Am Montag beginnt der Prozeß gegen die mutmaßlichen Brandstifter von Mölln. Die Ermordung von drei türkischen Frauen war im Herbst letzten Jahres der Höhepunkt rassistischer Angriffe in Deutschland und führte zu breiten Gegenreaktionen. Angeklagt sind zwei junge Männer. Ein Bericht von Bascha Mika

Die Banalität des Bösen

Sonntag, 22. November 1992. Sie telefonieren. Verabreden: Treffen um Mitternacht, Videothek No. 1, Mölln. Nach diesem Treffen sind drei Menschen tot.

Vorher macht Michael Peters sich einen netten Tag. Trinkt einen zu Hause in Gudow, ein bißchen Whisky, ein bißchen Bier. Dann geht's ab in die „Alte Kate“. Wirt, einen Kümmerling! Er trifft einen Kumpel, zieht mit ihm in den „Gudower Hof“, pichelt weiter. Hunger hat er jetzt. Die Wirtin packt ihm eine Portion Schweinebraten ein. Mit dem Braten macht er sich auf zu Muttern, er ißt, kippt mehrere Schnäpschen. Jetzt noch 'ne Runde Schach. Er spielt eine Partie mit ihr, dann macht er sich auf den Weg. Daumen raus und nach Mölln getrampt.

Lars Christiansen hockt allein in seiner Wohnung in Mölln. Die Glotze läuft. Paar Dosen Bier, 'nen Joint. Vor ihm steht eine Riege leerer Flaschen; er kippt Sprit rein, verstopft sie oben mit einem gedrehten Lappen. Dann packt er die sechs Mollis in eine rote Bierkiste und wartet. Kurz vor Mitternacht schnappt er sich seine Sturmhaube und die Kiste, bringt sie runter zu seinem Wagen. Pitti wartet schon an der Videothek. In schwarzen Jeans und Tarnjacke klemmt er sich auf den Beifahrersitz des VW- Polo. Sie brettern durch Mölln. Wo wohnen die Asylanten, das Pack, das hier nichts zu suchen hat? Sie kommen zu einem Haus, das sie für das Flüchtlingsheim halten. Zu viele Leute. Pitti hat eigentlich keine Lust mehr, aber Lars gibt nicht nach: Komm, wir suchen was anderes. In der Ratzeburger Straße, da leben doch Türken!

In dem Haus ist alles dunkel. Sie ziehen die Haßkappen über, jeder krallt sich zwei Mollis, wirft sie durchs Fenster ins Haus. Das Haus brennt sofort lichterloh. Nicht's wie ab. Sie finden eine Telefonzelle. Um 0.31 Uhr klingelt es bei der Möllner Polizei: „In der Ratzeburger Straße brennt es. Heil Hitler!“

Zurück ins Auto. Lars hat noch eine Idee. Die Mühlenstraße! Auch da wohnen Türken. Sie fahren bei der Feuerwehr vorbei, sehen sie ausrücken, stoppen vor dem weißen Haus, Mühlenstraße 9. Raus aus dem Wagen. Die Haustür ist offen, das Erdgeschoß unbewohnt. Lars gießt den Sprit aus seinem Molli in den Treppenflur. Anzünden. Weg! Pitti läuft ums Haus herum, schmeißt seinen Brandsatz gegen die Rückseite. Losfahren, Telefonzelle suchen. Bei der freiwilligen Feuerwehr klingelt es um 1.05 Uhr: „In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler!“ Sie toben zurück zum VW. Lars nimmt Pitti noch ein Stück mit, dann fährt er nach Hause und legt sich schlafen.

Die BewohnerInnen der Ratzeburger Straße werden durch einen lauten Knall aufgeschreckt. 32 Menschen im Haus. Es brennt! Die Erwachsenen springen auf, reißen die Kinder aus den Betten, klettern und springen aus den Fenstern. Viele verletzen sich, aber alle kommen lebend heraus.

Im Obergeschoß der Mühlenstraße 9 ist Nazim Arslan beim Abendgebet. Plötzlich klingelt es an der Wohnungstür. Er macht auf, im Treppenhaus schlagen ihm Rauch und Flammen entgegen. Das Feuer hatte die Klingelleitung erfaßt und den Kontakt ausgelöst. Nazim rennt zu seiner Frau Bahide. Bahide fängt an zu schreien, weckt dadurch die Schwiegertöchter Hava und Aytan im Dachgeschoß und dem hinteren Teil des Gebäudes.

Hava rennt zum Fenster, Nachbarn sind schon da, um zu helfen – alles TürkInnen. Sie haben eine Decke aufgespannt. Hava wirft ihr Baby Namik hinunter, stürzt sich hinterher, verletzt sich schwer. Aytan wickelt den sechsjährigen Emrah in eine Decke und springt mit ihm aus dem Fenster, bricht sich das Becken und mehrere Knochen. Nazim kann sich mit einem Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen.

Erst um 1.30 Uhr kommt die Feuerwehr. Den kleinen Ibrahim und die Urgroßmutter Emine Kartal kann sie noch retten. Im Kinderzimmer liegt die 10jährige Yeliz hinter ihrem Bett auf dem Boden. Sie hatte noch eine Decke über sich gezogen. Sie ist tot. Verbrannt und vergiftet durch Kohlenmonoxid. Die 14jährige Ayse liegt vor ihrem Bett. Tot. Vergiftung, Verbrennungen 2. und 3. Grades. Die 51jährige Großmutter Bahide findet die Feuerwehr vor der Wohnzimmertür, halb verschüttet von der heruntergebrochenen Decke. Vergiftung und Verbrennungsschock. Tot.

Die Anklage

Die Brandnacht von Mölln – so ungefähr soll sich das Verbrechen nach den Erkenntnissen von Polizei und Bundesanwaltschaft zugetragen haben. Am 24.11.1992 nimmt die Polizei den 25jährigen Hilfsarbeiter Michael Peters fest. Seit dem 25.11. ist er in Untersuchungshaft. Am 28.11.1992 wird der 19jährige Auszubildende Lars Christiansen festgenommen. Seit 29.11. sitzt er in Untersuchungshaft. Peters und Christiansen wird vorgeworfen, am 23.11.1992 heimtückisch und aus niederen Beweggründen zwei Brandanschläge in Mölln verübt zu haben, drei Menschen getötet und weitere zu töten versucht zu haben.

Ab Montag wird den beiden Angeklagten vor dem Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig der Prozeß gemacht. Sollten die beiden Männer der Verbrechen für schuldig befunden werden, muß Peters mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen, Christiansen als Heranwachsender mit 10 Jahren Haft.

Peters hat die Tat mehrfach zugegeben und Christiansen als seinen Mittäter bezeichnet. Christiansen hat sich zunächst zu dem Verbrechen bekannt, später jedoch sein Geständnis zurückgezogen. Er wird von dem Münchner Anwalt Bossi verteidigt, der sich mit Vorliebe in spektakuläre Prozesse einschaltet, bei denen es um die strafrechtliche Verantwortung der Beschuldigten geht.

Die Hintergründe

Hätte Mölln verhindert werden können? Dieser Frage und der nach den rassistischen Motiven und dem rechtsradikalen Hintergrund der Angeklagten müsse im Zuge des Verfahrens nachgegangen werden, erläutert Rechtsanwalt Ströbele aus Berlin. Christian Ströbele ist Nebenklägervertreter von Faruk Arslan, Sohn der ermordeten Bahide Arslan, Vater der ermordeten Yeliz Arslan. Ströbeles Ansatzpunkt sind die weiteren Straftaten, die Michael Peters vorgeworfen werden.

Peters hat bereits im September 1992 zusammen mit anderen mehrmals versucht, Flüchtlingswohnheime anzugreifen. In Pritzier, Gudow und Kollow. In Pritzier hatte die Polizei im Vorfeld von der geplanten Attacke erfahren, hatte das Heim räumen lassen und einen Schutzkordon um das Haus gelegt. Rechte Parolen brüllend und bewaffnet mit Molotowcocktails, Rohren, Ketten, Schlagstöcken und Leuchtmunition, rückten die jungen Männer gegen das Haus vor. Sie konnten nicht viel ausrichten und zogen wieder ab. Trotz reichlich vorhandener Straftatbestände nahm die Polizei keinen der Angreifer fest – weder vor dem Heim noch später, als sie durchs Dorf marschierten. Unbehelligt machte sich die Truppe sofort anschließend auf nach Gudow und griff das dortige Flüchtlingsheim an. Eine Woche später überfiel sie das Heim in Kollow.

Lange vor der Brandnacht in Mölln hatte die Polizei den begründeten Verdacht, daß Peters an diesen Überfällen beteiligt gewesen war. Die Staatsanwaltschaft Lübeck beantragte Haftbefehl, dem der zuständige Richter nicht stattgab. Er ließ Peters auf freiem Fuß. Inzwischen hat er auch diese Überfälle gestanden.