■ Nach dem Votum der Dänen über den Maastricht-Vertrag
: Ein uneuropäischer Anachronismus

Die Dänen haben dem Vertrag von Maastricht zugestimmt. Großbritannien und Deutschland werden wohl folgen. Wird dann der Europazug mit vollem Dampf Fahrt aufnehmen und zügig dem Ziel europäischer Harmonie, Gemeinsamkeit, Integration, des Wirtschaftswachstums und des Wohlstands entgegenfahren? Mitnichten. Denn das Problem der heutigen Europapolitik liegt nicht in der Annahme oder Ablehnung des Maastricht-Vertrages, sondern im Vertrag selbst.

Mit seiner gigantischen Häufung von verschachtelten Formelkompromissen und Konstrukten ist er intern alles andere als eine solide Grundlage für die Schaffung eines Lebensraumes neuer Art. Er ist nichts anderes als ein weiteres Hilfsmittel für ein Wirtschaftswachstum der ganz alten Art. Folgerichtig präsentiert sich auch der Binnenmarkt als ein Unternehmen, in dem die wirtschaftliche Entwicklung gemeinsam dereguliert wird und die Begleiterscheinungen, wie etwa die Arbeitslosigkeit, in nationaler Regulierung verbleiben. Die bestenfalls hälftige Akzeptanz in Frankreich und Dänemark und die nach allen Anzeichen nicht viel andere Lage in Deutschland spiegeln die Erkenntnis der Bürger EG-Europas wider, daß dieses Europa des Demokratie-, Sozial- und Umweltdefizits nicht das Europa ist, das sie wollen.

Im Außenverhältnis ist der Vertrag von Maastricht mit seiner Zusammenballung nationaler Egoismen eine einzige große Anstrengung, angesichts des radikal veränderten Umfeldes nach dem Ende der europäischen Teilung das in der EG bisher Erreichte zu erhalten und zu vertiefen und gleichzeitig die Meßlatte für alle anderen europäischen Staaten, die Mitglieder der EG werden wollen, so hoch wie möglich zu legen. Eine solche Festung Europa, der ein europäischer Wirtschaftsraum (EWR) und Kooperationsverträge mit osteuropäischen Staaten als Glacis vorgelagert bleiben sollen, ist heute, wo die Europapolitik von der Ganzheit Europas her neu gedacht und geführt werden muß, ein zutiefst uneuropäischer Anachronismus.

Das Dilemma ist dies: Platzt der Vertrag von Maastricht, drohen Rückfälle in frühere Nationalismen. Wird er in Kraft gesetzt, besteht die Gefahr einer Politik des zufriedenen „Weiter so“. Beides wäre schlecht, angesichts der Entwicklungen in Osteuropa sogar gefährlich. Die EG ist der einzige intakte Motor, der die Europapolitik voranbringen kann. Aber er wird seine Funktionsfähigkeit nur behalten können, wenn die Europapolitik der EG sich intern unmittelbarer an den Problemen der Menschen orientiert und sich nach außen konsequent auf das größere Europa hin ausrichtet. Nur wenn sie sich verändert, wird die EG einer internen Erosion und einer größeren Europakrise vorbeugen können. Hans Arnold

Ex-Botschafter in Den Haag, Rom und bei der UNO in Genf, Autor von „Europa am Ende? – Die Auflösung von EG und NATO“