Arbeit produziert Armut

■ Diskussion in der Bürgerschaft über Armut: Betroffene verließen frustriert den Saal

Vor der Bürgerschaft gab es ausnahmsweise warme Suppe. Nicht ganz um sonst — so ließ sich wenigstens eine kleine Spende (für die Armenküche) zusammensammeln. Und während die zufällig vorbeigekommene Rentnerin, der von den Arkaden herbeigelaufene Stadtstreicher ihre Suppe löffeln, setzt unverhofft Geldregen ein. Doch es sind nur Pfennige, die (von Straßenartisten) unters Volk geworfen werden. Kaum jemand bückt sich danach — vielleicht weil Kupfergeld in Banken und vielen Läden nichts mehr wert ist? Oder schickt es sich nicht, öffentlich nach Geld zu grabschen?

Nötig hätten es dagegen einige gehabt, die da gestern mittag vor und in der Bürgerschaft zusammenkamen: Obdachlose waren dabei, Sozialhilfeempfänger, die sich offen zur Schwarzarbeit bekannten (“weil ich sonst nicht rumkomme“), aber auch Beratungsstellen und Sozialhilfe-oder Arbeitsloseninitiativen, die in Zeiten heftiger Sparmaßnahmen jeden Pfennig rumdrehen müssen.

„Armut ist (k)eine Schande“ war das Thema, über das sie mit PolitikerInnen und Experten diskutieren sollten. Besonders die Obdachlosen, die anerkannt „Armen“ und „Ausgegrenzten“, hielt es anfangs kaum auf den Stühlen: „Der hat ein Dach über dem Kopf“, wütend schrie es der Mann mit überschlagender Stimme „Ich aber nicht“. Als dann auch noch ein abstrakter Streit begann, mit welcher Definition von Armut und mit welchen Berechnungsmodellen im Bremer Armutsbericht gearbeitet worden war, verließen sie frustriert das Parlamentsgebäude. „Die können uns auch nicht helfen.“ Der Soziale Friede war (weitestgehend) wiederhergestellt.

Moderator Albrecht Lampe mühte sich unterdessen redlich, die Experten auf dem Podium in einen Streit zu verwickeln. Und endlich, in seinem letzten Redebeitrag nach fast drei Stunden, ließ Peter Kudella, Fraktionsvorsitzender der CDU, sich dann entlocken: „Ja, wenn man den relativen Armutsbegriff des Bremer Armutsberichtes zugrunde lege, dann, ja dann müsse auch bei denen gespart“, mit anderen Worten: Sozial-und Arbeitslosenhilfe gekürzt werden. Mit Nachdruck führte Kudella dann auch seinen Briefträger ins Feld: Daß der 40 Stunden redlich arbeite, aber nur 250 Mark mehr als ein Sozialhilfeempfänger verdiene, das hielt er dann doch für ungerecht.

Damit saß glücklich doch ein Buhmann in der Runde. Denn mit Sozialsenatorin Irmgard Gaertner, die sich vehement für eine bedarfsorientierte Grundsicherung, für eine Pflegeversicherung und einen vernünftigen Lastenausgleich für Familien und Alleinerziehende einsetzte, ließ sich so recht nicht streiten. Sie sprach auch von „Umverteilung“, wollte sich auf konkrete Schritte zur Realisierung ihrer Vorstellungen aber nicht einlassen.

„Ich pfeif' auf Ihre Grundsicherung“, hielt ihr allerdings Wolfgang Scherer, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen, entgegen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werde diesbezüglich sowie so nichts passieren. Ab 1. Juli dagegen werden SozialhilfeempfängerInnen weniger Geld im Portemonnaie haben: weil der Bundestag am Donnerstag in 2. und 3. Lesung die Deckelung des Bundessozialhilfegesetzes verabschieden werde.

Daß immer mehr Menschen an vielem nicht teilhaben können, das gestanden die DiskussionsteilnehmerInnen fast alle ein. Nur über die Ursachen waren sie uneins: Am System liege es absolut nicht, beteuerte der CDU-Mann immer wieder, verwies nebenbei noch mal auf die DDR und das System des Sozialismus, in dem die Menschen zwar Arbeit hatten, aber sonst viel ärmer dran gewesen seien. „Arbeit produziert Armut“, betonte dagegen Wolfgang Scherer. In Frankfurt fänden Bauarbeiter nur noch für sechs Mark Stundenlohn Arbeit, und davon könne man doch weiß Gott nicht leben. Birgitt Rambalski