■ Mit Entwicklungsberichten auf du und du
: Wer lebt am besten?

Berlin (taz) – Der UNDP gebührt das Verdienst, als erste „Fortschritt“ nicht mehr allein nach dem Bruttosozialprodukt zu berechnen. Die Entwicklungsabteilung der UNO arbeitet seit 1990 mit dem Human- Entwicklungs-Index (HEI), der außer dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen Größen wie Lebenserwartung, Bildungsgrad, Kalorienverbrauch und Gesundheitsfürsorge einbezieht.

Sogar die Tatsache, daß weibliche Menschen überall auf der Welt schlechtere Lebensbedingungen vorfinden als männliche, berücksichtigt der jährliche „UNDP-Bericht zur menschlichen Entwicklung“. So konstatiert er, daß mann in Japan am besten lebt, frau hingegen in Schweden. Aus weiblicher Lebensperspektive betrachtet, stürzt Japan von seinem 1. Rang auf den 17. ab, während sich Schweden von Platz 5 auf Platz 1 verbessert und Deutschland sich von Platz 12 auf Platz 16 verschlechtert.

Doch obwohl der HEI die differenzierteste Meßgröße für Entwicklung ist, hält ihn das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für dringend verbesserungsbedürftig. Den Wirtschaftsforschern stieß auf, daß die Staaten Mittel- und Osteuropas nur knapp hinter Italien im Bereich von Portugal gelandet sind, aber weit vor China. Nach dem UNDP-Bericht lebt man in Bulgarien besser als in Portugal, in Albanien besser als in Saudi-Arabien. Die DIW-Forscher finden dieses Ergebnis „angesichts der offensichtlichen Probleme zumindest erstaunlich“.

Die Ursache dieser „Kuriositäten“ sehen die DIW-Forscher in der Methode, mit der ihre UNDP-Kollegen das Pro-Kopf- Einkommen und die Alphabetisierungsquote behandeln. Oberhalb der Armutsgrenze (4.829 US-Dollar pro Kopf pro Jahr) nehmen die UNDP-Leute an, daß der Nutzen zusätzlichen Einkommens kontinuierlich abnimmt. Ähnlich verfahren sie mit der Alphabetisierung, deren Kriterien so niedrig angesetzt werden, daß ein Drittel aller Länder eine Alphabetisierungsquote von 93 bis 99 Prozent erreicht. Die berufliche und akademische Qualifikation bleibt dagegen außen vor.

„Die fast vollständige Vernachlässigung zusätzlichen Einkommens und höherer Ausbildung führt dazu, daß der HEI zwar gut geeignet ist, den Rückstand von traditionellen Entwicklungsländern anzuzeigen“, nicht aber den der Reformstaaten, bilanziert das DIW. Nach der Alternativ-Rechnung des DIW landen die mittel- und osteuropäischen Staaten auf halber Strecke zwischen den EG-Staaten und Entwicklungsländern wie Brasilien, Ägypten und Indien. Donata Riedel