"Es war eine Notbremse"

■ Der Berliner Medienkontrolleur Hans Hege über Konzentration, Kontrolle und Vielfalt

Die Auseinandersetzung zwischen den Landesmedienanstalten und den Kommerzsendern um die Medienkonzentration spitzt sich zu: Wegen der umstrittenen Zulassung des Deutschen Sportfernsehens (DSF) wird es eine Verfassungsbeschwerde der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) in Karlsruhe geben, über die terrestrischen Frequenzen von Sat.1 in Nordrhein-Westfalen will die dortige Landesanstalt für Rundfunk (LfR) heute entscheiden. Die taz sprach mit dem Berliner Medienkontrolleur Hans Hege. Er ist Direktor der MABB und Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten.

taz: Herr Hege, Sie waren als Referent des Berliner CDU-Kultursenators Hassemer in den 80er Jahren einst Wegbereiter des kommerziellen Rundfunks – wie geht das mit ihrer neuen Rolle als Jäger der erschummelten Lizenzen zusammen?

Hege: Ich habe damals daran mitgewirkt, die gesetzlichen Grundlagen für den privaten Rundfunk zu schaffen. Dazu gehört auch, sich verantwortlich dafür zu fühlen, daß eingehalten wird, was in den Gesetzen niedergelegt ist. Um mit dem soweit wie möglich ernst zu machen, was Grundlage des dualen Systems sein sollte, nämlich Vielfalt und Wettbewerb.

Vielfalt? In Berlin hat der Holtzbrinck-Konzern gerade das anspruchsvollere Info-Radio dicht gemacht, der TV-Sender Vox aus Köln will „weniger elitär“ werden...

Neue Projekte müssen ihre Chance bekommen. Die Medienanstalten können dies fördern, indem sie solchen Programmen Frequenzen zuweisen. Finanzieren müssen sich private Veranstalter aus Werbung, also aus einer möglichst großen Zahl von Zuschauern und Zuhörern. Da gibt es leider für anspruchsvolle Programme Grenzen.

Sie hatten bei ihrer Wahl zum Vorsitzenden der Direktorenkonferenz die Bedingung gestellt, daß ihre Kollegen ihre Initiativen gegen die Konzentration unterstützen. Tun die das?

Wir haben erstaunlich viele Gemeinsamkeiten, aber natürlich auch die eine oder andere unterschiedliche Meinung. Das gehört zum Diskussionsprozeß. Die eigentlichen Bewährungsproben stehen noch vor uns.

Die wären?

Das ist der Fall Sat.1 in Nordrhein-Westfalen. Springer und Kirch sollen ihre Anteile reduzieren, sonst droht der Verlust der terrestrischen Frequenzen. Da müssen wir zu einheitlichen Antworten kommen, denn der Rundfunkstaatsvertrag gilt ja in NRW genauso wie in anderen Ländern. Dann liegt der Fall Kirch/Pro 7 noch vor uns.

Bislang haben Partei- und Standortpolitik ein effektives Zusammenarbeiten der Landesmedienanstalten verhindert. Sie wünschen sich nun eine Art Kartellamt für den Medienbereich. Geht das mit den föderalen Rundfunkstrukturen zusammen?

Wir müssen unsere Sachkunde zusammenwerfen. Es kann nicht jede Anstalt für sich allein das leisten was notwendig ist, um komplizierte wirtschaftliche Verflechtungen aufzuklären und zu bewerten. Darüber sind wir uns sogar mit den Gremienvorsitzenden der Medienanstalten einig. Die haben uns ja als Direktorenkonferenz aufgefordert, Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie das gemeinsam organisiert werden kann. So, daß nicht mehr jeder alles halb macht. Wir brauchen auch Kompetenz von außen. Wir bedienen uns ja bereits des Sachverstandes von Wirtschaftsprüfern oder von Leuten, die sich im Gesellschaftrecht gut auskennen. Auf der anderen Seite stehen ja Unternehmen von beachtlicher Größenordnung und entsprechend viel Sachkompetenz.

Sachkompetenz, das klingt so nach Jura und Betriebswirtschaft. Kommen die Gremienmitglieder, die eigentlich entscheiden, da noch mit? Oder nicken die nicht vielmehr bloß noch die Vorlagen der Direktoren ab?

Die Ermittlung und Vorbereitung ist Sache der Direktoren und ihrer Mitarbeiter. Die Entscheidungen verbleiben bei den Gremien, denen die wesentlichen Punkte durchaus erläutert werden können. Bei einem kleinen und sachkundigen Gremium wie dem Medienrat in Berlin-Brandenburg [siebenköpfig incl. der beiden Vorsitzenden, d. Red.] ist dies kein Problem.

Bundesweite Medienkontrolle – würde die nicht die Direktoren noch mächtiger werden lassen gegenüber den Lizenzgremien?

Meiner persönlichen Meinung nach wäre auch ein bundesweites Gremium nur handlungsfähig, wenn es klein bleibt. Es ist aber gegenwärtig keine reale Alternative, erst recht keine Ausrede, nicht mit den bestehenden Strukturen das beste zu versuchen.

Leo Kirch mischt direkt und indirekt bei Sat.1, Pro 7, DSF, dem Kabelkanal und Premiere mit. Wie schätzen sie dabei die angeblich getrennten Unternehmensstrukturen zwischen Leo Kirch und seinem Sohn Thomas Kirch ein?

Ich habe kein fertiges Urteil über das Verhältnis von Leo Kirch und Thomas Kirch. Wir haben aber ein ganze Menge Indizien. Wir wollen dem jetzt im Zusammenhang mit anderen Einflußverhältnissen insbesondere bei Pro 7 nachgehen. Ich fälle kein Urteil, bevor der Veranstalter da nicht noch einmal Gelegenheit hatte, von sich aus Dinge offenzulegen.

Neben Kirch-Springer muß auch die Bertelsmann/CLT- Gruppe durchleuchtet werden. Was sind da die Knackpunkte?

Wir Medienanstalten haben bei der Beschäftigung mit RTL 2 und Vox eine klare Position bezogen: Eine Senderfamilie, wie sie zwischen RTL, RTL 2 und Vox von manchen angedacht war, werden wir nicht hinnehmen. Vox mit seinen Anfangsschwierigkeiten muß sich noch positionieren, bei RTL 2 ist sichergestellt, daß die bisherigen RTL-Gesellschafter unter 25 Prozent halten. Aber man wird kritisch kontrollieren müssen, ob hier Programme miteinander konkurrieren, oder ob es eine angestimmte Programmplanung gibt.

War die DSF-Klage eine Notbremse?

Es war eigentlich eine Notbremse. Sicher sind Gerichtsverfahren zwischen Landesmedienanstalten nichts Alltägliches. Es war notwendig, in einem Fall mal klar nein zu sagen. Das Verfahren hat – unabhängig von seinem gerichtlichen Ausgang – erreicht, daß das Thema langsam die Aufmerksamkeit findet, die es verdient.

Reichen die Gesetze gegen die Medienkonzentration noch aus?

Wir wünschen uns eine Verstärkung unserer Befugnisse. Die Frage Begrenzung des Anteils auf 50 Prozent an einem Sender bei jedem Veranstalter muß sicher nochmal überdacht werden. Da braucht dann nämlich jeder drei Sender, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Vielleicht sollte man lieber sagen, wer bei einem Sender das Sagen hat, darf sich an keinem anderen Sender beteiligen. Vielleicht sollte man stärkere Einflüsse zulassen – mit gleichzeitigen stärkeren Beschränkungen anderer Art. In Berlin-Brandenburg haben wir eine solche Regelung für den Hörfunkbereich. Wer bei einem Sender das Sagen hat, darf bei keinem weiteren irgendeine Beteiligung haben. Neue Formen von Pay-TV werden neue Fragen auslösen. Die Konzentrationskontrolle ist ein dauernder Prozeß. Auch bei der Definition von Voll- und Spartenprogrammen hat der Rundfunkstaatsvertrag nicht die letzten Lösungen finden können. Man sollte aber nicht immer nur auf den Gesetzgeber warten, häufig ist das vorhande Instrumentrarium gar nicht genutzt worden. Wichtig ist aber auch eine stärkere Diskussion darüber, wie wir die vertikale Konzentration in den Griff bekommen. Den Umstand, das dieselben Unternehmen Sendungen produzieren, mit Rechten für Filme, Sport und Serien handeln, Rundfunkveranstalter sind sowie an Printmedien beteiligt sind. Da gibt es in anderen Ländern strengere Regelungen. Bei solchen Einflußkonglomerationen ist das Kartellamt machtlos, weil jeder Markt einzeln betrachtet wird.

Das klingt nach Reformpolitik. Momentan regieren CDU und FDP. Wie wollen Sie da zurück in die 60er, 70er Jahre?

Damals gab es eine große Diskussion über die Pressekonzentration. Es gab gewisse Erfolge – etwa eine Verschärfung der Zusammenschlußkontrolle für Presseerzeugnisse. Jetzt haben wir die Diskussion über die elektronischen Medien, die ja nicht weniger mächtig sind – und in der Perspektive gegenüber den Printmedien noch mächtiger werden. Man kann sich sicher nicht damit zufrieden geben, daß es auf diesem Markt nur eine oder zwei Gruppen gibt, die ihn beherrschen, auch wenn die andere Seite behauptet, dies sei wirtschaftlich zwangsläufig. Aber man sieht ja, daß in anderen europäischen Ländern die Macht besser verteilt ist.

Kulturpessimisten sagen, die Zahl der Unternehmen sei im Prinzip auch egal. Am Ende machten alle das Gleiche.

Die Medienunternehmer meinen ja sogar, daß das Programm heute vielfältig sei. Auch ein Unternehmen allein sei dazu in der Lage, Vielfältigkeit herzustellen. Tatsächlich zeigt das Haus Bertelsmann ja, daß man sehr unterschiedliche Erzeugnisse unterschiedlicher publizistischer Tendenz herausgeben kann. Trotzdem wird über Medien Macht ausgeübt wird und es ist gut, wenn sie verteilt ist – auch wenn das nicht automatisch zur Vielfalt führt. Konzentrationskontrolle ist eine Mindestkontrolle.

Reality-TV und Sex und Gewalt auf dem Schirm sind heftig in die Diskussion geraten. Braucht es neue Gesetze?

Wir als Medienanstalten können nur Mindeststandards durchsetzen, die noch kein gutes Programm garantieren. Beim Jugendschutz haben wir immer gesagt: Die Hauptverantwortung liegt bei den Veranstaltern, die mehr tun müssen, als die Verletzung von Gesetzen zu vermeiden. Zum Teil verstehe ich nicht ganz die aufgeregte Debatte, die nach Zensurparagraphen ruft und die vielleicht nur von anderen Problemen ablenken soll. Trotzdem müssen die privaten Veranstalter mehr auf die Qualität des Programms achten.

Es gibt Leute die sagen – mit Blick auf Softpornos und Anbrüll- Sendungen – so ein schlechtes kommerzielles Programm wie in Deutschland könne man nirgendwo anders auf der Welt zeigen.

Das ist sicher ein bißchen überheblich. In Deutschland – wie auch anderswo – scheint es tatsächlich ein sehr starkes Unterhaltungsbedürfnis zu geben. Aber die privaten Veranstalter machen es sich zu einfach, wenn sie sagen sie sendeten bloß das, was die Leute gern sehen würden. Die Zahl der Zuschauer darf nicht das einzige Kriterium sein. Schließlich nutzen die privaten Veranstalter immer noch knappe Ressourcen, nämlich knappe Frequenzen. Ein Problem, das das Fernsehen nicht allein lösen kann, ist das Phänomen, daß offenbar ein zunehmender Teil der Bevölkerung gar nicht mehr an Information interessiert ist. Interview: Hans-Hermann Kotte