Drei Tage lang wurde nur geweint

■ Hanna Krall, Preisträgerin des Bremerhavener Jeanette-Schocken-Preises, über ihre schriftstellerische Arbeit

Für ihre „unaufdringliche Erinnerungsarbeit“ hat die jüdisch-polnische Schriftstellerin Hanna Krall am Montag den Bremerhavener Jeanette -Schocken-Preis für Literatur übergeben bekommen. Sie schreibe keine „schöne, sondern eine provozierende, erschreckende Literatur“, sagte der Bremer Germanist Emmerich, Mitglied der Jury, „antipathetisch, antiheroisch“. Die Helden ihrer literarischen Reportagen, die über phantastisch-unwahrscheinliche Wege die Vernichtung durch die Nazis überlebt haben, bezeichnet sie als „Mitautoren meiner Bücher“. In einer für sie ungewöhnlich offenen Weise stellte sich Hanna Krall nach der Lesung aus ihrem neuen Buch „Tanz auf fremder Hochzeit“ den Fragen des Publikums.

„Meine Arbeit besteht aus zwei Teilen. Das eine ist, die Erinnerung zu wecken. Die Menschen sollen sich möglichst an alles erinnern. Ich bitte sie, so ausführlich wie möglich zu erzählen. Im zweiten Schritt verdichte alle diese Geschichten, wie eine französische Soße.

Ich schreibe Reportagen. Das sind keine Erzählungen im üblichen sinn, es handelt sich in keinem Fall um Fiktion. Ich führe meine Leser nicht in die Irre. Die Verdichtung ist keine Verfälschung. Meine Aufgabe ist die des Drehbuchschreibers. Ich muß die narrativen Stränge wieder entwirren. Ich habe seltsame Erfahrungen mit meinen Helden gemacht. Sie sind. wenn sie meine Texte lesen, überzeugt, genauso gesprochen zu haben.

Das Erinnern hat zwei Seiten, die eine schmerzt, die andere ist heilsam. Ich rede nur mit Menschen, die sich auch erinnern wollen, bei denen ich mir sicher bin, daß sie keinen Schaden daran leiden. Ich muß mich immer fragen, wie nah ich einem Menschen kommen darf und wieviel ich aus seinem Gedächtnis herausspulen darf.

Für die Erzählung „Bitte ganz kurz“ (in: „Tanz auf fremder Hochzeit“) habe ich drei Tage lang in einem Hotel in New York mit jüdischen Frauen gesprochen. Es waren selbstbewußte, mutige, gutgeschminkte Frauen. Sie fingen an witzig und selbstironisch zu reden. Dann kam der Punkt, wo das Ganze einen Knacks bekam und es brachen die Tränen aus ihnen heraus. Drei Tage lang wurde nur geweint. Ich habe nicht geweint, denn ich hatte zu arbeiten. Hätte ich geweint, wäre ich nicht mehr imstande gewesen, zuzuhören und Notizen zu machen.

Das ist ein Beispiel dafür, wie ich arbeite. Alle meine „Helden“ erzählen mir tragische Ereignisse. Würde ich anfangen mit ihnen zu weinen, würde ich nie wieder aufhören. Dann wäre auch mein Leben nutzlos gewesen.

Übersetzung aus dem Polni
-schen: Olga Mannheimer / Aufzeichnung: hans happel