„27 mal Mißbrauch“

■ Interview: Eckhard Lange, Amt für Soziale Dienste

Morgen mittag lassen die freien Wohlfahrtsverbände SozialpolitikerInnen auf dem Marktplatz zum Thema Armut diskutieren. Damit soll der Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände eine öffentliche Debatte auslösen. Die taz eröffnet diese Debatte mit einigen Interviews.

taz: Wieviele SozialhilfeempfängerInnen gibt es in Ihrem Bereich?

Eckhard Lange, Sachgebietsleiter für Wirtschaftliche Hilfen im Amt für Soziale Dienste Mitte/West: Wir haben in den Stadtteilen Gröpelingen, Findorff, Walle, Östliche Vorstadt und Mitte, circa 9.000 Vorgänge, wobei an manchem Vorgang mehrere Menschen hängen - wenn es um Familien geht.

Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Mißbrauch von Leistungen?

Wir sind gehalten, Strafanzeige zu erstatten, wenn wir von einem Mißbrauch erfahren, um schließlich das Geld, das dadurch zuviel gezahlt wurde, per Rückforderungsbescheid zurückzufordern.

In welchen Größenordnungen spielt sich das ab?

Im Jahr 1992 haben wir 27 Rückforderungsbescheide erlassen.

Bei mehr als 9.000 SozialhilfeempfängerInnen ist das nicht gerade viel.

Stimmt. Es kommt allerdings eine große Zahl von Fällen dazu, bei denen Rückforderungsbescheide nicht möglich sind, etwa bei Mehrfachidentitäten oder weil die Betroffenen außer Landes sind.

Wieviele der 27 Mißbrauchsfälle sind Ausländer?

Das sind in der Regel Deutsche.

Und um welche Summe ging es in diesen 27 Fällen?

Das waren insgesamt über 81.000 Mark. Dies ist die Summe, die wir festgestellt haben und zweifelsfrei belegen können.

War dies Mißbrauch über mehrere Jahre hinweg?

Nein, dies bezog sich nur auf das Jahr 1992 und die Sozialhilfe, die in diesem Jahr zuviel gezahlt wurde.

Welche Aussichten bestehen, dieses Geld zurückzubekommen?

In der Regel bedeutet Mißbrauch ja, daß die Leute arbeiten, ohne dies dem Sozialamt mitzuteilen. Wenn dieses Arbeitsverhältnis weiter besteht, was relativ häufig vorkommt, dann muß das Geld natürlich zurückgezahlt werden. Aber leider führen wir keine Statistiken darüber, wieviel Geld zurückkommt.

Nun handelt es sich ja um Menschen, die mit ihrer Sozialhilfe am Existenzminimum leben. Müssen die das Geld in 20-Mark-Raten abstottern?

Es kommt ja meistens zu einem Strafverfahren. Und wenn die Staatsanwaltschaft nicht wegen Geringfügigkeit einstellt, dann werden von den Gerichten Auflagen gemacht. Für die Sozialhilfeempfänger gestaltet sich das natürlich schwierig, irgendwelche Vereinbarungen mit uns zu treffen und einzuhalten.

Hat der Mißbrauch von Leistungen zugenommen?

Ich bin seit 20 Jahren in der Sozialhilfe und Mißbrauch, wenn man das als Mißbrauch betrachten will, haben wir schon ewig. Ich persönlich meine aber, auch wenn dies spekulativ ist, daß es stärker geworden ist.

Weil sich die Haltung gegenüber der Sozialhilfe und dem Sozialen Netz verändert hat? Ist dies ein Ausdruck der Raff-Gesellschaft?

Ich habe das Gefühl: Ja. Die Summen werden auch immer höher. Überall wird mehr gefordert, und gegen Entscheidungen im Sozialhilfebereich werden auch immer mehr Widersprüche eingelegt und Gerichtsverfahren angestrengt. Aber meistens wird dann unsere Rechtsauffassung doch bestätigt.

Nun soll an der Sozialhilfe gespart werden, besonders an kinderreichen Familien.

Ich halte das nicht für richtig. Wenn man die reinen Zahlen betrachtet, erhält eine vielköpfige Familie relativ viel Geld: 511 Mark der Haushaltsvorstand plus — je nach Alter — rund 200 bis 400 Mark pro Kind und Familienangehörigen. Von diesem scheinbar vielen Geld müssen aber auch viele Menschen ernährt werden. Der Idee nach werden ja untere Einkommensgruppen zum Vergleich herangezogen. Danach richtet sich der Höchstsatz von Sozialhilfe. Zur Zeit ist dies also ein Problem des Sozialhilferechtes, für mich ist es aber eher ein Problem des Tarifrechts. Es müßte eher das Einkommen der unteren Lohngruppen erhöht als umgekehrt die Sozialhilfe zu senken. Interview: Birgitt Rambalski