Bundeswehr out of Grundgesetz

■ Heute nacht starten deutsche Soldaten zu ihrer ersten großen Auslandstournee seit 1945

Bonn (taz) – Am Freitag, den 15. Mai 1993, beginnt auf dem Flughafen Köln- Wahn mit der Entsendung eines 45 Soldaten starken Vorauskommandos der erste bewaffnete Out-of-area-Einsatz bundesdeutscher Bodentruppen. Die Mitglieder des Erkundungskommandos, das am späten Abend mit einer Boeing 707 der Bundesluftwaffe starten soll, werden zum Teil direkt in das künftige Einsatzgebiet um Belet Uen, dreihundert Kilometer nördlich von Mogadischu, fliegen. Ihre Ausrüstung, darunter dreißig Unimogs und Bundeswehr-Pkws, transportieren mehrere Transall-Maschinen seit Mittwoch nach Somalia.

Zusammen mit hundert weiteren Soldaten, die in einer Woche abfliegen werden, sollen die Bundeswehr-Kundschafter die Gegend um den Einsatzort in Zentral- Somalia erkunden. Ende des Monats will Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) entscheiden, welche Truppenteile mit welcher Ausrüstung das Hauptkontingent von etwa 1.500 Mann bilden werden, das Anfang August auf dem Luft- und Seeweg nach Somalia verlegt wird. Sie sollen sich nicht an militärischen Aktionen wie der Entwaffnung somalischer Milizen beteiligen, jedoch mit Nachschub und Logistik für die UNO-Truppenverbände indirekt diese Zwangsmaßnahmen unterstützen.

Deshalb ging gestern der Streit weiter, ob der Afrika-Einsatz vom Grundgesetz gedeckt ist. Das neue Einsatzgebiet und die Aufgaben der deutschen Truppen machten deutlich, daß es sich nicht um eine humanitäre Aktion, sondern um einen Blauhelm-Einsatz handele, kritisierte der SPD-Verteidigungsexperte Horst Jungmann. Die logistische Unterstützung anderer UNO-Truppen in Somalia sei eindeutig verfassungswidrig. Die Aktion sei nicht nur out of area, sondern auch „out of Grundgesetz“, erklärte die PDS-Abgeordnete Andrea Lederer.

Trotz der umstrittenen Rechtslage bekräftigten Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und Generalinspekteur Klaus Naumann, daß es für Zeit- und Berufssoldaten „kein Verweigerungsrecht“ gebe. Wer den Marschbefehl nach Somalia verweigere, müsse mit disziplinarischen Folgen rechnen. Es sei „selbstverständlich“, sagte Naumann, daß Befehle befolgt werden müßten. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe habe mit seinem Beschluß im Fall Awacs bereits die nötige Rechtssicherheit geschaffen.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Rolf Wenzel, appellierte dagegen an Rühe, „die Soldaten, die nicht mitwollen, zu Hause zu lassen“. Wenzel, dessen Organisation der größte Interessenverband von Bundeswehrangehörigen ist, sprach gegenüber der taz von einer „rechtlichen Grauzone“ und einer „nicht geklärten Verfassungslage“. Er erinnerte daran, daß noch bei dem zweifelsfrei humanitären Einsatz in Kambodscha der Grundsatz der Freiwilligkeit gegolten habe. „Wo“, so fragte Wenzel, „ist da die Gleichbehandlung?“

Soldaten, die einen Marschbefehl nach Somalia nicht befolgen wollten, sollten auf rechtlichem Weg dagegen vorgehen, empfahl Wenzel. Seine Organisation werde in solchen Fällen Rechtsschutz leisten. hmt

Tagesthema Seiten 2, 3 und Seite 10