Gefeilsche und Geschachere im RAF-Prozeß

■ Mit einem neuen Verfahren gegen die RAF-Gefangene Ingrid Jakobsmeier riskiert die Bundesanwaltschaft die erneute Eskalation

Stuttgart-Stammheim (taz) – Die Bundesanwaltschaft blieb sich treu. Im neuen Verfahren gegen die RAF-Gefangene Ingrid Jakobsmeier lehnten die Vertreter der Anklagebehörde gestern zur Prozeßeröffnung in Stammheim Anträge, das Verfahren einzustellen, ab. Damit droht eine erneute Zuspitzung in der Auseindersetzung mit der RAF. Der 5. Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter seinem Vorsitzenden Kurt Breucker will am Donnerstag über den Fortgang des Prozesses entscheiden. Es wird damit gerechnet, daß das Gericht der Karlsruher Behörde folgen wird.

Ingrid Jakobsmeier wird in der Klageschrift 21-facher Mordversuch im Zusammenhang mit dem RAF-Sprengstoffanschlag auf die US-Air-Base in Ramstein und den Panzerfaustangriff auf den amerikanischen General Frederic Kroesen und seine Begleiter im Jahr 1981 zur Last gelegt. Die Angeklagte war bereits 1986 wegen eines Banküberfalls und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Der reguläre Entlassungstermin stand im Oktober an. Nun droht ihr eine lebenslange Gefängnisstrafe. Das neue Verfahren beruht fast ausschließlich auf Kronzeugen-Aussagen des 1990 in der DDR festgenommenen RAF- Aussteigers Henning Beer.

Verteidiger Thomas Scherzberg warf dem Gericht vor, mit der erneuten Anklageerhebung gegen den Verfassungsgrundsatz zu verstoßen, wonach „niemand zweimal wegen derselben Tat verurteilt werden darf“. Schon im ersten Verfahren seien die Anschläge von Ramstein und gegen General Kroesen nicht nur bekannt, sondern auch Gegenstand des Prozesses gewesen. Zwar hätten die Indizien damals nicht ausgereicht, die Angeklagte wegen direkter Tatbeteiligung zu verurteilen. Sie sei aber entsprechend der These vom festen Zusammenhalt der RAF schon seinerzeit wegen Ramstein und Kroesen zur Rechenschaft gezogen worden.

Außerdem verlangte die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens, weil es gegen den Grundsatz des „fair trial“ verstoße. „Mit einem Kronzeugen“, sagte Rechtsanwalt Martin Heiming, „ist kein faires Verfahren möglich“. Zwischen Kronzeugen und Ermittlungsbehörde finde grundsätzlich „ein reines Gefeilsche und Geschachere statt“ nach dem Muster: Je schlechter es um den Kronzeugen bezüglich seiner eigenen Taten stehe, „um so mehr muß er liefern, um trotzdem spürbaren Rabatt zu bekommen“.

In der Tat hatte Henning Beer, der zunächst selbst am Attentat auf Kroesen teilnehmen sollte, bei seinen umfangreichen Aussagen im Jahr 1990 zunächst ausgesagt: „Ich weiß auch nicht, wer die Anschläge in Ramstein und auf General Kroesen ausgeführt hat. Aus den Gesamtumständen schließe ich aber, daß es Ingrid Jakobsmeier, Helmut Pohl, Christian Klar und Adelheid Schulz gewesen sein müssen. Wie sich die personelle Beteiligung im einzelnen verteilte, weiß ich nicht.“ Allerdings bildeten laut Beer damals ganze sieben Personen die RAF – neben den genannten er selbst, Brigitte Mohnhaupt und „zeitweise“ Inge Viett. Erst auf intensive Vorhalte versicherte Beer, er sei sich sicher, daß Ingrid Jakobsmeier beteiligt war.

Zuletzt in ihrer Erklärung vom 30. März zum Anschlag von Weiterstadt stellte die RAF-Kommandogruppe ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen dem Ausgang der „neuen Prozeßwelle“ aufgrund von Kronzeugenaussagen und ihrer künftigen Strategie her. Trotz Kritik auch aus den eigenen Reihen bestand die Bundesanwaltschaft jedoch darauf, die neuen Verfahren gegen bereits zu langen Haftstrafen Verurteilte durchzuziehen. Gerd Rosenkranz