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„Tandem mit Diepgen“

■ Interview mit Uta Wobit, seit 1988 Vorsitzende des ADFC Berlin:

taz: Frau Wobit, wie sind Sie zum Fahrradfahren gekommen?

Uta Wobit: Vor Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ich bin mit dem Auto zur Arbeit gefahren und mein Sohn mit dem Fahrrad zur Schule, und da wurde mir plötzlich klar, daß ich mit meinen Abgasen die Gesundheit meines Kindes zerstöre. Seitdem fahre ich Fahrrad. Mein Anliegen ist, die Umwelt für die Kinder zu erhalten, und eine konsequente Art, das zu tun, ist, das Auto abzuschaffen. Ich könnte gar nicht mehr leben, wenn ich dächte, es ginge nicht ohne Autos.

Wie wollen Sie denn die Mehrheit dazu bewegen, ohne Auto auszukommen?

Dafür bin ich im ADFC. 1983 hatte der Berliner ADFC 17 Mitglieder, als ich 86 eingetreten bin, waren es schon 500. Heute sind wir 6.500 Mitglieder. Das liegt daran, daß die Menschen sehen, da sind Leute, die meinen es wirklich ernst mit der Umwelt, die sind bereit, ihr Leben zu ändern. Vorleben ist das Beste. Aus den Parteien und Kirchen treten die Leute aus, und bei uns treten sie ein.

Trotzdem sind die Radfahrer auf den Straßen eine Minderheit.

Das Problem beim Radfahren sind Lärm, Gestank und Gefährlichkeit des Autoverkehrs. Die Leute haben einfach Angst, in der Stadt zu fahren. Das ist ein Problem der schlechten Umweltpolitik. Milliarden wurden in den Straßenbau investiert. Wenn man ins Fahrrad investieren würde, dann würde die Bevölkerung umsteigen. Bei Sozialdata in München ist eine Untersuchung erschienen, nach der 85 Prozent der Bevölkerung bereit wären, öffentlichen Nahverkehr und Fahrrad auf Kosten des Autos zu fördern. Gleichzeitig wurden Politiker und Journalisten gefragt, wie sie die Einstellung der Leute einschätzen, die kamen nur auf 40 Prozent. Die Berliner Verkehrsverwaltung ist völlig hinter der Zeit zurück, die Frage ist, wie kriegt ein Volk mit neuen Ideen neue Politiker?

Zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden soll eine weitere Ost-West-Trasse entstehen, die Leipziger Straße soll auf vierzig Meter verbreitert werden...

Das ist der beschleunigte Weg in die Klimakatastrophe. Spitzenpolitiker müßten eigentlich wissen, wie es um die Umwelt bestellt ist, dann können sie aber nicht solche Entscheidungen treffen. Ich weiß nicht, was in solchen Menschen vorgeht. Die ganzen höheren Ebenen der Verkehrsverwaltung bestehen aus Männern, wenn da mehr Frauen säßen, würden die verantwortlichere Entscheidungen treffen, weil sie Kinder gebären.

Männer haben auch Kinder.

Ich glaube, daß das Verantwortungsgefühl der Frauen gegenüber dem Nachwuchs ausgeprägter ist.

Sie vertreten eine Maximalforderung: Es soll überhaupt keine Autos mehr geben. Haben Sie auch Forderungen, die sich schneller realisieren lassen?

Man müßte den Autofahrern die Privilegien wegnehmen. Zunächst einmal muß Autofahren natürlich teurer werden, entsprechend den realen Kosten, die es der Allgemeinheit verursacht. Zum Beispiel sollten die Fahrer auch für den Platz zahlen, den sie beim Parken wegnehmen. Ich kann ja auch nicht meinen Schrank einfach auf die Straße stellen. Die Autofahrer müssen einen Teil des Straßenraumes wieder abgeben, zum Beispiel für eigene Spuren für BVG und Fahrräder. Dafür gibt es auch Ansätze: In der Amrumer Straße soll jetzt auf Antrag der Umweltverwaltung die Parkspur wegfallen und statt dessen eine Fahrradspur eingerichtet werden – aber die Verkehrsverwaltung lehnt das ab. Wir brauchen außerdem schöne „Fahrradstraßen“, auf denen man wirklich abgasfrei radeln kann, und Brücken nur für Radler und Fußgänger. Wichtig sind auch bewachte Fahrradparkplätze oder wenigstens vernünftige Fahrradhalter statt dieser Felgenklemmen, wo man das Vorderrad anschließt und der Rest gestohlen wird.

Glauben Sie, daß Sie mit Aktionen wie dem „Festival des Pedaleurs“ der Erfüllung dieser Wünsche näherkommen?

Ganz bestimmt. Im ADFC habe ich bessere Möglichkeiten, Politik zu machen, als in einer Partei. In Berlin findet ein immer größerer Zusammenschluß von Organisationen statt, die mit der Verkehrspolitik des Senats unzufrieden sind. Dazu gehören zum Beispiel der Bezirk Mitte, der DGB und die AOK (Autounfälle belasten eben auch die Krankenkassen), die alle beim „Festival des Pedaleurs“ mitmachen. Diepgen hat die Schirmherrschaft für das Festival zwar abgelehnt und auch angeordnet, daß keine Senatsverwaltung die Schirmherrschaft übernehmen darf. Aber in zwei Jahren wird auch Diepgen mitmachen müssen, es wird ihm gar nichts anderes übrigbleiben – sonst steht er da wie Honecker ohne Volk. Beim nächsten Festival fährt Diepgen mit mir Tandem. Er darf auch gerne vorn sitzen und lenken. Interview: Miriam Hoffmeyer

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