„Ein gesundheitspolitisches Desaster“

■ Streitpunkt Drogenpolitik: SPD-Basis pfeift Senat zurück/ Interview mit Elke Steinhöfel

Die SPD-Mitglieder wollen eine andere Drogenpolitik, als sie der Senat zur Zeit betreibt. Auf ihrem Parteitag vergangene Woche beschlossen sie: Der Senat soll für mehr Methadonplätze sorgen, den Spritzentausch im Knast ermöglichen und die Angebote für drogenabhängige Prostituierte ausbauen. Vor allem mißbilligten die Parteimitglieder die Zerschlagung des Drogenstrichs. Ob der Senat diesen politischen Willen in Taten umsetzt, darüber sprachen wir mit Elke Steinhöfel, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

taz: Pfeift die Partei jetzt den Senat zurück, soll er die Zerschlagung des Drogenstriches rückgängig machen?

Elke Steinhöfel: Die Zerschlagung des Drogenstriches mit ihren Auswirkungen war falsch, denn die Frauen haben zum Beispiel keine gesundheitlichen Hilfen mehr. Daß die Hilfen für die Frauen ersatzlos verschwunden sind, das ist frauenfeindlich, inhuman, ein gesundheitspolitisches Desaster — das kann nicht so bleiben.

Soll der Senat nochmal über einen alternativen Standort für den Drogenstrich nachdenken?

Wenn man das bis ganz zu Ende durchdenkt, muß man sich irgendwann fragen, ob es nicht doch notwendig ist, an einem anderen Standort so ein Strichgeschehen zu haben.

: Die Fraktion hat sich ja im Herbst gegen einen alternativen Drogenstrich-Standort entschieden. Verläuft zwischen Fraktion und Landespartei eine Kluft?

Ja, kann man so sagen.

Meinen Sie, den Senat interessiert die Meinung des Parteitags überhaupt?

Die Landesparteitags-Beschlüsse sind die Richtlinien für Bürgerschaft und Senat, die müssen sich schon darum kümmern.

Ist es nicht so, daß sich die Fraktion schon einmal nicht darum gekümmert hat?

Nein, es hat ja drogenpolitisch noch überhaupt keine Landesparteitagsbeschlüsse gegeben, nur Fraktions- und Senatsbeschlüsse — dies ist der erste grundsätzliche politische Beschluß hier in Bremen. Also wird sich auch der Gesamtsenat mit diesen Forderungen, die unsere Senatoren einbringen müssen, auseinanderzusetzen haben.

Sie haben den Spritzentausch im Knast gefordert. Anstaltsleiter Hoff ist allerdings strikt dagegen.

Ehe man zuläßt, daß die Leute sich mit Kugelschreibern das verpanschte Heroin in die Adern jagen, muß man eigentlich aus gesundheitspolitischen Gründen dafür sein, daß sie saubere Spritzen bekommen.

Das hieße ja, daß Justizsenator Scherf seinen Leuten in der Behörde den Marsch blasen und sagen muß, nun setzt das auch mal um...

Ich glaube, auch er hat eine Abneigung dagegen, daß die Spritzen im Knast ausgegeben werden. Da hoffe ich ein bißchen auf die anderen Bundesländer. Die rheinland- pfälzische Ärztekammer zum Beispiel sagt, es sei grob fahrlässig, im Knast keine Spritzen auszugeben. Vielleicht spricht sich das ja auch in Bremen herum.

Früher hatte Bremen eine progressive Ausstrahlung auf andere Länder, jetzt hat sich das wohl umgekehrt ...

Ja, das stimmt. Wir sind drogenpolitisch hier ein Stück weit repressiv rückläufig. Es war dem Parteitag ein großes Anliegen, daß wir wieder Anschluß finden an die anderen. Daß wir nicht so agieren wie konservativ regierte Bundesländer.

Rückständig sind also Senat und Fraktion, während die Leute in Beiräten und Ortsvereinen frisch vorneweg marschieren...

Das macht ja auch die Bürgerferne mancher Politiker aus. Wenn man in die Beiräte guckt und in die Ortsvereine, die sind sehr aufgeschlossen, weil sie das Junkie-Elend sehen und das auch nicht mehr so ganz lange aushalten. Und dann sehen sie auch die Begleitkriminalität. Da fragen die sich ganz rational und kühl: Wollen wir Drogen auf alle Ewigkeit kriminalisieren, oder sollen nicht Schwerabhängige das Zeugs vom Arzt kriegen. Da sind die in der Tat sehr viel weiter.

Wieso beantragt Bremen eigentlich nicht selbst ein Modell „kontrollierte Heroin-Abgabe an Junkies“? Es ist ja ein bißchen billig, die Initiativen Hessens und Hamburgs im Bundesrat zu unterstützen.

Das Bundesgesundheitsamt wird nicht mehrere parallele Projekte finanzieren. Wenn Hessen das juristisch durchbekommt, dann können wir uns auch in Bremen neu sortieren.

Wieviele Menschen würde solch ein Programm betreffen?

Vielleicht hundert, aber dann nur langjährige Bremer Abhängige, für die wir sonst überhaupt keine Alternative haben.

Sie fordern ja lauter Dinge, die Geld kosten: mehr Streetworker im Viertel oder mehr Unterbringungsmöglichkeiten für drogenabhängige Frauen ...

Jeder Bürger in Bremen hat ein Anrecht auf Obdach, das steht in der Landesverfassung, das kann man auch erklagen. Das ist existentielles BürgerInnenrecht hier in der Stadt.

Interview: Christine Holch