Peking und die patriotischen Gangster

Ein hoher KP-Führer begibt sich auf Reisen – geschützt von 800 Mitgliedern der chinesischen Triaden, die von Südchina und Hongkong aus operieren. Gangstersyndikate haben in China Hunderte Millionen Dollar investiert.  ■ Aus Hongkong W. Meißner

„Wir sollten uns vereinigen“, sagte Tao Sijiu, Minister für Öffentliche Sicherheit der Volksrepublik China am 8. April, „ich tendiere dazu zu glauben, je mehr Leute wir vereinigen, desto besser.“ Daher sei China auch glücklich, sich mit Gruppen zu vereinigen, die „Triaden“ genannt werden, allerdings müßten diese „patriotisch und an der Stabilität und Prosperität Hongkongs interessiert sein“. „Patriotismus“ ist dabei das neue Zauberwort. Mit ihm versucht die Parteiführung schon seit einiger Zeit, alle Chinesen noch einmal unter ihrer Fahne zu sammeln, seitdem ihr die kommunistische Ideologie nur noch wenig Legitimationshilfe für ihre Alleinherrschaft liefert. So auch in der britischen Kolonie Hongkong: „China lieben und Hongkong lieben, das heißt: die Partei lieben“, formulierte es ein chinesisches Wochenmagazin.

Davon sollen die Gangsterbanden Hongkongs, häufig Triaden genannt, natürlich nicht ausgeschlossen werden. Wer ein „patriotischer“ Gangster ist und weiterhin an „Prosperität und Stabilität“ Hongkongs Interesse hat, der kann also in Zukunft des Wohlwollens der Partei sicher sein. Denn – so auch wenige Tage später der Sprecher des Ministers – nicht alle Gangsterbanden seien schließlich gleich; selbst wenn sie Verbrechen begangen hätten, so würden sie doch von China willkommen geheißen, wenn sie ein neues Blatt in den Beziehungen aufschlagen.

Peking sucht Verbündete in Hongkong

Peking versucht offensichtlich, in der Auseinandersetzung mit London seine politische Basis in der Kolonie zu verbreitern, es hat nur wenige Verbündete hier. Daß der Minister gerade diesen Zeitpunkt wählte, hatte wohl Gründe: Wenige Tage zuvor sollen führende Vertreter des mächtigsten Gangstersyndikats in Hongkong, der Sun Yee On, deren Mitgliedschaft auf 47.000 geschätzt wird, zu „geschäftlichen“ Gesprächen mit hohen Parteiführern nach Peking gereist sein.

Offenbar suchen die Syndikate inzwischen auch Rückendeckung in Peking: Wegen der wachsenden Vernetzung der chinesischen Triaden mit der internationalen Verbrecherszene, die sehr starke Verbindungen zu Hongkong hat, hatte London letztes Jahr extra den ersten National Criminal Intelligence Service (NCIS) gegründet. Vom NCIS aufgestellte Spezialeinheiten sollten sich vor allem um die Triaden in Hongkong kümmern, und inzwischen hat das Büro für Organisierte Kriminalität und Triaden in Hongkong in letzter Zeit gegen die Syndikate mehrfach scharf und erfolgreich durchgegriffen, um Hongkongs internationales Ansehen wieder zu verbessern. Das Angebot des Ministers ist daher ein Bärendienst. Es macht faktisch alle Bemühungen der Polizei zunichte, den Gangstersyndikaten das Handwerk zu legen. Der Minister gab bekannt, die Triaden von Hongkong hätten sich bei der Reise eines hohen Parteiführers sehr kooperativ gezeigt und mit Hilfe von 800 Mann (!) für den Schutz des hohen Herrn gesorgt. Wer könnte dieser hohe Kader wohl gewesen sein? Sollten etwa Li Peng und Jiang Zemin auf ihren Reisen von Mitgliedern der südchinesischen Triaden unter ihre Fittiche genommen worden sein? Oder vielleicht sogar Deng Xiaoping selbst auf seiner legendären Reise nach Süden im Frühjahr 1992? Eine abenteuerliche Vorstellung. Auf jeden Fall sind in letzter Zeit aber alle hohen Funktionäre von ihren Reisen wieder wohlbehalten nach Peking zurückgekehrt. Kein einziges Härchen ist ihnen unterwegs gekrümmt worden.

Dies war nicht immer so. Die Geschichte zeigt, daß die Geheimgesellschaften immer besonders eifrig waren, wenn es darum ging, gegen Kommunisten vorzugehen:

In Absprache mit Chiang Kai- shek – Chef der Nationalen Volkspartei und Widersacher Maos – beteiligte sich die „Grüne Bande“ am Massaker vom April 1927 in Shanghai. Ihre Führer, Du Yuesheng – „Großes Ohr“ – und Huang Mapi – „Huang, der Pockennarbige“ – waren mitverantwortlich für den Mord an Tausenden von Mitgliedern der KP Chinas.

14 K sollte im Untergrund die Stellung halten

Dann, 1947, als sich das Ende der Partei Chiang Kai-sheks auf dem Festland abzuzeichnen begann, vereinigten sich die Triaden im Süden Chinas zur berüchtigten 14 K unter dem Kommando von Generalleutnant Kot Siu-wong. 14 K sollte im Untergrund Stellung halten, nachdem die Truppen Chiang Kai-sheks nach Taiwan übergesetzt waren. Als dann Kanton gefallen war, ging 14 K jedoch nach Hongkong. Ihre Nachfolger sorgen seitdem dafür, daß viele Geschäftsleute hier eine doppelte Steuer zahlen: erst an die Triaden und dann an die englische Krone. Auch den Drogenhandel haben sie fest in der Hand, ganz zu schweigen von der noch immer einträglichen Prostitution.

Und schließlich der Handel mit gestohlenen Autos, wobei es sich dabei hauptsächlich um Mercedes und BMWs der Oberklasse handelt. Mit großem Abstand folgen dann Lexus, Audi und andere.

Schnellboote hängen die Wasserschutzpolizei leicht ab

Immerhin 6.918 (!) dieser kostbaren, von eifrigen Chauffeuren stets hochpolierten Luxuskarossen, die bei den hohen Einfuhrsteuern (240 Prozent) in Hongkong einen Gegenwert von etwa einer Milliarde Mark haben, wurden letztes Jahr aus den bewachten Garagen und Carparks in den vornehmen Vierteln gestohlen und vor allem nach Südchina gebracht. Viele Karossen werden auf kleine Schnellboote verfrachtet, die dann – bestückt mit vier Außenbordmotoren, um die Wasserpolizei abzuhängen – nachts mit hoher Geschwindigkeit zunächst Kurs auf internationales Gewässer und danach auf die südchinesische Küste nehmen.

In Südchina fahren neuerdings viele Parteikader die teuersten deutschen Automodelle. Warum, fragt sich der erstaunte Zeitgenosse, haben bloß viele dieser hochglänzenden Symbole deutscher Wertarbeit das Lenkrad auf der rechten Seite? Schließlich herrscht in China doch kein Linksverkehr wie in Hongkong, sondern Rechtsverkehr wie in Deutschland!

Die Erklärung für dieses dialektische Verkehrsphänomen liefert folgender Fall, der sich vor einiger Zeit ereignet haben soll: Ein Geschäftsmann in Hongkong, dem wenige Wochen zuvor sein metallic-farbener Mercedes gestohlen worden war, fährt zu einem größeren Geschäftsabschluß nach Südchina und wird bei seiner Ankunft abgeholt. Als der freundlich lächelnde Chauffeur diensteifrig den Wagenschlag des 600 SEL aufreißt, damit der betuchte Gast einsteigen kann, stellt dieser zu seiner Verblüffung fest, daß er dabei ist, in seinen eigenen Wagen einzusteigen. Ob es danach noch zu einem erfolgreichen Geschäftsabschluß gekommen ist, war der hiesigen Presse nicht zu entnehmen.

Aber die gestohlenen Wagen sind nur die Spitze des Eisbergs. Nach Schätzungen der Polizei werden etwa 50.000 Wagen pro Jahr, überwiegend Mercedes und BMW, unter Umgehung des hohen Zolls über Hongkong nach Südchina geschmuggelt. Etwa 6.000 kommen pro Jahr per Schiff von der Westküste der USA. Die Nachfrage in Südchina nach einem Mercedes der Luxusklasse ist inzwischen so dringlich, daß dieser auch schon mal schnell über Hongkong eingeflogen wird. Dafür zahlt dann der prestigebedürftige Abnehmer, der partout nicht mehr länger warten kann, 130.000 US-Dollar für einen Mercedes 600 SEL, cash natürlich. Bei Abnahme von zwei oder drei eingeflogenen Wagen gibt es Rabatt.

Der Markt, heißt es, ist inzwischen völlig außer Kontrolle. Die bei diesen Schmuggelaktionen umgesetzten Summen sind astronomisch, die abgeschöpften Gewinne nicht minder. Ein ideales Feld für die Gangstersyndikate. Nur sie sind in der Lage, Schmuggelaktionen solchen Ausmaßes zu organisieren.

Seit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas und seitdem Hongkong zur Wirtschaftsmetropole Südchinas geworden ist, hat sich auch die Kriminalität wieder grenzübergreifend organisiert. Die Banden haben inzwischen ihre Rückzugsgebiete jenseits der Grenze, denn hier sind sie vor Verfolgung weitgehend sicher: Schließlich hat der Minister für Öffentliche Sicherheit schon einmal vor einem Jahr den Triaden angeboten, sich doch in China geschäftlich zu engagieren.

Überfälle mit AK 47 und auch mal einer Handgranate

Mit Schnellfeuerwaffen (chinesische AK 47) und kürzlich auch unter Einsatz einer Handgranate aus Beständen der „Volksbefreiungsarmee“ wird etwa alle drei Wochen ein Juweliergeschäft überfallen. Doch die Polizei von Hongkong ist meist überraschend schnell zur Stelle. Geschossen wird ohne Vorwarnung. Da die Juwelierläden in sehr belebten Straßen liegen und diese immer voll von Menschen sind, ist es fast unmöglich, beim Schießen niemanden zu treffen. Das jüngste Opfer war eine Frau, frisch verheiratet. Sie starb unter den Kugeln der Polizei.

Auch Hongkongs Polizei hat bis 1973 teilweise mit den Triaden kooperiert. Diese haben sogar dazu beigetragen, daß bestimmte Verbrechen aufgeklärt wurden, sofern sie nämlich den Interessenbereich der Triaden störten. Auch bei den Unruhen 1956 profitierte die Polizei von den Informationen der Triaden über die prokommunistischen Gruppen. Das gleiche gilt für die Unruhen 1967–68 in Hongkong während der „Kulturrevolution“. Seit 1974 aber versucht die Polizei, den Triaden das Handwerk zu legen. Seitdem soll allerdings die Aufklärungsquote bei Verbrechen von zirka 70 Prozent auf 40 Prozent gesunken sein. Die Informationen von seiten der Triaden, so vermutet man, blieben danach offensichtlich aus.

Das Angebot des Ministers für Öffentliche Sicherheit der Volksrepublik China an die Gangstersyndikate Hongkongs spiegelt nun die überaus komplexe Situation wider, mit der die Kommunisten ab 1997 in Hongkong konfrontiert sein werden: Denn sollte es Widerstand in der Bevölkerung gegen die neuen Herren geben, etwa von seiten der Studenten und von liberalen Gruppen, so könnten die Triaden mit ihrer langen Erfahrung durchaus der neuen Führung bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung helfen und damit ihren „Patriotismus“ unter Beweis stellen. Als Gegenleistung dafür dürften sie dann ungestört ihren Geschäften nachgehen.

Theoretisch könnten sie aber auch die innere Sicherheit gefährden und für Unruhe in Hongkong und Südchina sorgen, sollte Peking wider Erwarten vorhaben, gegen die Triaden vorzugehen, wie es zur Zeit noch die Polizei in Hongkong versucht.

Offenbar sind die Dinge so weit gediehen, daß die „Bündnisfrage“ bereits entschieden zu sein scheint. Die Pekinger Führung fürchtet Studenten und liberale Organisationen grundsätzlich mehr als Gangstersyndikate. Sie wendet sich gegen jeden Ansatz einer Demokratisierung in Hongkong, und sei er auch noch so bescheiden, wie die Vorschläge des Gouverneurs Patten. Und Gesprächsangebote seitens der United Democrats of Hong Kong um Martin Lee, den Liberalen in Hongkong, werden von Peking kalt ignoriert, während es gleichzeitig den Triaden die Kooperation anbietet.

Von den Geschäften der Gangstersyndikate profitiert auch Peking ganz erheblich; mit Wissen Pekings werden die Gewinne aus diesen Geschäften inzwischen hauptsächlich in der VR China investiert, vor allem in die Unterhaltungsindustrie und in Immobilien. Die Investitionen der Gangstersyndikate in Guangdong und bis hinauf nach Peking belaufen sich auf Hunderte Millionen Dollar. Bei solchen Summen kann man natürlich schon einmal über dieses und jenes miteinander sprechen.

Im Denken des Ministers, unter dessen Zuständigkeit auch die Behandlung der Dissidenten in China fällt, geht schließlich „Patriotismus“ vor Recht, und wer ein „Patriot“ ist, für den gelten offensichtlich andere Gesetze.