach Beispiel, daß es auch anders geht. Wenn ich zeige, daß man mit Rücksicht auf die sonst eintretenden ökologischen Schäden anders wirtschaften kann, ist das so ein Beispiel. Ich glaube, daß die kleineren Versuche, die gemacht werden, nur dann wirken, wenn sie nicht für sich selbst im Schrebergarten bleiben, sondern nach außen gehen.

Wenn man den größeren Maßstab nimmt, dann ist das so etwas wie eine Utopie, die Sie vertreten?

Das ist doch keine Utopie, eine Utopie ist etwas, das im Nichts angesiedelt ist, wofür es keine Anzeichen gibt. Wenn ich aber zeigen kann – beispielsweise durch eine Langzeitbilanz der externen Kosten wirtschaftlichen Handelns – daß anderes Handeln in die Zukunft weist, daß es so, wie die Unternehmen heute arbeiten, nicht weiter geht, ist das ganz real. Die Firmen könnten die schlimmen Langzeitfolgen des eigenen Handelns mit den modernen Mitteln viel früher erkennen. Die Frage ist nur, sehen vor allem die großen Unternehmen das ein? Schon heute gibt es in der kapitalistischen Wirtschaft deutlich zwei Strömungen: die, die so weiter machen, wie bisher, und die, die erkannt haben, so geht es nicht weiter und nach Auswegen suchen. Für die Letzteren haben die Alternativen, die für sie die Experimente machen, eine ungeheure Beweiskraft. In Berlin zum Beispiel arbeitet der Bewag-Stromkonzern jetzt mit seinen Kritikern an einem Berliner Energieplan – das hat er früher nicht gemacht.

Wie bekommt man aber diese Versuche mit der Verwertungslogik des Kapitals, die dem doch ab einem gewissen Punkt entgegensteht, unter einen Hut?

Natürlich gibt es da Grenzen. Die Firmen können sich innerhalb der Weltmarktkonkurrenz nicht einfach anders verhalten, sie müssen auch rationalisieren, mehr oder weniger rücksichtslos ausbeuten. Aber letztlich handelt es sich dabei nicht um eine Verwertungslogik, das ist eine Verwertungsunlogik, sie verwertet ja nicht richtig. Da wird ja nur nach der Logik der Gewinnmaximierung gehandelt.

Heißt das, das dahinter stehende System des Weltmarktes muß fallen?

Nicht fallen, es müßte sich auflösen, weil es der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Es müßte einfach anderen Verhaltensweisen weichen. Fallen ist mir zu dramatisch, denn niemand stimmt seinem Fall gerne zu. Man ist aber unter Umständen durchaus bereit, sich auf andere Wege leiten zu lassen. Schumacher* hat gesagt: Es geht auch anders. Dieses „Es geht auch anders“ können die kleineren Projekte den Großen beweisen. Ob sie's dann machen, ist eine Generationenfrage und eine Machtfrage. Es kommen Streiks dazu, ein permanenter Druck zur Veränderung und manchmal auch Katastrophen.

Ist die Prägung unterschiedlicher Generationen tatsächlich so stark, daß Menschen, die eine bestimmte Prägung haben, gar nicht mehr umlernen können? Ich denke da an Siemens-Manager, die seit 30 Jahren Atomkraftwerke bauen oder an Wissenschaftler wie den Brüterpapst Häfele.

Das kann man nicht verallgemeinern. Es gibt manche, die lernfähig sind, aber das ist sicherlich die Minderheit. Die meisten reden sich raus und sagen, ich kann ja nicht aussteigen. Es gibt da eine erstaunliche Parallele zu Erfahrungen, die ich in den totalitären Ländern gemacht habe. In Rumänien habe ich mit vielen führenden Parteifunktionären gesprochen, die gesagt haben, wir wissen, das läuft alles schief, aber wir können nicht anders. Mit dem einen Kopf haben sie die Misere erkannt und mit dem anderen Kopf haben sie anders gehandelt. In der Wirtschaft ist es ähnlich wie in totalitären Herrschaftsystemen: Es gibt nur wenige Möglichkeiten, das, was man wirklich denkt, umzusetzen, auch wenn es im Gegensatz zu den totalitären Staaten schon möglich ist, diese Dinge auszusprechen. Manchmal soll die Kritik sogar ausgesprochen werden, um die Kritiker anschließend zu vereinnahmen. Bei den Gewerkschaften ist der Wirtschaft das zum Beispiel gelungen. Die sind von der Gegenmacht im Industriesystem zum Anhängsel des Industriesystems geworden. Das kann ökologischen Reformern durchaus auch passieren.

Abgesehen von der Systemfrage: Gibt es eine Veranlagung des Menschen, immer alles umzusetzen, was er kann? Gerade in der Wissenschaft glaubt man diesen menschlichen Zug zu beobachten.

Bei der Atomtechnik, zumindest der zivilen, haben viele Wissenschaftler mitgespielt. Bei der Gentechnik ist es schon etwas anderes. Ein Teil der Genforscher weist immer wieder auf die Gefahren hin. Das Bewußtsein, daß hier etwas Gefährliches passiert, ist bei den Genforschern ausgeprägter als es bei den Atomforschern war. Wir kommen aber so nicht von der Systemfrage weg. Die Frage ist auch hier wieder: Wie weit können sich die Bedenklichen durchsetzen? Wenn man von vorneherein sagt, das ist alles Scheiße, hat man schon aufgegeben und verzichtet, Geschichte zu gestalten. Geschichte besteht darin, daß sich Systeme als brüchig erweisen und Menschen erkennen, daß sie brüchig sind. Die französische Revolution hat auch mit Überläufern begonnen. Mirabeau war ein solcher Überläufer. Auch vor der russischen Revolution wurde auf den Datschen der herrschenden Klasse ständig diskutiert, daß dieses System nicht mehr haltbar sei. Der Selbstzweifel der Herrschenden bereitet den Boden für die Revolution vor. Und der ist heute wieder ganz deutlich spürbar, sie haben nur noch nicht den Mut, Experimente zu machen.

Das hat schon fast wieder was Theologisches. Wenn Theologen davon sprechen, daß man Gutes tun soll ohne die Gewißheit, daß sich das zu Lebzeiten positiv auswirkt, sprechen sie vom eschatologischen Vorbehalt. Marxisten setzen an dieser Stelle auf die historisch determinierte Entwicklung der Gesellschaft. Hat Ihr Begriff Hoffnung so etwas von einer Großtheorie?

Für mich ist Hoffnung etwas, was das menschliche Wesen konstituiert wie der Zweifel auch. Das ist für mich überhaupt keine neuen Kategorie. Ich will aber gegen die unberechtigte Hoffnung arbeiten, gegen die reine Hoffnung, die sagt, es wird schon alles gut werden. Man muß nach Anzeichen für eine begründete Hoffnung suchen. Und das tue ich. Das ist der Grund, warum ich eine Datenbank der Hoffnung begonnen habe und einen Katalog der Hoffnung veröffentliche. Denn die Hoffnung, die nicht auf Anzeichen hinweisen kann, die wird zur Flucht.

Wie kann man diese begründete Hoffnung vermitteln?

Ich meine eben durch bessere Information. Die Medien sind geprägt von der Einstellung: Good news are no news. Schon 1948 als UNO-Korrespondent habe ich ein sogenanntes Good-News-Bulletin herausgegeben. Was in den spezialisierten UNO-Agenturen an Berichtenswertem passierte, wollten meine Redakteure schon damals nicht drucken. Ein Redakteuer sagte mal, mich interessiert nur, wenn's knallt. Das ergibt aber ein unvollständiges Bild der Welt. Zum vollständigen Bild gehören die leisen, auch die kurzlebigen Zeichen der Hoffnung dazu. Skeptiker sagen zwar, eben die Kurzlebigkeit zeige, daß die Hoffnung trügt. Wer aus der Kurzlebigkeit mancher Zeichen aber diesen Schluß zieht, dem sage ich: Das ist geschichtlich nicht wahr. Auch von solchen Projekten bleibt immer ein Spurenelement in der Geschichte zurück, eine Veränderung. Ich bin aber gegen Paradiesvorstellungen, wer beim Handeln auf's kommende Paradies setzt, wird enttäuscht und wird häufig anschließend ganz pragmatisch. Die Wirklichkeit ist ein Prozeß von trial und error. Hoffnung gibt mir selbst die Wirtschaft: Allein wenn sie überprüfen, wie ökologisch die Wirtschaft sich heute geben muß. Das sind Dinge, die vor 15 Jahren nicht denkbar gewesen wären. Darauf rechne ich, auf die langsame Einwirkung.

Das war aber nicht immer so?

Nein, ich bin genau wie viele andere meiner Generation. Wir haben nur an die Möglichkeit gewaltsamer Revolution geglaubt. Wir dachten, nur die Revolution kann die neue Welt schaffen. Dann haben wir gesehen, die Revolution kann nicht gelingen, weil die andere Seite sich sehr schwer bewaffnet hat. Die besten Leute würden kaputtgemacht. Aufstände wären zwar heroisch, aber nicht zielführend. Wenn man's mit Gewalt nicht schafft, kann man entweder aufgeben oder sich andere Wege überlegen. Ich hab einen anderen Weg überlegt: Der braucht langen Atem, er bringt auch keine 100prozentigen Resultate. Aber der Marsch durch die Institutionen sollte nicht madig gemacht werden. Staatsanwälte sind heute nicht mehr so preußisch wie vor dreißig Jahren. Ihre Zeitung zum Beispiel und die Grünen sorgen heute für ein anderes Meinungsklima im Lande. Ich vergleiche das immer mit Akupunktur, die kleinen Stiche der kleinen Projekte verändern die Wirklichkeit.

* Ernst F. Schumacher, Autor des Buchs „Small is Beautiful“