„Ich hab' erzählt, was mir so einfiel“

■ Zweiter Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder von Mölln

Schleswig (taz) – Es gibt Menschen, die sind immer für Überraschungen gut. Michael Peters, wortkarg und im Kopf nicht der flinkste, gehört sicher nicht dazu. Doch gestern verblüffte er das Gericht und selbst seinen Anwalt. Peters, Angeklagter im Prozeß gegen die mutmaßlichen Brandstifter von Mölln, hat sein Geständnis zurückgezogen.

Mehrmals hatte er seit seiner Festnahme im November 1992 zugegeben, zusammen mit dem Mitangeklagten Lars Christiansen Molowcocktails auf zwei Häuser in Mölln geworfen zu haben. Motiv: Fremdenhaß. In beiden Häusern lebten türkische Familien. Drei Menschen verbrannten. Bahide Arslan, ihre 10jährige Enkelin Yeliz und ihre 14jährige Nichte Ayse Yilmaz. Peters und Christiansen sind wegen dreifachen Mordes angeklagt.

Am zweiten Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht in Schleswig will Peters von dem Verbrechen nichts mehr wissen. „Man hat etwas länger auf mich eingeredet“, beschreibt er die Situation während der Verhöre durch die Polizei, „und dann habe ich das gesagt.“ Den Tathergang hätte er teilweise frei erfunden – „ich hab' erzählt, was mir so einfiel“ –, teilweise hätte er einfach die Vorwürfe der Polizeibeamten bestätigt. Außerdem hätte man ja auch in jeder Zeitung nachlesen können, wie sich das Verbrechen abgespielt habe.

Leicht vorgebeugt sitzt er in seinem Stuhl, preßt die Lippen zusammen, läßt sich jeden zusammenhängenden Satz aus der Nase ziehen. Was dann kommt, klingt trotzig. Aus drei Gründen will er das „Gefälligkeitsgeständnis“ abgelegt haben: „Um meine Mutter rauszuhalten“, bei der er in der Tatnacht zu Besuch war, „weil dann vielleicht die Strafe nicht so hoch wäre“ und „um weiteren Verhören zu entgehen“. Während seine Augen unruhig zwischen Richter und Staatsanwalt hin- und herfliegen wiederholt er auf alle Fragen stur: „Nein, war ich nicht.“ Wird er in die Enge getrieben, heißt es einfach: „Weiß ich nicht!“ An diesem trotzig-sturen „Weiß nicht!“ prallen alle Einwände des Oberstaatsanwalts und der Vertreter der Nebenkläger zunächst ab.

Was Peters nicht leugnet, sind zwei Überfälle in Gudow und Kollow. Im September 1992 war er mit einer Gruppe ostdeutscher Skins mehrmals losgezogen, um Wohnheime anzugreifen. Auch wegen dieser Verbrechen ist er angeklagt. Vorgeworfen werden ihm versuchter Mord in Tateinheit mit Brandstiftung. Peters: Man habe doch nur auf die Fassaden gezielt, „wir wollten ja keinen umbringen, nur Angst machen.“ Richter: „Wie war denn die Stimmung nach dem Anschlag? Laut und fröhlich?“ Peters: „Ja, wir haben die Musik voll aufgedreht.“

Noch am ersten Verhandlungstag hatte Peters verstört und irritiert einen schuldbewußten Eindruck gemacht. Fast leid tun konnte einem dieser Mensch, der viele Fragen des Gerichts erst dann versteht, wenn sie in vereinfachter Form wiederholt werden. Ganz anders sein Kumpan Christiansen. Der tritt im Gerichtssaal – beschützt von seinem Staranwalt Bossi und einem weiteren Verteidiger – ganz selbstbewußt auf. Doch offenbar hat Peters seit Beginn des Prozesses gelernt und sich der Strategie, die Rolf Bossi für seinen Mandanten Christiansen verfolgt, angeschlossen.

Auch Christiansen hatte sich zunächst zu dem Möllner Anschlag bekannt, aber noch vor Beginn der Hauptverhandlung sein Geständnis zurückgezogen. Bossi stellte gestern eine ganze Latte von Anträgen, um seinen Mandanten reinzuwaschen und ein absolutes Verwertungsverbot sämtlicher Vernehmungsprotokolle zu erreichen. Die Verhöre hätten Christiansen „völlig verrückt gemacht“. Der psychiatrische Gutachter hätte dem 19jährigen eine „nicht altersentsprechende Entwicklung“, „Gehemmtheit“ und enorme „Affekt- und Stimmungslabilität“ bescheinigt. Christiansens „unsinniges Geständnis“ wäre nur durch die „vorübergehende Zerstörung seiner Persönlichkeit“ und unter einer „Haftpsychose“ zustande gekommen. Bossis Fazit, das er zum Leidwesen aller Zuhörerohren in den Gerichtssaal ruft: „Hier wurden Menschenrechte mit Füßen getreten.“

Der Prozeß wird fortgesetzt. Bascha Mika