Ich lächle nicht

Das hat ja gedauert. Nach zwei Jahren jetzt endlich auch in Ihrem Kino: Dani Levys „I was on Mars“  ■ Von Anja Seeliger

Der Besitzer der Bar fährt „ihr“ mit den Fingern ins Gesicht, verhakt seine Zeigefinger in „ihren“ Mundwinkeln und zieht sie auseinander. „Smile“, fleht er. Pah! „Die“ nicht. Das verstieße gegen ihre ethischen Prinzipien.

„Sie“ (Maria Schrader) kommt aus Osteuropa. Dafür sprechen diese komischen Klamotten: Glockenrock und rote Knautschlederjacke, ein Graus (zumindest vor zwei Jahren, als der Film das erste Mal beim Saarbrücker Filmfestival lief, inzwischen läuft ja alle Welt wieder in diesem abscheulichen 70er-Jahre-Plunder herum). Und das Gesicht! Ein Ausdruck des Mißmuts, daß die Milch sauer wird, gepaart mit der entschiedensten Entschlossenheit, sich nicht übers Ohr hauen zu lassen. Die hysterisch alle möglichen Dienste feilbietenden Taxifahrer am New Yorker Flughafen ignorierend, hat sie sich in den einzigen Wagen gesetzt, dessen Fahrer geduldig im Auto sitzend die Kundschaft erwartete, in ihrem Wörterbuch geblättert und gesagt: „Zentrrrre.“

New York als Filmkulisse gab's ja schon ein paarmal. Man kennt das: Neuankömmlinge die in jedem Wolkenkratzer das Schokohäubchen auf dem gelobten Land vermuten. Überwältigende Park- Avenue-Häuser und smarte Städter, die dem Frischling das Fell über die Ohren ziehen, bis er sich mit seinem alle aus den Socken hauenden, überragenden, individuellen Talent durchsetzt. If I can make it there, I make it everywhere, it's up to you New York, New Yoooooork.

Man kennt das: die von obszöner Häßlichkeit veredelten Mietskasernen, in denen Abschaum wie taxi driver u.ä. ihr Dasein fristen bis zur konvulsivischen Eruption katholischer Gewalt. Oh ja, man kennt auch das ... na ja, jedenfalls gibt es etwa eine Million Ansichten von New York, die man in ungefähr 20 Millionen Filmen serviert bekommen hat, aber so hat man das überhaupt noch nicht gesehen. Dabei sieht es wahrscheinlich genau so aus, wenn man das erste Mal ankommt: über der Stadt eine graue Dunstglocke, so daß von der Skyline kaum was zu sehen ist, Autos, riesige Kreuzungen, bei deren Anblick einen schon allein die Vorstellung erschöpft, man müsse sie überqueren und runtergekommene Viertel, die auch nicht viel anders aussehen als in Berlin.

Sie fährt nicht bis zum Zentrrre. Zu teuer, wie ihr mißtrauischer Blick dem Taxifahrer zu verstehen gibt. An einer U-Bahn-Station steigt sie aus und verläuft sich in den endlosen Gängen. Schließlich setzt sie sich erschöpft auf ihren Koffer, während die Zuschauer im Kino, überwältigt von diesem Müdigkeitsgefühl, das einen in jeder großen Stadt überkommt, in der man sich nicht auskennt, ihre unteren Gliedmaßen reiben. Schmerzende Füße. Wer hätte jemals an einen Neuankömmling in New York in Kombination mit schmerzenden Füßen gedacht. Wahrscheinlich jeder, der schon mal da war. Nur Filmemacher schienen bisher dagegen gefeit.

Eine gute halbe Stunde sieht man ihr zu — von der Ankunft am Flughafen bis zu der Szene in der Bar — ohne daß groß was passiert. „Sie“ kann kein Englisch, also spricht sie mit niemandem. Sie nimmt ein Hotelzimmer, sieht sich die Stadt an, zieht in ein billigeres Hotel. New York ist unwahrscheinlich fremd mit dieser Fremden. Bald versucht man gar nicht mehr zu verstehen, was Hotelbesitzer, Verkäufer oder Kellner so daherreden (den Film unbedingt in der amerikanisch/polnischen Originalversion sehen!), „sie“ ist das einzige, was einem vertraut erscheint. Dieses mürrische, schweigsame Gesicht. Was will „sie“? Liebe, Karriere, eine Erbschaft antreten?

Schon recht, es ist ein langsamer Film, aber trotzdem sieht man ständig etwas. Wie sie in der ersten Nacht in New York in ihrem Hotelzimmer sitzt, fernsieht, dann anfängt zu heulen, das Licht ausmacht und im Dunkeln weiter fernsieht und heult. Oder sich einen Wolkenkratzer ansieht, der auf der Postkarte so viel eindrucksvoller aussieht als im Original, wo man sich beim Betrachten nur das Genick verrenkt. So zieht sich das dahin, und gerade als man genug von ihr hat, weil man langsam anfängt, selbst schon mürrisch zu werden, klaut ihr so ein Strizzi (Dani Levy), der sich in einem schmierigen Imbiß zu ihr gesetzt und Knoblauchzehen über sein Essen geschnippselt hat, das Geld.

Sie findet einen Job in einer Bar, den sie blitzartig wieder los ist („smile“, ho ho!), findet dafür den Dieb und heftet sich ihm und seinem Cousin (Mario Ciacalone) an die Fersen, zäh wie Fliegenleim, bis die beiden sie notgedrungen adoptieren. Womit Fahrt in die Geschichte kommt.

Ein bißchen jedenfalls. Aber darauf kommt es nicht so an. Dies ist ein langsamer Film. Ergo zählen die Kleinigkeiten. Als „sie“ bemerkt, daß der Knoblauchcasanova sie beklaut hat, stürzt sie auf die Straße, rennt nach rechts und nach links, kapiert, daß er weg ist, und dann schreit sie irgendwas Polnisches so wütend und so jammervoll, daß man plötzlich wieder kerzengerade in seinem Sessel sitzt. Es ist wie bei einer Symphonie, wo auf dem Höhepunkt der Schlagzeuger die Becken zusammenknallen muß. Kein Problem, wenn ein Geiger mal daneben greift, aber wenn die Becken nicht richtig aufeinandertreffen, ertönt statt des schmetternden Knalls nur ein kleines Pling! So was kann ein Konzert erledigen. Schrader trifft ihn, den Ton. Perfekt.

Dani Levy hat jede Menge Fallen aufgestellt, die er mit schöner Konsequenz elegant umgeht. „Sie“ hängt sich an die beiden Cousins (eine beleidigte Furie, die zeternd ihr Geld zurückverlangt? Falsch), geht irgendwann mit beiden ins Bett (große erotische Komplikationen? Falsch.), und sieht sich am Morgen danach überraschend der italienischen Mama gegenüber. Turbulente Auseinandersetzungen? Falsch, dafür komisch.

Nachdem „er“ ihr das Geld geklaut hat, geht sie in das Cafe zurück, in dem sie „ihn“ kennengelernt hat. Daß sie des Englischen nicht mächtig ist, wurde schon erwähnt. Und so klopft sie nach einem polnischen Wortschwall, den die Kellnerin ungnädig zurückweist, mit einer Knoblauchzehe auf den Tresen. Die Kellnerin grinst verständnisvoll und demonstriert ihre Meinung zu dem Halunken eindrucksvoll mit einem Steakmesser, das gehässig penibel den Knoblauch zerhackt. Genau so funktioniert dieser Film. Es ist eine Schande und völlig unverständlich, daß es zwei Jahre gedauert hat, bis er einen deutschen Verleih gefunden hat.

Zum Schluß fährt „sie“ wieder zurück, nach Hause. Was wollte sie nun eigentlich? Zum Abschied zeigt sie ihren zwei Liebhabern und den Zuschauern ein Foto. Da möchte man fast sagen: In weiter Ferne, und doch so nah. Vielleicht sollte Wenders es auch mal mit einem Stummfilm probieren.

„I was on Mars“. Regie: Dany Levy, Kamera: C.F. Koschnick, Drehbuch: Levy/Schrader. Mit: Maria Schrader, Dani Levy, Mario Ciacalone u.a., Deutschland/Schweiz 1991, 86 Min.