Tot wie eine Harzkuppe

■ Der Wald stirbt - die taz war bei den "26. Mainzer Tagen der Fernseh-Kritik"

War das schon die Revolution, gleich am Anfang? N-tv, der Sender, der von spektakulären News lebt, war jedenfalls als allererster da bei den „26. Mainzer Tagen der Fernseh-Kritik“. Wollte ausgerechnet der kommerzielle Berliner Nachrichtenkanal dafür sorgen, daß endlich einmal „Aktualität und Erkenntnis“ (diesjähriger Titel der kritischen Tage) zusammenkommen? Schon um neun Uhr am Montag früh parkte der martialische graue Übertragungslaster mit der großen Satelliten- Antenne in der Fußgängerzone der Mainzer Altstadt nahe des Tagungszentrums „Frankfurter Hof“. Doch die zu befürchtende Live-Übertragung von Vorträgen und Palaver der TV-Kritiker, -Macher und -Hierarchen blieb aus, nach einer kurzen Schaltung verschwand n-tv wieder von der Bildfläche. Logo: Die Dauerberichterstatter waren nur gekommen, weil es hier irgendwie um sie selbst und ihr Geschäft gehen sollte – Aktualität.

Jauch und Willemsen auf dem RTL-Sofa erwischt

Womit wir bei einem der meistzitierten Schlag- und Stichworte dieser Mainzer Tage wären: die zunehmende „Selbstreferentialität“ des Mediums Fernsehen. Nämliche wurde auf amüsante Weise beklagt im Eingangsreferat, die die „Informationsvermittlung“ auf den „Prüfstand“ stellte. Der Gießener Politikwissenschaftler Claus Leggewie hatte Günter Jauch und Roger Willemsen auf dem RTL- Sofa erwischt, wie beide durch die anderen Kanäle zappten: „Wir hüpfen durch die Kanäle, auf denen andere über die Kanäle springen, durch die wir gerade hüpfen. So kommen noch echte Begegnungen zustande.“ Leggewie behauptete, Fernsehen könne gar nicht aktuell sein: „Gerade wegen der vielen Schaltungen an alle möglichen Orte der Welt, an denen in der Regel nichts zu sehen ist, außer einem Korrespondenten vor einem Ü-Wagen. Damit zeigt das Fernsehen Präsenz, ohne wirklich da zu sein.“ Fernsehen könne „gar nichts anderes zeigen als virtuelle Welten“. Er plädierte für ein „inaktuelles Programm“, das „Differenzen entstehen“ lasse und „Distanzen aufbauen“ solle.

Doch auch dieser Vortrag über den Mut zur Lücke, der erst so etwas wie den Einbruch des richtigen Lebens ins Fernsehen ermöglichen könnte, tröstete nicht über die entscheidenden Mankos der Tagung hinweg, ebensowenig wie die ironische Programmanalyse von Dietrich Leder und der mythenschwangere Essay von Barbara Sichtermann.

In Mainz wird seit einem Vierteljahrhundert regelmäßig über das geklagt, was professionelle Mitglieder der Organisation „Bürger beobachten das Fernsehen“ lang schon wissen (und beklagt haben). Das Waldsterben hat seine „Themenkarriere“ seit zehn Jahren hinter sich und ist damit tot wie eine Harzkuppe, so die Erkenntnis des Referats „Aktualität von gestern“. Eine andere: Schwarzafrika ist für den Zuschauer in der ersten Reihe nur ein weißer Fleck. Was helfen solche medientheoretischen Dauerbrenner angesichts einer Programmwirklichkeit voller kurzer „Brennpunkte“, immer mehr unnützer Live-Schaltungen und der neuesten öffentlich-rechtlichen Errungenschaft, die sich „journalistische Unterhaltung“ nennt und Infotainment meint? Allzuoft, so die Kritikerin Brigitte Knott-Wolf, zeigten die TV-Macher – trotz ein wenig mehr Satire im Programm – nur „Gratis-Mut“. Richtig aufgedreht wird erst dann, wenn jemand schon zurückgetreten ist, oder dann, wenn eine Partei bereits am Boden liegt.

Sogar darüber, daß bei den Mainzer Tagen oft nur die sanften Ruhekissen für die Anstaltshierarchen bestickt werden, wird inzwischen alle Jahre wieder geklagt. Früher war alles besser, jaulen hier die einen und trauern um die Programmplätze der für den Zuschauer auch so heilsamen „langen, ruhigen Dokumentarfilme“. Morgen wird alles besser, meinen die anderen und raten, den pädagogischen Zeigefinger in der Faust zu lassen; selbst der kommerzielle Mist werde sich mal verdampfen. Zu kurz kommt die Praxis, kommen die Verbesserungsvorschläge.

Wahre Wochenschau oder neutrales Dokument?

Einsam stand im Tagungsraum Hans-Geert Falkenbergs Forderung nach einem Jugoslawien- „Themenabend“, der den kaum durchschaubaren Konflikt endlich einmal ausführlich darstelle. Leider auch vergeblich die allzu umständlichen Einwürfe eines greisen Verfassungsrechtlers, der anmerkte, daß die politischen „Korrekturen“ in Sachen Asyl und weltweitem Einsatz der Bundeswehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oft so harmlos daherkämen wie „Kosmetik“. Nur einmal wurde die Diskussion aufregend handwerklich, als man darum stritt, ob ein „heute“-Nachrichtenfilm über die Propaganda-Ankunft der Bundeswehr in Somalia („Wir gehören wieder zur Familie“) denn nun ein wahrer Wochenschaubericht oder bloß ein neutrales Dokument gewesen sei. Zwar leuchtete in den meisten Beiträgen und Diskussionen der Wunsch auf, daß das Fernsehen die Gesellschaft (den Menschen und möglichst noch den Fernsehjournalisten) zum Besseren ändern möge – aber wie soll das gehen? Haben sich doch die Journalisten längst die „Sachzwanglogik“ und die Darstellungsstrategien der Politik zu eigen gemacht, wie Ralph Weiß vom Hamburger Bredow-Institut ausführte. Wie kann das funktionieren, wenn „viele in diesem Saal – wenn sie ehrlich sind – an dieser Zeit und an dieser Gesellschaft gar nicht so viel auszusetzen“ haben (Leggewie)? Dann sorgte doch noch jemand für so etwas wie Authentizität: ausgerechnet der Pressesprecher des WDR, Stephan Piltz, als er sich mit „Aktualität und Menschenwürde“ befaßte. Piltz ist verwandt mit dem Atommanager Klaus Piltz, der bei einem Lawinenunglück ums Leben kam. Ein Foto von dessen Leiche hatte die Bild-Zeitung über die Breite der Seite 1 quasi als „erfrorenen Ötzi“ gebracht. Piltz: „Wir regen uns meist nur auf, wenn wir persönlich betroffen sind.“ Eindrucksvoll stellte er dies gegen die „öffentliche Scheinentrüstung“ von Politikern, die etwa einst gegen den Umgang des WDR mit Steffi Graf in einer Glosse protestierten – natürlich in der Bild-Zeitung.

Nur einer war sich sicher über Sinn und Wert der Veranstaltung: ZDF-Intendant Dieter Stolte, seit 25 Jahren bei den Mainzer Tagen dabei, lobte das Eigentor aus seinem Hause: Bei den Tagen der Fernseh-Kritik werde „nicht nur das Aktuelle, sondern der Fernsehbetrieb insgesamt einmal im Jahr angehalten“. Wenn er doch nur das Programm selbst einmal stoppen würde! Hans-Hermann Kotte

Der ZDF-Film zur Tagung von Dietmar Hochmuth diesmal noch später als im letzten Jahr: kommenden Dienstag 0.40 Uhr (!).