■ Das Portrait: Sergej Schachrai
„Sollte ich aus den Strukturen der Macht rausfallen, wird das für mich nicht zur Tragödie“, meinte Sergej Schachrai unlängst selbstbewußt. Doch dem Musterjuristen, der an Moskaus Universität eine Forschungsgruppe über Gesetzesinformatik leitete, darf man das nicht ohne weiteres abnehmen. Denn er will ganz nach oben. Erst kürzlich meldete er seine Anwartschaft aufs Präsidentenamt an, nicht gleich – irgendwann einmal. Vorerst, so die Gerüchteküche, soll er nun Vorsitzender des Sicherheitsrates, Jelzins „innerem Kabinett“, werden.
Schachrai ist die Umschreibung für Selbstsicherheit. „Irgendwie mache ich die Leute um mich nervös“, sagte er einmal. Auf jeden Fall jagt er den Abgeordneten des Parlamentes die Zornesröte ins Gesicht. Mit seiner am Gesetz exemplifizierten Haarspalterei, seinem vor Trockenheit berstenden Sophismus, bringt er die Parlamentarier in Atemnot.
Der 37jährige Schnauzbartträger von der Krim gehört seit über zwei Jahren zum engen Stab um Jelzin. Nicht zum engsten, wie er selbst betont. Die Distanz ist Kalkül, seine Art der Karrieretaktik. Der Präsident soll ihn wegen seines Professionalismus schätzen. An allen wichtigen Dokumenten nach dem Augustputsch hat Schachrai mitgewirkt. Am Abkommen über die Gründung der GUS und am Föderationsvertrag Rußlands. Zahlreiche Präsidentenerlasse checkte er als Vorsitzender der Abteilung Staatsrecht beim Präsidenten gegen. Seit Frühjahr 92 saß er in dieser Funktion.
Zuvor war er vom Amt des Vizepremiers zurückgetreten, das ihm Jelzin im Dezember 91 zugedacht hatte. Schachrai war eine Opfergabe an die Konservativen, aber er wollte selbst gehen. Er hatte den Konflikt mit der Legislative vorausgesagt und war für ein hartes Vorgehen des Präsidenten. Nur ein starker Staat sei Garant gegen eine faschistische Diktatur.
Foto: Wostok
In der Öffentlichkeit bekannt wurde er als Rechtsvertreter des Präsidenten im Prozeß gegen die KPdSU. Kaum war der zu Ende gegangen, beorderte ihn Jelzin als „Schlichter“ ins nordkaukasische Krisengebiet. Die Kameras zeigten ihn allabendlich im Kampfanzug. Sein Imagewechsel muß ihm gefallen haben. Denn die Montur machte aus ihm einen „ganzen“ Mann – damit hatte er stets ein wenig Schwierigkeiten. Klaus-Helge Donath
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