Guatemala: Serrano tritt in Fujimoris Fußstapfen

■ Präsident löste verfassungsmäßige Institutionen auf und schränkte Bürgerrechte ein / Außenpolitische Isolation und Wirtschaftssanktionen absehbar

Managua (taz) – Die Elitetruppen und Panzerfahrzeuge, die am Montag noch durch Guatemala- Stadt patrouilliert waren, um die staatlichen Institutionen vor demonstrierenden Studenten und Bewohnern der Elendsviertel zu schützen, rückten am Dienstag aus, um den Präsidenten vor den Institutionen zu bewahren. Die Guatemalteken wurden beim Frühstück mit der Nachricht überrascht, daß Staatschef Jorge Serrano mit einem Federstrich das Parlament, den Obersten Gerichtshof sowie den Verfassungsgerichtshof aufgelöst und grundlegende Bürgerrechte wie die Versammlungs- und die Pressefreiheit suspendiert hatte. In den frühen Morgenstunden waren bereits die Wohnhäuser der Präsidenten aller drei Institutionen und die Villa des Menschenrechtsprokurators Ramiro de León Carpio von Militärs umstellt worden.

In seiner über die gleichgeschalteten Radio- und Fernsehsender ausgestrahlten Proklamation verkündete Serrano, die politische Erpressung im Parlament hätte ihm das Regieren unmöglich gemacht, und die Justiz hätte ihre Aufgabe nicht erfüllt. Außerdem hätten sich Drogenhändler der Staatsgewalten bemächtigt. Ziel seiner Maßnahmen sei die „Modernisierung und Humanisierung der Institutionen“. Gleichzeitig versicherte der Staatschef, er hätte keineswegs die Absicht, über seine im Januar 1996 endende konstitutionelle Amtszeit hinaus im Sattel zu bleiben. Binnen sechzig Tagen will er Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung veranstalten, die das kaum sieben Jahre alte Grundgesetz umschreiben soll.

Über die wirklichen Hintergründe des Umsturzes von oben, die an Alberto Fujimoris Putsch gegen die peruanischen Staatsgewalten vor etwas mehr als einem Jahr erinnern, kann nur spekuliert werden. Seit Wochen roch man förmlich in den Ministerien, daß etwas in der Luft lag. Korruptionsskandale, in die Parlamentarier, aber auch Regierungsfunktionäre und Militärs verwickelt waren, häuften sich. Ein Abgeordneter mißbrauchte zynisch seine Immunität, um seinen in den Drogenhandel verstrickten Bruder zu decken, ein anderer ist in eine internationale Bande von Autodieben verwickelt.

Seit Serrano vor einem halben Jahr die Unterstützung der größten Parteien verloren hatte, mußte er gegen ein feindlich gesonnenes Parlament regieren und die Zustimmung zu jedem Vorhaben mit handfesten Zugeständnissen erkaufen. Dazu kam, daß immer wieder oppositionelle Abgeordnete eine Untersuchung der Güter des Präsidenten forderten, dem vorgeworfen wird, mit öffentlichen Mitteln sein Privatvermögen um Haciendas und Rennpferde vermehrt zu haben. Bei den Kommunalwahlen zu Monatsbeginn konnte Serranos Partei, die „Bewegung der Solidarischen Aktion“ (MAS) ihre Position jedoch deutlich verbessern und über hundert Gemeinden erobern. Dieser überraschende Erfolg mag ihn bewogen haben, den Trend auch für eine Erneuerung des Parlaments zu nutzen. „Keine schlechte Idee“, erwiderte er bei einer Pressekonferenz auf die diesbezügliche Frage eines Journalisten.

Doch dann hatten Demonstrationen gegen die exzessive Erhöhung des Strompreises, die bevorstehende Steigerung der Bustarife und eine Beschneidung der Freifahrten für Studenten zu wochenlangen Protesten und einer Anheizung des politischen Klimas geführt. Vor allem nachdem der Leibwächter eines Parlamentariers am 11. Mai einen demonstrierenden Studenten erschossen hatte. Zum Wochenende hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei aber weitgehend gelegt.

Eine glaubhafte Begründung für sein verfassungswidriges Manöver, das ihm außenpolitische Ächtung und wirtschaftliche Sanktionen eintragen wird, blieb der Staatschef sowohl seinem Volk als auch der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) schuldig. Sein Aufruf an die Guerillafront URNG, die Waffen niederzulegen und sich ins Zivilleben zu integrieren, wirkt zu einem Zeitpunkt, da wichtige Bürgerrechte suspendiert sind, seltsam naiv. Dahinterstecken dürfte eine härtere Gangart der Militärs, die in den Verhandlungen zunehmend unter Druck geraten waren, in Sachen Menschenrechte Zugeständnisse zu machen und internationale Beobachter zu ihrer Überwachung zuzulassen.

Die OAS berief noch am Dienstag nachmittag eine Krisensitzung des Ständigen Rates in Washington ein, um über allfällige Sanktionen zu beraten. Während sich die zentralamerikanischen Kollegen zunächst bedeckt hielten und nur einen anstehenden Präsidentengipfel in Guatemala suspendierten, forderte US-Präsident Bill Clinton das schwarze Schaf zum sofortigen Zurückstecken auf. Im Lande selbst ging zwar niemand für das als korrupt und ineffizient betrachtete Parlament auf die Straße, doch auch Sympathiekundgebungen für den autoritären Präsidenten blieben aus. Ralf Leonhard