Standpunkt
: Demonstratives Desinteresse

■ Wechselspiel im Forschungsministerium

Der doppelte Wechsel im Amt des Bundesministers für Forschung und Technologie innerhalb von vier Monaten zeigt nicht nur, daß für Kanzler Kohl bei der Wahl von Ministern nur noch der Länderproporz zählt – erst fehlte ein Württemberger, dann ein Mecklenburger am Kabinettstisch. Das rasche Wechseltempo legt zugleich schonungslos offen, welchen Bedeutungsverlust die Forschungs- und Technologiepolitik in dieser Bundesregierung seit Mitte der achtziger Jahre erlebt hat. So sind die Forschungsausgaben des Bundes pro Kopf der Bevölkerung von 121 Mark (1982) auf 92 Mark (1992) zurückgegangen, während in Japan und den USA die Forschungsausgaben deutlich erhöht werden.

Die Bundesrepublik Deutschland braucht gerade in der Rezession steigende Beiträge von Wissenschaft und Forschung zur Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit. Es geht um die Sicherung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie in weltweiter Konkurrenz. Es geht aber auch darum, Gefährdungen von Mensch und Umwelt durch menschliches Handeln schneller und besser zu erkennen und abzuwehren. Es geht um Beiträge von Wissenschaft und Technik für ein ökologisch orientiertes Verkehrssystem der Zukunft und für die Verwirklichung einer ökologisch orientierten Kreislaufwirtschaft. Und es geht schließlich auch um eine kulturelle Vergewisserung in einer immer unübersichtlicher gewordenen Gesellschaft. Forschungs- und Technologiepolitik braucht ein verändertes, umfassenderes Politikkonzept.

Gefragt sind in der Forschungs- und Technologiepolitik langfristig ausgerichtete Strategien, die den weltweiten Zusammenhang von Forschung und Technologie berücksichtigen. Gefragt sind auch neue Formen des Diskurses zwischen Wissenschaft, Industrie und Öffentlichkeit über strategische Zielsetzungen einer innovationsorientierten Forschungs- und Technologiepolitik. Dies wünscht in Deutschland auch der global agierende Teil unserer Industrie, der technologieintensive Güter herstellt. Gefragt ist deshalb eine aktive Moderatorenrolle des Forschungsministers im technologie- und industriepolitischen Dialog über die Zukunft des Forschungs- und Industriestandortes Deutschland. Wir brauchen ein Forschungsministerium, das als Zukunftsministerium eine zentrale Rolle für eine ökonomisch und ökologisch ausbalancierte Innovationspolitik spielt.

Der doppelte Ministerwechsel dokumentiert das demonstrative Desinteresse der Regierungskoalition an einer Prioritätensetzung für Wissenschaft und Forschung und damit für Zukunftsfragen unserer Industriegesellschaft. Dieses demonstrative Desinteresse muß Wissenschaft und Wirtschaft brüskieren. Ihnen ist nur zu gut bekannt, daß die EG und alle führenden Industrieländer gerade jetzt verstärkte Anstrengungen zur Sicherung ihrer Zukunftsfähigkeit durch steigende Forschungsausgaben und eine technologiepolitische Strategie unternehmen. Wolf-Michael Catenhusen

Wolf-Michael Catenhusen ist Mitglied der SPD-Fraktion und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages.