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Der „Bosch-Geist“ ist dahin

Kampf um Arbeitsplätze und „traditionelle Sozialleistungen“ in Stuttgart-Feuerbach / „Ich schaff' bei Bosch, ich halt' mei Gosch“ – dieser alte Spruch hat bei dem Traditionsunternehmen ausgedient  ■ Von Heide Platen

Die Angebote im Firmenladen „Für uns“, gleich hinter dem Haupteingang der Firma Bosch in Stuttgart-Feuerbach, trösten nicht mehr darüber hinweg, daß für das Pumpenwerk, laut Aushang, Kurzarbeit angeordnet ist. Die nagelneuen, postmodernen Gebäude rund um die Werner-Straße mit ihren bunten Fensterrahmen hatten für die 1988 von der Firmenleitung versprochene Aufwertung des Produktionsstandortes Feuerbach gestanden. Dafür hatte die Belegschaft die bittere Pille der Umstrukturierung der Produktion hin zu mehr Dienstleistung und Entwicklung, weniger Arbeiter und mehr Angestellte, geschluckt. Der Gesamtbetriebsrat erklärte sich damals auch bereit, den Abbau von rund 10.000 Arbeitsplätzen des zweitgrößten Elektrokonzerns mit bundesweit 167.000 Beschäftigten hinzunehmen. Das ging, so Gerhard Sautter, Betriebsratsvorsitzender in Feuerbach, „auch ganz gut mit vorzeitigem Ruhestand, Abwanderung und Abfindungen“. In Feuerbach sollten rund 9.500 Arbeitsplätze erhalten bleiben. Und es sollten neue Produktionszweige angesiedelt werden.

Aber statt dessen kam alles anders. Der Autozulieferer mit seinen Gemischtwaren-Unternehmen vom Scheinwerferbau bis zu den bisher fast konkurrenzlosen Einspritzpumpen für Diesel, Autoelektronik, Kommunikationstechnik, Anlagenbau und Haushaltsgeräten hielt sich nicht an seine Zusagen. Neue Anlagen entstanden nicht in Feuerbach, wohl aber anderswo „auf der grünen Wiese“ und im Ausland. Bosch kündigte statt dessen 2.300 neue Stellenstreichungen in Feuerbach an. Übertarifliche Zahlungen werden mit der dreiprozentigen Tariferhöhung verrechnet, und auf die Schichtzulagen sollte, schriftlich und „freiwillig“, verzichtet werden. Dazu kommt eine lange Liste weiterer Sparmaßnahmen.

Harte Bandagen gegen den Betriebsrat

Die Bombe platzte für die „Boschler“ am 18. März. Dem Betriebsrat flatterte aus unbekannter Quelle ein Papier der Geschäftsführung auf den Tisch. In dem war, akribisch mit der Uhrzeit – morgens, 8.53 Uhr – versehen, zu lesen, was die Geschäftsführung beschlossen hatte. Sie gab „allen Vorgesetzten“ auf, den Betriebsräten diese Beschlüsse lediglich mitzuteilen und kein Jota davon abzuweichen. Die Verhandlung mit der Kommission des Gesamtbetriebsrates, die für mittags um 13.30 Uhr angesetzt war, geriet so zur Scheinveranstaltung. Damit, so die Boschler, habe die Chefetage die Verhandlungen vorab, eigenmächtig und einseitig für gescheitert erklärt, ehe sie überhaupt stattgefunden hätten. Vertrauensleute, Gesamt- und Konzernbetriebsrat protestierten empört. Die braven SchafferInnen aus dem Musterländle gingen auf die Palme. Der Betriebsrat kündigte nach einer Sondersitzung seine Verhandlungsbereitschaft auf und rief statt dessen zu Protestaktionen auf. Wenn sich auch die Appelle der Boschler noch etwas unbeholfen ausnahmen und viel von „gewachsener Tradition“, einst „guter, vertrauensvoller Zusammenarbeit“ die Rede war und „noch ein Funken Mitgefühl“ von der Konzernleitung eingeklagt wurde, standen die Zeichen doch auf Sturm. Der Konzernbetriebsrat blickte gar nach Osten in die neuen Bundesländer, erklärte sich mit den dortigen Bosch-Kollegen gegen den Tarifvertragsbruch der Arbeitgeber solidarisch und stellte fest, die Bosch-Geschäftsführung folge mit ihrem Vorgehen „den verbandspolitischen Vorgaben der Arbeitgeberverbände“. Die Betriebsversammlung am 30. März geriet turbulent.

Am 1. April geschah das bisher für Bosch Unglaubliche. Rund 10.000 SchafferInnen versammelten sich während der Arbeitszeit vor den Toren des Werkes Feuerbach in der Werner-Straße. Der Vorwurf des Betriebsrates klang ungewohnt harsch in den Ohren der Oberen: „Die Geschäftsführung hat ihr Vorgehen generalstabsmäßig vorbereitet. Der Ablauf wurde bis in die letzte Minute geplant. Der Gesamtbetriebsrat hatte keinerlei Verhandlungsspielraum.“ Die Stimmung danach war „geladen“: „Wir fühlen uns absolut übergangen.“

Am 26. April lag dann die Fertigung in Feuerbach wieder still. Pünktlich um „fünf vor zwölf“ standen gut 15.000 wütende ArbeitnehmerInnen vor der Hauptverwaltung auf der Schillerhöhe in Stuttgart-Gerlingen. Sie waren mit Bussen aus allen inländischen Bosch-Betrieben angereist. Es hagelte Solidaritätsadressen aus den Werken des Konzerns, von Blaupunkt in Hildesheim bis Telenorma in Hannover. Teilnehmer erinnern sich an die ungewohnt aggressive Atmosphäre: „Wenn die gekonnt hätten, hätten sie einige Leute in der Luft zerrissen und die Mauern umgeschmissen.“ Mit lauten „Auswechseln“-Sprechchören und roter Karte forderten sie den Rücktritt von Markus Bierich und Günter Bensinger und kündigten „entschiedenen Widerstand“ an. Die Stuttgarter Zeitung beobachtete eine Stimmung „wie im Neckar-Stadion“.

So etwas hatte das Bosch-Management noch nie erlebt. Bisher sei der Leib-und-Magen-Spruch der Bosch-Belegschaft, so betriebsinterne Oppositionelle mit der Faust in der Tasche, immer gewesen: „Ich schaff' bei Bosch, ich halt' mei Gosch.“ Der Betrieb verdankte dem ebenso patriarchalischen wie genialen Gründer und Tüftler Robert Bosch eine Fülle, auch kurioser, Sozialleistungen. Dazu gehörten übertarifliche Bezahlung ebenso wie freiwillige Schichtzuschläge, Essensgeld, mehrere Tage Jubiläumsurlaub, Förderung des Betriebssports, Vorsorgekuren und zinslose Firmendarlehen für Häuslebauer. Auf einiges davon, so die Betriebsräte, hätten sie freiwillig verzichtet, zum Beispiel auf die „schwäbische Spezialität Zwischenverpflegung“ außerhalb des Mittagessens. Richtig zornig habe die Menschen erst der rüde Umgang mit ihnen gemacht: „Das war ein richtiger Schock, wie wir behandelt worden sind.“ Der in Stuttgart viel zitierte, fast mythenhaft überhöhte „Bosch-Geist“, bisher die Seele der Firma, wandelte sich unversehens in ein kaptalistisches Gespenst mit „Horrorkatalog“.

Gründervater Robert Bosch, in Unternehmerkreisen zu seiner Zeit „der rote Bosch“ genannt, wird in den letzten Wochen immer wieder gegen die postmoderne Firmenleitung bemüht. Er hätte sich, so die Boschler, „im Grabe umgedreht“. Sie halten der „neuen Firmenphilosophie“ die des „Alten“ entgegen: „Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne zahle.“ In diesem Kontext geißelten sie auch gleich die ursprünglich goutierte Auslagerung ins englische Cardiff. Dort werde „nur Schrott“ produziert, „für den wir hier die Kosten tragen müssen“. „Cardiff“ sei „ein Flop“, eine der vielen unternehmerischen Fehlentscheidungen. Gleiches prophezeiten sie auch für das spanische Werk in Trento.

Hauen und Stechen statt Solidarität

Der Stolz auf „den Bosch“ und die eigene Identität als „Boschler“ schwingt dennoch bei den Betriebsräten noch immer mit. Sie waren in den letzten Jahren immer wieder bereit, „ihre“ Firma zu unterstützen, auch herbe Einschnitte hinzunehmen. Auch Sautter ist da moderat: „Die Firma muß sich auf dem Weltmarkt behaupten können.“ Auch er sieht den Umsatzrückgang mit Sorge, „ob uns das gefällt oder nicht“. Der Druck der Autoindustrie auf die Zulieferer sei hart, die Konkurrenz groß, die Firma habe als Stiftung wenig „zuzusetzen“. Trotzdem wolle er um die Arbeitsplätze und einen Sozialplan „ringen“. Sautter ist seit 37 Jahren „beim Bosch“ und sagt: „Noch habe ich Hoffnung auf eine Umkehr. Aber manchmal frage ich mich schon, ob das eigentlich noch die Firma ist, wie sie früher mal war.“ Aber, findet er, anders als anderswo sei es hier noch immer. Der betriebsinterne Umweltschutz zum Beispiel könne sich, zum Beispiel mit FCKW-freier Produktion, sehen lassen: „Da sind wir fast vorbildlich. Und das kostet ja auch Geld.“ Schärfere Kritiker verweisen auf die Firmenbilanzen der letzten Jahre: „Die haben sich doch dumm und dämlich verdient. Und jetzt jammern sie, weil der Markt im Osten gesättigt ist.“ Auch 1992 schloß mit einem erklecklichen Umsatzplus von 900 Millionen bei einem Umsatz von 34,4 Milliarden Mark ab, ein „Überschuß, dreimal so hoch wie im Vorjahr“, aber um die Hälfte gesunkenen Steuern. Die Arbeitsleistung der Boschler hat sich pro Kopf um neun Prozent erhöht. Und der Vorstand hat erstmals über zehn Millionen Mark Gehalt kassiert. Der Chef der IG Metall in Baden-Württemberg, Walter Riester, hatte das schon während der Demo vorgerechnet und gespottet: „An mangelndem Wachstum oder Ertrag kann es ja wohl nicht liegen, wenn gespart werden soll.“ Er ordnete den Bosch-Kurs in die Metallarbeitgeber-Strategie des „Kahlschlags“ sozialer Errungenschaften der Gewerkschaften ein.

Der Pressesprecher der Stuttgarter Bezirksleitung der IG Metall, Jörg Tauss, findet es eine „Riesensauerei“, daß die ArbeitnehmerInnen sich „auch noch beschimpfen lassen“ mußten. Die Firmenleitung hatte sie als „notorische Krankfeierer“ denunziert: „Die haben die psychologische Komponente völlig übersehen. Das hat die Leute so tief getroffen.“ Und: „Das ständige Gejammere der Manager redet den Standort Deutschland viel mehr kaputt als das Lohnniveau.“

Daß der „Gottvater“ der Firma, der 80jährige Hans Merkle, Chef des als Stiftung verwalteten Elektrokonzerns, derjenige ist, der den „verfahrenen Karren aus dem Dreck holt“, bezweifeln Gewerkschafter. Daß der als „F1“ gehandelte Nestor den Manager Marcus Bierich düpierte und dessen Favoriten als Nachfolger, Friedrich Schiefer, ausbootete, habe wohl kaum, wie der Spiegel vermutete, mit Merkles „sozialer Ader“ zu tun. Merkle fahre „den Kurs des Sozialabbaus auch mit“. Schließlich habe er die Kürzung des Reallohns damit kommentiert, es werde „nichts gestrichen“, es komme „nur nichts Neues dazu“ und es werde bei Bosch ohnehin zu viel verdient: „Der ist auch ein Scharfmacher.“

Währenddessen erschöpft sich der unerwartet hartnäckige Widerstand der Belegschaft nicht mehr nur in Demonstrationen. „Einen Arbeitskampf haben wir hier nicht“, sagte Betriebsratsvorsitzender Sautter zwar auf Presseanfragen, aber die Schwaben kämpfen eben subtiler. Die gemeinsam mit der Firmenleitung ausgehandelte Umstrukturierung zur lean production, der „schlanken Fertigung“ nach japanischem Vorbild– firmenintern CIP und TOP genannt –, ist, so die Arbeitnehmervertreter, gefährdet, denn dazu brauche es „motivierte Menschen“. Das schillernde Zauberwort, bei dem weniger Menschen für das gleiche Geld produzieren, teilautonom und in Arbeitsgruppen mit weniger Reibungsverlusten durch Hierarchien, funktioniert allerdings mit aktiver Beteiligung der Belegschaft. Darüber und über die weitere Firmenpolitik kommen jetzt gerade, so Betriebsratsvorsitzender Sautter, „wieder erste Verhandlungen in Gang“. Insider „bis ins mittlere Management“, die sich „diebisch über die Demonstrationen gefreut“ hätten, sind vorerst skeptisch. Bosch lehne derzeit „lieber Aufträge ab, als den Personalabbau zu stoppen“. Und hinter der modischen lean production kann sich auch „die bloße Rationalisierung gut verstecken“.

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