Hüttendorf „Anatopia“ entzweit Umweltschützer

■ Konflikt um Papenburger Teststrecke und A 33 / Niedersächsische Umweltgruppen auf Distanz zu Grünen

„Strukturschwache Region“ lautet das Schlagwort für die Gegend südwestlich von Oldenburg. Ein paar Bauernhöfe, die Bundesstraße 401 führt kilometerlang ohne Kurve durch das platte Land; Menschen, vor allem junge Leute, sind selten.

Etwas ab von der Bundesstraße südlich von Papenburg liegt direkt an einer verkehrsarmen Landstraße eine bunte Ansammlung von gut einem Dutzend Torfhütten und vier Bauwagen: das Hüttendorf Anatopia.

Seit fast zwei Jahren hausen dort Ökofreaks, junge Politniks und Einheimische auf dem Gelände der geplanten Teststrecke, die Mercedes Benz hier mit Zustimmung der niedersächsischen Landesregierung errichten will.

Auf dem Spiel stehen mehr als sechs Quadratkilometer gewachsener Moorlandschaft inmitten eines der größten zusammenhängenden Moorgebiete, die es noch in der Republik gibt. Unter der Regierung Albrecht war die Region noch als schützenswert eingestuft worden, sollte Renaturiert werden. Die rot-grüne Landesregierung hat Mitte März eine Änderung des noch gültigen Landesraumordnungsprogramms von 1982 beschlossen, daß die Region als Naturschutz- und Erholungsgebiet auswies. Die Änderung ist Vorraussetzung für einen erfolgreichen Abschluß des Raumordnungsverfahrens der Bezirksregierung Weser-Ems. Ohne diesen formellen Rahmen darf die Landesregierung das Areal nicht an den baufreudigen Konzern verkaufen. Noch laufen Widerspruchsverfahren von Teststreckengegnern gegen die Änderung des Flächennutzungsplans.

Die umliegenden Gemeinden sind fraktionsübergreifend begeistert von dem Plänen des Konzerns. Vor allem erhofft man sich neue Arbeitsplätze: 300 hat Mercedes versprochen. Ein Argument, das die Kritiker nicht gelten lassen wollen. Schließlich brauche Daimler qualifizierte Fachkräfte, so ein Bewohner des Hüttendorfes. „Die Testfahrer und Techniker sind doch jahrelang ausgebildet und werden von Daimler mitgebracht. Davon haben die Bauern hier nichts.“

Die Landes-Grünen stehen dem Projekt nach anfänglicher Skepsis allerdings nicht mehr ablehnend gegenüber. Zum einen fühlt man sich durch die Hannoveraner rot-grünen Koalitionsbeschlüsse, nach denen bereits begonnene Großprojekte auch zu Ende geführt werden sollen, gebunden. Zum anderen ist dies Projekt eines der ersten, die von Ausgleichsmaßnahmen wie der Entsiedlung und Renaturalisierung von Flächen an anderem Orte begleitet werden und den ökologischen Schaden in Grenzen halten sollen.

Den Besetzern reicht das nicht. „Kosmetik“ nennt einer den Plan, für die zerstörten Naturgebeite andernorts wieder aufzuforsten. Die Zerstörungen durch die geplante Teststrecke seien zu gravierend. Die ohnehin in Deutschland raren Moorgebiete würden um über 1.000 Hektar Feuchtgebiete dezimiert, über 100 auf der sogenannten Roten Liste erwähnten Tier- und Pflanzenarten würden ihren Lebensraum verlieren. Zudem würde durch die für den Bau notwendige Trockenlegeung des Moores der Grundwasserspiegel weiter absinken, das durch die Landwirtschaft stark belastetet Trinkwasser noch weiter gefährdet.

Parallelen zur bis 1987 im baden-würtenbergischen Boxberg geplanten Teststrecke, die durch Widerstand vor Ort verhindert wurde, lassen laut dem Arbeitskreis Teststrecke auch eine militärische Nutzung des an sich für zivile Technik geplante Anlage befürchten.

Es gärt bei der niedersächsischen Naturschützerbasis. Bei einem Gesprächstermin zu den Themen „Teststrecke“ und „Ausbau der A 33“ mit der Grünen Landtagsfraktion am vergangenen Montag in Hannover trugen Umweltaktivisten mit einem bemalten Sarg symbolisch die Zusammenarbeit mit der Partei im Umweltfragen zu Grabe. Die Partei weigere sich weiterhin, Großprojekte wie diese und die EXPO im Kabinett anzusprechen oder gar zur Koalitionsfrage zu machen.

Das Beispiel „Anatopia“ hat aber bereits Schule gemacht. Beim Gespräch dabei war eine Gruppe junger Leute, die im 120 km entfernten Dissen südlich von Osnabrück seit dem 24. April mit einem Zeltlager den Weiterbau der seit den Fünfziger Jahren geplanten Autobahn 33 verhindern wollen. Diese soll nah der Landesgrenze das Autobahnkreuz Osnabrück mit der A 2 bei Bielefeld verbinden und bei Dissen die B 68 kreuzen. Auf dem Gelände eines Biobauern haben sich die Besetzer in Sichtweite eines Brückenrohbaus angesiedelt. Eine Gemeinschaftshütte ist in Arbeit, ein Donnerbalken errichtet.

Der ist bereits jetzt den Behörden ein Dorn im Auge. Ein Schreiben des Hochbauamts Osnabrück wirft den Besetzern vor, daß durch das erste Gebäude des sich gerade konsolidierenden Hüttendorfes „die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt und das Landschaftsbild verunstaltet“ würde. „Eine Frechheit“, findet ein Sprecher des Anti-A33-Camps angesichts des geplanten Autobahnbaus.

Auch hier sind die formaljuristischen Hürden der Landesregierung längst nicht aus dem Weg geräumt, über die Klage des Biobauern gegen den Weiterbau ist zum Beispiel noch nicht entschieden. Auch das Land Nordrhein-Westfalen ist vom grenzüberschreitenden Ausbau der A 33 und dem Engagement der Niedersachsen wenig begeistert, blockiert die örtlichen Planungsverfahren und will sich nur dem Druck des Bundes fügen.

Zudem wächst der Druck der eigenen Bundespartei auf die niedersächsischen Grünen. Fast einstimmig forderten die 600 Delegierten des Bündnis 90/Grüne in Leipzig die niedersächsischen Landesgrünen dazu auf, die Besetzer zu unterstützen, eine Räumung zu verhindern und sich in ihrer Koalition dafür einzusetzen, daß die angeordnete „sofortige Vollziehbarkeit“ der Baumaßnahmen zurückgezogen wird.

Vielleicht ein Hoffnungsschimmer für die Besetzer, mehr als nur noch den zweiten Geburtstag Anatopias am 4. Juli zu feiern. Lars Reppesgaard