Theatertreffen etc.
: Am falschen Ort?

■ Am Donnerstag ging das 30. Berliner Theatertreffen zu Ende

Es ist heiß in der Stadt, im Spiegelzelt des Berliner Theatertreffens noch ein bißchen mehr. Abend für Abend, Morgen für Morgen hatte hier drei Wochen lang das Publikum mit dem Theater diskutiert – respektive die Zuschauer mit den Machern. Heute nun, die Sonne über der Stadt hat gerade ihren höchsten Punkt überschritten, geht es ein letztes Mal um alles: an der Rückwand des Kreisrunds aufgereiht, stellt sich die elfköpfige Jury des Berliner Theatertreffens der alljährlichen Abschlußdiskussion.

Um es gleich klarzustellen, auch die Festivalmacher haben mittlerweile erkannt, daß das Theater derzeit in einer Krise steckt – „schwierige Phase“ nennt das leicht verniedlichend Gerhard Jörder, der diesjährige Klassensprecher der Juroren. Kulturpolitisch, finanziell, strukturell, aber auch künstlerisch steht man allerorten vor dem Desaster. Das Publikum ist nicht mehr treu-gebündelt in die Stadttheater zu locken, und bei derart rigiden Etatkürzungen wie dieser Tage in Basel gibt es diesmal nicht den gewohnten „kollektiven Widerstand“.

Das ist fürwahr eine ungemütliche Situation, weiß Herr Jörder, und weil das Theater nicht weniger (aber auch nicht mehr) als die „künstlerische Spiegelung der ratlosen Gesellschaft“ sein kann, ist das Theater an seiner Krise eben auch nicht selber Schuld. Und das nie aus dem Kreuzfeuer der Kritik geratene Theatertreffen schon gar nicht.

Auch wenn es die Journaille gerne so hätte, in der Jury gibt es keine mafiosen Zustände, betont man auf dem Podium, kein Berlin-Bonus, kein Ost-Bonus, kein Peymann-Malus (auch wenn's der nicht glauben will). Aber weil es so heiß ist im Spiegelzelt und sich keiner mehr so recht konzentrieren kann, dringt nach einer Stunde Wortgeplänkel dann doch ein interessantes Detail an die interessierte Öffentlichkeit: Ganz privatissimo, hinter verschlossenen Türen, am ach so demokratisch runden Tisch der Jury fragt man sich schon gelegentlich, ob diese oder jene Inszenierung, am heimischen Ort durchaus für bemerkenswert gehalten, in der Theaterhauptstadt Berlin wohl Bestand haben würde.

Das nur selten wirklich spektakuläre Theatertreffen residiere eben „am falschen Ort“, mischt sich Reinhard Sturm, Kritiker aus Basel und früher selbst Jurymitgleid, in die bisher so einträchtig geführte Debatte: Hier, wo das Publikum so verwöhnt ist, sage man doch ein um's andere Mal: „Das geht in Berlin nicht.“ Und so manche inspirierte, innovative, vielleicht kritikwürdige Provinzinszenierung muß dann zu Hause bleiben. Auch Erika Stephan, Jurorin aus Leipzig, weiß von einem Problem zu berichten, das da heißt: dem Standort Berlin gerecht werden, „ohne die Ost- Herkunft einer Inszenierung zu verleugnen“. Da sei es schon die weisere Entscheidung gewesen, Jo Fabians „Simple Swan“ in Cottbus zu lassen, und dafür die weniger abstrakte „Besessene“ von Konstanze Lauterbach nach Berlin reisen zu lassen. Es ist eben doch nicht immer das „Beste“, wie oft und fälschlicherweise angenommen, das nach Berlin geholt werden soll: „Bemerkenswert ist etwas anderes.“

Nun also hat man endlich den Schuldigen für die langweilige Misere des Theatertreffens ausgemacht: Das Berliner Publikum ist nicht so, wie es das Theatertreffen bräuchte. „Gnadenloser Laufsteg Berlin“. Da muß sich nun aber der Berliner Kultursenator Roloff-Momin einmischen: Der Berliner als solcher sei doch ein großzügiger Mensch, und daß Valentin Jekers „Woyzek“ hier am Ende durchgefallen sein könnte, weil das eine Bonner Inszenierung war, mag er nun wirklich nicht glauben. Auch Torsten Maß bricht noch schnell eine Lanze für die Einheimischen, schließlich hat man die Berliner in den letzten 29 Jahren, Theatertreffen für Theatertreffen, durch eine „Schule des Sehens“ geschleust. Kein Wunder, daß sie jetzt überall, nur eben nicht in Berlin, in Scharen davonlaufen.

Und so wird man sich also auch im nächsten Jahr wieder in Berlin einfinden, aus Leipzig, Cottbus oder München anreisen, vielleicht wieder einmal aus Wien – und wenn es sein muß auch aus Bonn. Und die bösen, gut geschulten Berliner, rechte Theaterhauptstädter eben, müssen dann wieder herhalten. Wenn's denn der Wahrheitsfindung dient... Klaudia Brunst