Makedonien „lebt und stirbt mit Serbien“

Das Embargo gegen Serbien und die griechische Blockadepolitik legen die Wirtschaft des kleinen Staats Makedonien lahm. Griechenland schmiedet schon Pläne für die Zeit nach dem Krieg.  ■ Aus Skopje und Thessaloniki Dorothea Hahn

Das Schild im Zentrum von Thessaloniki weist trotzig den Weg in ein Land, das so nicht mehr existiert. „Jugoslawien“ steht darauf – knapp zwei Jahre nach der Proklamation der „Republik Makedonien“. Doch kaum jemand nimmt die Provokation wahr – der „Autoput“ nach Mitteleuropa, einst dicht befahrene Durchgangsstrecke der Region, liegt verwaist. Tankstellen haben geschlossen, Restaurants eine Pause eingelegt, und vor den Toren der Stadt überqueren Schafe die autobahnartig ausgebaute vierspurige Straße.

Jahrzehntelang verlief hier das Rückgrat des Balkan. Für die nördlichen Staaten waren der Autoput und die parallel verlaufende Eisenbahnlinie der Zugang zum Mittelmeer, für Griechenland die Verbindung nach Europa. Ununterbrochen rollten Güter hin und her. Tausende Einzelreisende nutzten die Strecke.

Den Einwohnern Makedoniens – damals noch jugoslawische Staatsangehörige – galt Thessaloniki als Einkaufsparadies und die Ägäis als bevorzugtes Urlaubsziel. Aus ihrem kleinen bergumschlossenen Land im Herzen des Balkan fuhren sie auf die nahegelegene Halbinsel Halkidiki und die Inseln, wo ganze Ortschaften von dem Geschäft mit den JugoslawInnen lebten. Die Beziehungen zur griechischen Bevölkerung waren „ausgezeichnet“ und die Landschaft „wunderschön“, schwärmen MakedonierInnen noch heute.

Der Krieg in Bosnien, das antiserbische Embargo, vor allem aber die Gründung der „Republik Makedonien“ im September 1991 haben diesem Idyll ein Ende gesetzt. Eine Eiszeit brach an, als das kleine Nachbarland das als griechisch empfundene Markenzeichen „Makedonien“ als Staatsbezeichnung wählte und den „Stern von Vergina“ – der im Grab von Philipp II, seines Zeichens Vater von Alexander dem Großen, gefunden wurde – in der Staatsflagge verwendete. Als makedonische Nationalisten ein vereintes Makedonien forderten, das auch den Norden Griechenlands einschließen würde, war es ganz aus. Heute betrachtet Griechenland die Nachbarn als Gegner, die Grenze ist administrativ dicht.

Die einst großzügige Einreisepolitik ist einer rigorosen Auswahl gewichen. Das griechische Konsulat in Makedoniens Hauptstadt Skopje gibt nur eine Handvoll Visa pro Tag aus. Wer in umgekehrter Richtung reist, muß sich einer peniblen Befragung griechischer Grenzer unterziehen. Makedonische Güter werden in Griechenland nur abgefertigt, wenn die Papiere nicht den inkriminierten Staatsnamen tragen. Zwischen August und November vergangenen Jahres stellte Griechenland den Transport der lebenswichtigen Erdölprodukte in das Nachbarland sogar ganz ein und nahm ihn erst nach internationalen Protesten wieder auf.

Auch Nordgriechenland ist abgeschnitten. Doch Proteste gegen die fatalen Folgen dieser Athener Politik gibt es nicht einmal im Grenzgebiet, wo Tausende Betriebe direkt unter dem Wegfall des Hinterlandes leiden. Statt dessen suchen die betroffenen Branchen nach neuen Wegen zu Rohstoffen und Märkten. Die meisten weichen auf die schlecht ausgebauten Straßen und die wenigen Schienenwege der anderen Nachbarländer aus.

Jetzt reisen die Kirschen und Kiwis aus den Obstplantagen griechisch-Makedoniens auf dem Umweg über Bulgarien, Rumänien, Ungarn und die Tschechische Republik nach Westeuropa. Nach München brauchen sie einen Tag länger, das führt auch zu sehr viel höheren Transportkosten.

Ein zweiter Ausweg führt über die Häfen von Igoumenitsa und Patras nach Italien. Auf diese Strecke sind Fähren aus dem Verkehr zwischen den griechischen Inseln umgeleitet worden. Doch auch bei der Adria-Überquerung sind die Nachteile offensichtlich: es dauert länger, kostet mehr, die Hafenanlagen sind mangelhaft ausgestattet und die Straßen schlecht. Die Regierung in Athen beziffert den Verlust, den ihre Wirtschaft im vergangenen Jahr durch den Krieg in Ex-Jugoslawien erlitt, auf 2,6 Milliarden US-Dollar. Zusammengesetzt ist diese Zahl aus Exportausfällen, Mehrkosten beim Transport und Einbußen beim Tourismus und anderen Dienstleistungen.

Ganz vorsichtig nur wagen ein paar Unternehmer in Thessaloniki Kritik an den Nationalisten, die gegenwärtig die griechische Politik bestimmen. „Wir müssen realistisch sein und verhandeln“, sagt Emmanouil M. Vlahogiannis, Schatzmeister der Handelskammer der Stadt. Dabei traut auch der aufgeklärte junge Textilunternehmer „denen in Skopje“ nicht so recht. Wie ein großer Teil der Öffentlichkeit seines Landes fürchtet er ein „Wiederaufleben der Vergangenheit“. Im Norden Griechenlands, der erst seit 1913 zu Athen gehört, könnte das einen neuerlichen Kampf um Makedonien bedeuten – schon einmal, noch unter osmanischer Vorherrschaft, hatte es dort grausame Gemetzel gegeben.

„Einzig mit Gesprächen, wie die konservative Regierung sie gerade in New York versucht, ist eine weitere Emotionalisierung des Klimas zu stoppen“, sagt Vlahogiannis und meint damit von der UNO initiierte Vermittlungsbemühungen.

Vorerst ist an eine reale Zusammenarbeit mit dem Staat Makedonien gar nicht zu denken. Griechische Unternehmer investieren dort nicht. Es sind nicht nur politische Bedenken, die sie daran hindern. Die Lage dort sei einfach zu desolat und biete weniger Sicherheiten als selbst die Wirtschaft Albaniens, heißt es. „Skopje“, sagt Vlahogiannis, „lebt und stirbt mit Serbien.“

An diesem Verdikt ist einiges dran. Denn von einer unabhängigen Wirtschaft ist Makedonien noch Lichtjahre entfernt. Die vergangenen fünf Jahrzehnte war es fest in die jugoslawische Arbeitsteilung eingebunden. Die Gewinnung von Rohstoffen und die Herstellung eines jeden Produktes wurde grundsätzlich über ganz Jugoslawien aufgeteilt; Straßen, Schienen und Industrie waren auf den jugoslawischen Binnenmarkt ausgerichtet. Mit anderen Staaten gab es weder direkten Handel noch direkte Verkehrsverbindungen. „Das war auch ein politisches Mittel, Jugoslawien zusammenzuhalten“, erläutert Nikola Todorcevski, Berater des Außenministers in Skopje.

Mit dem Zerfall Jugoslawiens ist Makedonien nun von seinen Lebensadern abgeschnitten. Nur Griechenland könnte Serbien ersetzen. Denn zu den beiden anderen Nachbarstaaten Bulgarien und Albanien hat Makedonien nicht einmal Eisenbahnverbindungen, die wenigen Straßen sind marode. In dieser Lage sind die Sanktionen gegen Serbien für Makedonien „schlimmer als für die Serben selbst“, meint ein Unternehmer in Skopje.

Der in Skopje auf 1,8 Milliarden Dollar bezifferte „Kriegsschaden“ für die makedonische Wirtschaft im vergangenen Jahr beschreibt nur ungenau, was die Isolierung für die 2 Millionen BewohnerInnen des Landes bedeutet. Seit 1989 ist ihr Lebensstandard dramatisch gesunken. Verdienten sie damals durchschnittlich 1.000 Mark, so liegen die Löhne jetzt bei unter 200 Mark – was dem Niveau von 1970 entspricht – und sinken weiter.

Große Teile der Industrie, der gesamte Bergbau im Nordosten des Landes und selbst die Weinproduktion liegen brach, weil Rohstoffe, Werkzeuge und Transportmöglichkeiten ins Ausland fehlen. Rund ein Viertel der erwerbsfähigen Bevölkerung befinden sich im „Zwangsurlaub“ – sie bekommen 80 Prozent ihres Lohns und müssen zu Hause auf bessere Zeiten warten – der Rest arbeitet auf Sparflamme. Viele Unternehmen zahlen seit Monaten keinen Lohn mehr aus.

Aufgrund der griechischen Einwände blieb das Land nach seiner Unabhängigkeit eineinhalb Jahre lang international isoliert. Bis April hatten nur die Türkei und einige kleine Nachbarländer Makedonien anerkannt. Die Folge: keine ausländischen Investitionen, keine Bankgeschäfte, keine diplomatischen Kontakte, keine Vertretung in internationalen Foren.

Furcht vor ethnischen Konflikten

Im April dieses Jahres kam die Aufnahme als UNO-Mitglied unter dem Namen „Frühere jugoslawische Republik Makedonien“ und damit die „konkludente Anerkennung“ durch die meisten europäischen Staaten. Griechenland jedoch – Makedoniens Tor zur Welt – blockiert nach Angaben aus Skopje weiter.

Vojo Karafiloski, Vizedirektor des Ohris-Chemiewerkes in Skopje, das von seinen 4.000 ArbeiterInnen 700 in den „Zwangsurlaub“ geschickt hat, berichtet von dem Rohstoff Vinylchlorid, dem Grundstoff für die Herstellung von PVC. Früher kamen 80 Prozent dieses Rohstoffes über Jugoslawien nach Makedonien, heute erhält die Fabrik keine Transitgenehmigung für Serbien. Da das gefährliche Produkt entweder auf der Schiene oder mit besonderem Schutz auf der Straße transportiert werden muß, kommt als Alternative nur Griechenland in Frage. Doch die Autoritäten im Hafen von Thessaloniki „lassen uns nicht ran“. Also produziert Ohris seit einem Jahr kein PVC mehr.

Nachdem sich mit der internationalen Anerkennung das drängendste politische Problem gelöst hat, gilt es jetzt, „die wirtschaftliche Lage in den Griff zu bekommen“, sagt eine Mitarbeiterin des Außenministers. Auch die zahlreich in Skopje vertretenen internationalen Organisationen sind besorgt ob einer weiteren wirtschaftlichen Verschlechterung in dem Land, in dem neben der makedonischen Bevölkerung mehr als zwanzig teilweise große Minderheiten leben. „Es könnte auch hier zu offenen ethnischen Konflikten kommen“, sagt ein Mitarbeiter der KSZE-Mission in Skopje.

Auf beiden Seiten der griechisch-makedonischen Grenze gibt es auch Kriegsgewinner. In Skopje kennt jeder irgendwen, der sich – ausgerechnet im vergangenen Blockadejahr – eine neue Wagenflotte oder ein Konto im Ausland zulegen konnte. Das Geld dafür kommt nicht nur aus illegalen Geschäften mit Serbien, sondern auch vom Schwarzhandel mit Devisen.

In Griechenland sitzen die Kriegsgewinner im Hafen von Thessaloniki. Nach offiziellen Angaben stieg dessen Güterumschlag im vergangenen Jahr um 15 Prozent, die Einnahmen um 36 Prozent. Freihafendirektor John Maronidis erklärt das Plus mit dem Wegfall der Häfen von Koper (Slowenien), Rijeka, Zadar, Split (Kroatien) und Bar (Montenegro). Bulgarien und Rumänien, aber auch Makedonien, die früher von diesen jugoslawischen Häfen beliefert wurden, seien wegen des Krieges zwangsläufig auf Thessaloniki zugekommen.

Brüche des internationalen Embargos gegen Serbien gebe es in Griechenland nicht, behauptet der Freihafendirektor. In seinem Hafen stapeln sich Waren, die für Serbien bestimmt waren und von den Behörden – oft nach entsprechenden Hinweisen und einer minutiösen Recherche am Herkunftsort – enttarnt wurden. Meist bleiben sie monatelang liegen. Normalerweise aber beschränkt man sich im Hafen darauf, die Frachtpapiere zu kontrollieren, sagt Maronidis. Wenn doch was durchginge, sei das entweder der Nachlässigkeit der internationalen Beobachter an den Grenzen zu Serbien oder „denen in Skopje“ zuzuschreiben, die, wie Maronidis unterstellt, illegal Handel mit Serbien treiben.

Entgegen den Auskünften in Skopje heißt es in Thessaloniki, der griechisch-makedonische Handel laufe „normal“. Alles andere bezeichnet Maronidis als „Lügen und Propaganda aus Skopje“ und verweist auf die täglichen 100 bis 150 Waggons mit Gütern für Makedonien. An diesem Vormittag im Mai löschen sieben große Schiffe ihre für Makedonien bestimmte Ladung im Hafen von Thessaloniki. Wenn die Papiere „stimmen“, lassen die Hafenbehörden alles durchgehen. Das Wort „Makedonia“ läßt Maronidis einfach überstempeln: „Wir können denen doch nicht erlauben, unseren Namen und unsere Symbole zu benutzen.“

Der Hafen boomt. Zu den 14 Docks sollen bis Ende des Jahrhunderts mithilfe eines von Griechenland und der EG finanzierten Masterplans über 150 Millionen US-Dollar sechs weitere sowie neue Kräne und Schienenstränge zur Direktverladung von Öl kommen. Die Arbeiten daran haben begonnen.

In seinem spartanisch eingerichteten Büro im Freihafen bereitet sich Maronidis auf die Nachkriegszeit vor. Ständig klopfen Interessenten aus den jungen Marktwirtschaften im Balkaninneren an. Gerade waren Vertreter der Kremikovski-Eisenwerke aus Sofia da, die über Transportkapazitäten in dritte Länder sprechen wollten. Auch mit serbischen Unternehmen hat Maronidis über die Zukunft gesprochen. „Nach dem Krieg werden die nicht wieder nach Slowenien und Kroatien können. Einen großen Teil müssen die dann über Thessaloniki abwickeln“, lautet sein Kalkül.

Pläne für neue Verkehrswege auf dem Balkan schmieden auch Straßen- und Eisenbahnbauer in Griechenland. Sie denken über eine neue Straße quer durch den Norden des Landes bis zum Hafen Igoumenitsa nach, die parallel zu dem römischen Handelsweg Via Egnatia verlaufen soll. „Wenn der jugoslawische Krieg vorbei ist“, so ein beteiligter Unternehmer, „ist damit noch lange nicht Frieden auf dem Balkan. Vielleicht beginnt dann ein bulgarisches Problem. Griechenland muß sich unabhängig machen.“

Unabhängigkeit will auch Makedonien. „Wir können nie sicher sein, wann die nächste Blockade beginnt“, sagt ein hoher Beamter im Außenministerium. Die Regierung in Skopje möchte deswegen eine Eisenbahntrasse von Bulgarien durch Makedonien zu dem albanischen Hafen Durres bauen, die ebenfalls parallel zur Via Egnatia liegen soll.

Nichts wird auf dem Balkan bleiben, wie es war. Auch die alten Wege nicht. Wenn beide Länder die nötige internationale Unterstützung für ihre Pläne finden, wird das alte Rückgrat brechen. Statt von Nord nach Süd wird der Verkehr dann von Ost nach West fließen – parallel und aufgeteilt in nationale Portionen.