Interventionen sind fast immer gescheitert

Wie beurteilt die Gründergeneration der Bundeswehr den Drang, die Armee wieder in alle Welt zu schicken? Wie verhält sich diese Politik zu der Tradition, in der Soldaten Bürger in Uniform sein sollen? Gerd Schmückle, 1978 der ranghöchste deutsche Soldat bei der Nato, sieht einen klaren Bruch mit der Geschichte.

taz: Herr Schmückle, wie war das ursprüngliche Selbstverständnis der Bundeswehr und ihrer Gründergeneration?

Gerd Schmückle: Da gab es, etwas vereinfacht gesagt, zwei Denkschulen. Die, die reformieren wollten, die wollten, daß die Bundeswehr sich in einen demokratischen Staat reibungslos einfügt und nicht in die Rolle der Reichswehr oder der Wehrmacht zurückfällt. Die Reichswehr war ja letztlich geistig gegen die Republik eingestellt – das wollten wir bei der Entwicklung der Bundeswehr auf jeden Fall vermeiden. Inhaltlich ging es uns um Kriegsverhinderung und Kriegsvermeidungsstrategien im Vorfeld. Die andere Denkschule wollte dagegen das traditionelle Soldatenbild wiederbeleben – Heldentum, der Soldat als etwas Besonderes innerhalb der Gesellschaft. Dieser Konflikt hielt bis ungefähr 1960 vor. Personell machte sich das fest an Baudissin, der die demokratische Armee wollte, und einigen Militärideologen auf der anderen Seite.

taz: Welchen biographischen Hintergrund hatten denn die Vertreter des – nennen wir es einmal so– demokratischen Flügels?

Das waren alles Kriegsteilnehmer, die die Enttäuschung und den Mißbrauch, der mit ihnen getrieben worden war, hinter sich hatten. Die stärkeren Bataillone standen aber zunächst auf seiten der Traditionalisten. Dazwischen gab es eine Menge Opportunisten, die Lippenbekenntnisse zur Inneren Führung ablegten, tatsächlich aber nur darauf warteten, welche Seite sich letztlich durchsetzen würde.

Verstanden sich denn Baudissin, Sie und die anderen Protagonisten einer demokratischen Armee in der Tradition des 20. Juli?

Der 20. Juli war ein ungeheuer umstrittenes Thema. Das war ja, formal gesehen, Landes- und Hochverrat gewesen. Während wir meinten, der 20. Juli müßte in die Tradition der Bundeswehr übernommen werden, war die Mehrheit zunächst dagegen. Eines Abends wurde ich vom Adjutanten des damaligen Generalinspekteurs General Adolf Heusinger angerufen, der mich bat, einmal eine Formulierung für einen Aufruf zum 20. Juli vorzulegen. Mein Stellvertreter und ich haben dann in einem Gemeinschaftswerk einen Aufruf formuliert, den Heusinger auch tatsächlich unterschrieben hat. Damit hat sich das Gedenken an den 20. Juli dann doch durchgesetzt.

Aber das bedeutet, die Gründer der Bundeswehr kamen nicht direkt aus dem Umkreis des 20. Juli.

Nein, Baudissin kam zwar aus dem Regiment, in dem die meisten Mitverschwörer auch waren, aber er war an dem Attentat nicht beteiligt. Außerdem kamen manche Widerständler des 20. Juli ja aus der stockkonservativen Ecke, waren also nicht gerade prädestinierte Reformer. Unsere Hauptmotive damals waren neben den Grundsätzen der Inneren Führung die Westintegration, die Faszination eines weltweiten Büdnisses wie der Nato. Wir wollten auf gar keinen Fall eine Armee, die sich wieder allein auf Deutschland zurückzieht. Wir wollten den Soldaten die westliche Welt öffnen. Unser Ziel war, mit dafür Sorge zu tragen, daß ein deutscher Soldat sich in Oslo oder Washington oder Paris wieder in Uniform zeigen kann, ohne daß die Leute ihn anspucken oder ihn beschimpfen.

Wann waren sie soweit?

Wenn ich micht recht erinnere, war das erstmals 1958 in Frankreich. Wir haben da an einem Manöver teilgenommen. Der französische Bahnhofsvorstand stand da und wartete auf die Soldaten. Dann hielt der Zug, ein Offizier sprang raus – Pfiff –, und die ganze Truppe kam auf einen Schlag hinterher. Da meinte der Bahnhofsvorsteher, „mon dieu, das sind ja noch dieselben“. Die Bevölkerung hat die deutschen Soldaten aber ganz fair aufgenommen. In England war es auch relativ leicht, aber schwerer war es in Norwegen und in den Niederlanden, zum Teil auch in Dänemark. In den USA gab es dagegen überhaupt keine Probleme.

Welchen Anteil an der Reintegration deutscher Soldaten hatte denn dabei die Blockräson, und welchen Teil machte die Veränderung der Bundeswehr gegenüber der Wehrmacht aus?

Nun ja, zunächst wollten die ja deutsche Soldaten, anders wäre das in der Konfrontation ja nicht zu schaffen gewesen. Im Grunde genommen feixten die über unsere Innere Führung. Den Engländern und Franzosen wäre am liebsten eine Truppe wie die Wehrmacht gewesen. Die war effizient, und das war denen das wichtigste. Die lachten immer, wenn wir denen erzählten, wir machen das jetzt liberaler und anders. Das würde ja nie eine gute Armee. Also, die Verbündeten standen eher auf seiten der Traditionalisten. Wir wollten beweisen, daß wir mit einem anderen Führungsstil mindestens eine genauso gute Armee machen können. Das ist uns auch gelungen. Für uns war das Prinzip der Inneren Führung ja eigentlich nie als Exportartikel gedacht, doch jetzt sind plötzlich osteuropäische Armeen an ihr interessiert.

Bedeutet das, daß es zwischen Soldaten ein professionelles Verhältnis gibt, das dann auch relativ kurz nach dem Krieg eine Zusammenarbeit ermöglichte?

Ja, unbedingt, Armeen zusammenzulegen ist ja auch relativ einfach. Die denken alle ähnlich. Als beispielsweise in Portugal die Nelkenrevolution stattfand, hatte Kissinger Portugal bereits aufgegeben. Er meinte, das Land ist für den Westen verloren, es ist vorbei. In der Nato-Führung hatten wir auch eine Riesensorge, daß die Russen in Lissabon ihren ersten Atlantikhafen bekommen würden. Willy Brandt sagte damals, wenn die Russen andampfen, legt ihr euch mit euren Schiffen quer vor den Hafen, und dann sollen die als erste schießen. Dann werden sie sehen, was wir machen.

Was hätte die Nato gemacht?

Zuerst gedroht, aber dann wohl auch geschossen. Der erste Hafen am Atlantik wäre eine Katastrophe für den Westen gewesen. Das ist ja glücklicherweise alles Theorie geblieben. Denn, die Revolution in Portugal wurde ja von Soldaten gemacht. Das waren ja alles Offiziere. Deshalb sagten wir uns, mit denen müßte man das doch auch so hinkriegen. Zum Bundeskanzler haben wir damals gesagt, es verspricht wenig Sinn, wenn Sie mit denen reden. Das sollte man erst einmal von Soldat zu Soldat versuchen. Verteidigungsminister Leber war dann einverstanden, daß wir mit denen reden. Wir haben die Revolutionsführer eingeladen, privat, und mit denen geredet. Einer von ihnen schrie immer, alle Macht dem Volke, aber trotzdem gelang es an dem Abend, selbst diese radikalisierten Soldaten auf eine vernünftige Linie herüberzubringen. Also, es ist relativ leicht, sich unter Soldaten zu verständigen. Portugal wurde dann ja von Nato-Politikern zu einem klassischen Nato-Land gemacht.

Wollte Strauß tatsächlich eine Partizipation an den Atomwaffen?

Wir wollten eine europäische Atommacht. Auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Amerikaner nicht einfach mit uns Schlitten fahren können, sondern wir eine Art Mitbestimmung haben. Das lief zu Beginn mit den Franzosen sehr gut, wurde dann aber von de Gaulle radikal vernichtet. Der wollte seine Atommacht als eigene nationale Bombe zum Zwecke knallharter Machtpolitik. War ja auch erfolgreich, die sitzen ja heute noch im Sicherheitsrat. Als nächster Schritt, als klar war, daß aus einer europäischen Atommacht nichts werden würde, kam für Strauß dann der Versuch, wenigstens eine Mitsprache bei den Atommächten der Nato durchzusetzen, wenn Deutschland als Einsatzgebiet betroffen war.

Also stimmt der Vorwurf, Strauß hätte versucht, eine deutsche Atombombe zu bauen, nicht?

Wir haben immer die gleiche Linie vertreten. Wir wollen eine europäische Atommacht. Das haben wir auch Hahn, Weizsäcker und Heisenberg gesagt, die damals den Aufruf der Professoren vertraten. Eine deutsche Atomwaffe war ja politisch völlig unmöglich.

Wurde der Aufbau der Bundeswehr denn gleich mit der Nato abgestimmt?

Ja, natürlich. Wir haben ja auch bewußt auf einen deutschen Generalstab verzichtet. Die Befehle im Kriegsfall sollten von der Nato aus Paris bzw. später aus Brüssel kommen. Also, für uns gab es damals drei Integrationslinien: einmal in die Gesellschaft, einmal in den demokratischen Staat und in die atlantische Gemeinschaft.

Das war auch die Linie von Verteidigungsminister Strauß?

Ja, ganz entschieden. Vor allem die Westintegration war für Strauß wichtig.

Herr Schmückle, die heutige Debatte über den weltweiten Einsatz der Bundeswehr wird in ihrer Bedeutung häufig mit der Wiederbewaffnung verglichen. Sehen Sie das auch so, und halten sie eine solche Entwicklung für einen Bruch mit der bisherigen Tradition der Bundeswehr?

Das ist ganz klar ein Bruch. Wir waren ja strikt auf Kriegsverhinderung aus und nur, wenn die versagt, Verteidigung. Sonst nichts. Ich bin auch heute noch der Auffassung, daß Kriegsverhinderung die modernere, entscheidende Aufgabe von Streitkräften ist. Ich habe schon Sorgen, daß mit dem neuen Rummel die Techniken der Kriegsverhinderung, die wir vierzig Jahre entwickelt haben, verlorengehen.

Wer betreibt denn diese Entwicklung? Von welchem Machtzentrum wird sie forciert?

Von einigen Politikern. Ich kenne keinen namhaften Militär, der nach Bosnien will ...

Bosnien steht bei den Out-of- area-Planungen ja aber auch nicht ernsthaft zur Debatte.

Also, ich bin von Politikern sowohl der SPD als auch der Union empört angerufen worden, nachdem ich mich explizit gegen ein militärisches Eingreifen in Bosien öffentlich ausgesprochen habe.

Seit wann gibt es die Diskussion um Out-of-area-Einsätze? In einem Vortrag, den der jetzige Generalinspekteur Naumann im Frühjahr 1989, also vor dem Fall der Mauer, gehalten hat, wird bereits deutlich die Aufgabe der deutschen Zurückhaltung gefordert.

Es gibt natürlich auch Leute in der Bundeswehr, die so was schon immer gefordert haben, aber Klaus Naumann gehört sicherlich zu den nachdenklichen, vorsichtigen Offizieren. Nein, meine Sorge sind einige Politiker, die offenbar während des Golfkrieges eine traumatische Erfahrung gemacht haben, aufgrund derer sie glauben, im Westen isoliert zu sein. Völlig zu Unrecht, denn die Bundesregierung hat erheblich mehr getan, als sie hätte tun brauchen, bis hin zu den 16 Milliarden Dollar, die sie den USA unnötigerweise überwiesen hat.

Gibt es nicht auch in der Bundeswehr eine neue Generation, die endlich wieder mitmachen will, die nicht mehr selbst die Kriegserfahrung gemacht hat und nun wieder loslegen möchte?

Nun ja, das ist immer so. Wenn die Veteranen in den Altersheimen verschwinden, wenn sie Glatzen bekommen und ihnen die Zähne ausfallen, verharmlost sich Krieg in den Köpfen der Jungen. Außerdem denkt der Nachwuchs, wir sind ja jetzt auf der Seite der Gewinner, da kann ja nichts mehr schiefgehen. Was jetzt als Krieg kommen könnte, bedeutet ja Überfall einer großen Macht auf einen Kleinen. Was als neue Weltordnung daherkommt, heißt ja, die Kleinen werden bestraft, aber die Großen machen weiter wie bislang. Es ist unvorstellbar, daß China oder Indien für welche Fehltritte auch immer militärisch sanktioniert würden, oder die USA oder Brasilien – deshalb ist natürlich die Bereitschaft zu Interventionen groß, weil man denkt, wir gehören ja in jedem Fall zu den Siegern. Die ganze Interventionspolitik ist ein Bruch mit der bisherigen Tradition der Bundeswehr – aber ich will wenigstens wissen, was ich mit einer Intervention erreichen kann. Für mich entscheidet sich die Frage einer Intervention immer noch am nationalen und Allianz- Interesse. Was bedeutet es für mein Land, zu intervenieren, um was geht es? Wenn eine Intervention notwendig ist, um etwa unser wirtschaftliches Überleben zu sichern, kann das als letztes Mittel sinnvoll sein. Aber doch nicht, wenn Herr Bush plötzlich meint, er muß nach Somalia, und kein Mensch weiß, warum. Den Golfkrieg hab' ich ja noch verstanden. Ein Land hat ein anderes überfallen, und es ging natürlich um Öl. Die Annexion Kuwaits hätte das Gleichgewicht im Nahen Osten dramatisch verändert und Israel extrem gefährdet. Aber was sollen wir in Somalia?

Wie geht es eigentlich zusammen, daß der Umfang der Bundeswehr erheblich reduziert wird, ihr Aufgabengebiet aber ausgedehnt werden soll? Soll der Bundeswehr damit ein Prestigezuwachs als Ausgleich für den Sparzwang verschafft werden?

Nein, das glaube ich nicht. Das entspricht dem verbreiteten Gefühl, „wir sind wieder wer“. Dabei sind wir mit der Vereinigung auf Jahre hinaus extrem schwächer geworden. In dieser Lage wäre die erste Aufgabe der deutschen Außenpolitik, alle Krisen von dem Land fernzuhalten und uns in keine Krise einzumischen. Das ist das nationale Interesse.

Trotzdem hat der von Ihnen so geschätzte Generalinspekteur Klaus Naumann ein Interventionskonzept für weltweite Einsätze entwickelt ...

Na ja, weltweit, das ist auch so ein Mummenschanz. Dafür haben wir doch gar keine Mittel. Wenn die Transall bis Somalia kommen, können wir doch froh sein. Das Wort weltweit würde ich als Generalinspekteur aus dem Wortschatz der Bundeswehr sofort streichen. Der Trend zum weltweiten Eingreifen ist eine militärische Hochstapelei, jede Intervention muß hundertmal überlegt werden, und es ist einfach eine Lüge, zu behaupten, die Bundeswehr wäre nicht bündnisfähig, wenn sie sich einem weltweiten Interventionskonzept verweigern würde. Der Vorteil der Nato ist ja, daß jedes Mitgliedsland selbst entscheidet, welche Mittel es im Bündnisfall zur Verfügung stellt. Die Regierungen werden in ihrer Entscheidung nicht eingeschränkt.

Kann es sein, daß eine längere Friedenszeit Gewaltbereitschaft akkumuliert?

Das wäre eine Erklärung. Lange Friedenszeiten können so etwas hervorrufen. Dabei hat Westdeutschland noch nie eine so gute Zeit erlebt wie in den letzten vierzig Jahren. Das aufs Spiel zu setzen wäre schon verrückt. Als Begründung höre ich dann, es ginge um das deutsche Ansehen in der UNO. Mir ist das Ansehen in der UNO so entscheidend nicht. Da sitzen fünf Staaten drin, die haben das Sagen. Im Grunde sind es letztlich lediglich die USA, die bestimmen, wo es in der UNO langgeht. Die USA sind daher für uns nach wie vor entscheidend.

Geht es nicht über die Frage des Ansehens hinaus auch um realen Einfluß innerhalb der EG und der Nato?

Die Nato ist zur Dienstmagd der UNO gemacht worden, was ich für falsch halte. Es geht vielleicht, regionale Ordnungssysteme zu schaffen, innerhalb derer die Nato für Europa wichtig wäre. Analoge Zentren könnte man für Afrika, Amerika und Asien schaffen, aber eine globale Ordnungsmacht kann noch nicht funktionieren.

Wie sähe Ihr Programm für die Zukunft der Bundeswehr aus?

Ich würde heute eine Europaarmee ins Leben rufen. Genau dort anfangen, wo es in den fünfziger Jahren an de Gaulle gescheitert ist. Dann hätte dieses Europa erst einmal einen Grundstock für eine gemeinsame Politik. Das wäre relativ einfach zu machen. Es geht nur um die Führungspositionen, dann haben sie die Euro-Armee ganz schnell. Dann kann dieses Europa wenigstens militärisch so geschlossen auftreten, daß sich auch die Politiker gegenüber Problemen wie dem Krieg in Jugoslawien einigen müssen.

Europa-Armee heißt EG-Armee?

Ja, im wesentlichen. Es geht ja nur darum, einen europäischen Oberbefehlshaber zu ernennen und den USA zu sagen, wenn was atlantisch gemacht werden muß, habt ihr den Oberbefehl, geht es um Europa, kommandiert ein Europäer. Die Stäbe blieben atlantisch, die Armeen national. Die gemischten Korps halte ich für eine Fehlentwicklung.

Welches Konzept der Kriegsvermeidung könnte eine Euro-Armee angesichts der Verwerfungen um uns herum denn haben?

Wenn wir eine Euro-Armee gehabt hätten, in die auch Osteuropäer integriert gewesen wären, wäre der Krieg in Jugoslawien vielleicht gar nicht passiert. Ein solche Organisation integriert enorm stark. Jetzt besteht dagegen die umgekehrte Gefahr, daß der Krieg in Jugoslawien den Zusammenhalt der Nato-Länder vielleicht sogar auf lange Zeit schwächt.

Bedeutet das, die Nato hat Angst, von dem Krieg in Jugoslawien infiziert zu werden?

Ja, und das will ich nicht. An dem Krieg in Jugoslawien ist ja niemand außer den Beteiligten wirklich schuld. Einer der Auslöser war Tudjman, der unglücklicherweise die Verfassung geändert hat und dadurch die Rechte der serbischen Minderheit in Frage stellte. Die Serben haben daraufhin panische Angst bekommen. Dann hat EG- Chef Delors zu Milošević gesagt, er bekäme 1,5 Milliarden Dollar Unterstützung, wenn er das Land zusammenhielte. Das konnte Milošević gut als ein Mandat verstehen, das Land unter Umständen auch mit dem Einsatz der Armee zusammenzuhalten. Für die EG war Jugoslawien doch nur Transitland und Schuldner. Schulden zurückzahlen konnte natürlich nur ein vereintes Jugoslawien. Das entlastet die Serben und andere nicht von den Grausamkeiten, die nachher geschehen sind, nur ist es völlig falsch, nun zu sagen, Milošević hätte aus heiterem Himmel einen Krieg begonnen.

Und jetzt kann man den Krieg, wie sie gesagt haben, nur noch ausbluten lassen?

Ja, ich bin dafür sehr angegriffen worden, aber ein Krieg ist blutig, das muß man nicht sprachlich verbrämen. Wenn jetzt von außen eingegriffen wird, wird er doch noch blutiger. Bombenangriffe stärken nur den Zusammenhalt zwischen Bevölkerung und Regime, eine solche Strategie kann nur scheitern. Was macht Clinton dann? Bodentruppen will er nicht schicken, was denn? Die einzige Möglichkeit ist, sie gehen da mit etlichen hunderttausend Mann rein und besetzen das Land für lange Zeit. Dann werden sie plötzlich alle gegen sich haben und schnell feststellen, daß Serben, Kroaten und Moslems sich gegen die Besatzer einig sind. Das ist ja jetzt schon keine Armee, die dort kämpft, das sind Freischärler, und die werden sich natürlich gegen die Besatzer wenden. Ich kämpfe seit zwei Jahren gegen die Interventionspläne, und ich werde verlieren, das ist mir schon klar. Gegen die Fernsehbilder aus Bosnien kann man wahrscheinlich nicht an.

Hat der Krieg in Jugoslawien auch damit zu tun, daß durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens die Serben sich möglicherweise aus Europa ausgesperrt fühlten?

Ich denke ja. Ich war immer gegen die total einseitige Verteufelung der Serben. Sie können ohne die Serben keinen Frieden machen. Kinkels Idee, einen Kriegsverbrecherprozeß wie in Nürnberg anzustreben und gleichzeitig mit den Leuten zu verhandeln, die später alle auf die Anklagebank sollen, das kann doch nie Frieden schaffen. Diese Unlogik ist geradezu fabelhaft.

Sehen Sie noch eine Möglichkeit, die Zukunft der Bundeswehr, die Aufgaben, die diese Armee zukünftig haben soll, unabhängig von dem Krieg in Jugoslawien zu diskutieren?

Jugoslawien ist weltpolitisch gesehen ja ein marginales Problem. Es ist schrecklich und grausam, aber das große Problem war, ist und bleibt die ehemalige Sowjetunion. Dem muß sich Europa stellen, und deswegen will ich auch eine Euro-Armee, von der Rußland sich nicht bedroht fühlen soll, die aber ein Gewicht von Rang darstellt. Rußland wird unsere Zukunft mitentscheiden und ist noch immer eine furchterregende Atommacht, die im Moment nur nicht als solche wahrgenommen wird.

Nun gibt es ja als Begründung für eine Intervention in Jugoslawien nicht nur moralische, sondern auch strategische Argumente. Die Nato soll demonstrieren, auch an die Adresse der ehemaligen UdSSR, daß Eroberungskriege sich nicht auszahlen.

Ich habe Bedenken, daß Rußland sich davon überzeugen lassen wird. Es wird auch künftig in der Welt Eroberungskriege geben, Kriege um Ressourcen, die nächsten wahrscheinlich um Wasser. Das wird man durch eine demonstrative Interventionspolitik nicht verhindern können. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Interventionen, wenn substantielle Interessen betroffen sind, aber Interventionen im Sinne von Sheriff-Einsätzen sind doch, inklusive Vietnam wie auch Afghanistan, alle gescheitert. Vietnam ist gescheitert, der Falklandkrieg ist gescheitert, Grenada war blamabel, und selbst Panama ist gescheitert, wenn sie bedenken, wie viele Leute getötet worden sind, um diesen einen Gangster zu fangen. Aber das gilt nicht nur für den Westen. Die chinesische Intervention in Vietnam ist genauso schiefgegangen wie die vietnamesische Intervention in Kambodscha und der Einmarsch der Inder auf Sri Lanka. In Bonn sollen sie mal eine Studie darüber erstellen lassen, welche Intervention eigentlich als geglückt bezeichnet werden kann. Da werden sie zu einem ganz deprimierenden Ergebnis kommen. Eine Ausnahme war der Golfkrieg, und ich geniere mich nicht, zu sagen, es ging dabei auch um Öl. Aber auch den hätte man verhindern können, wenn man Kuwait rechtzeitig geschützt hätte.

Gibt es denn verallgemeinerbare Kriegsverhinderungsszenarios?

Wissen Sie, meine große Sorge sind nach wie vor die Atomwaffen. Das wäre eine sinnvolle deutsche Initiative, zu versuchen, die Atomwaffen radikal wegzubekommen. Das ist immer noch die Überlebensfrage der Menschheit. Die Proliferation ist ja kaum mehr zu verhindern. Stellen Sie sich Atomwaffen in den Händen von Terroristen vor, dann wissen Sie ungefähr, was auf uns zukommt. Interview: Antje Vollmer

und Jürgen Gottschlich