■ Ökolumne
: Vom Scheitern der Entwicklung Von Kurt Hübner

Seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus haben die schlechten Nachrichten über den Zustand des globalen ökologischen Systems rapide zugenommen. Selbst notorische Antikommunisten dürfen noch Überraschungen erleben, wenn wieder einmal eine neue Meldung über ökologischen Raubbau in den osteuropäischen Ländern die Runde macht. Das Industrialisierungs- und Entwicklungsmodell sowjetischen Typs, so zeigt sich, hat in aggressiver Weise die natürliche Umwelt als kostenlose Ressource für die ökonomische Produktion zu nutzen gewußt. So entziehen etwa die Bewässerungssysteme für die riesigen Baumwoll- und Reiskulturen den Zuflüssen des Aralsees nahezu 90 Prozent des Wassers. In den letzten 30 Jahren ist der Aralsee infolgedessen um mehr als die Hälfte geschrumpft – bis zum Jahr 2015 ist er wahrscheinlich verschwunden. Von der trockenen Fläche werden täglich 240.000 Tonnen eines Salz-Sand-Gemisches aufgewirbelt und bis nach Sibirien, China und über das Polarmeer verteilt. Toxische Dünger und Pestizide haben die Böden in der Umgebung sowie die verbliebenen Seereste irreversibel vergiftet. Versuche mit bakteriologischen und chemischen Waffen haben das ihrige beigetragen, um aus der einst blühenden Region eine ökologisch zerstörte Zone zu machen, in der Menschen nur noch unter Inkaufnahme chronischer Erkrankungen und verkürzter Lebenszeit überleben können.

Technischer Machbarkeitswahn einer produktivkraftgläubigen Bürokratie und zentralistische Planung im Rahmen eines wachstumsorientierten Entwicklungsmodells können zur Erklärung solcher Zerstörungen angeführt werden. Anthropogene Attacken gegen die äußere Natur des Menschen sind freilich kein Privileg realsozialistischer Systeme. Globale Ökologen wie Ernst Ulrich von Weizsäcker weisen darauf hin, daß rund neunzig Prozent des weltweiten Artensterbens, der Bodenerosion, der Waldvernichtung und der Wüstenbildung heute in den sogenannten Entwicklungsländern lokalisiert sind. Das Ruhrgebiet, so der eingängige Vergleich, habe Kurortqualitäten gegenüber den verheerenden Luftverschmutzungen in Mexiko-Stadt, in Kairo oder im chinesischen Wuhan. Gigantomanische Staudammprojekte, die mit Unterstützung von Weltbank und westlichen Regierungen durchgeführt werden, sind dabei nur die bekanntesten Unternehmungen. Ökologischer Raubbau, so zeigt sich in diesen Teilen der Welt, ist nicht nur das Ergebnis der allenthalben eingeleiteten Versuche einer nachholenden Entwicklung im Rahmen der kapitalistischen Weltwirtschaft, deren Spielregeln von den dominanten Zentren geschrieben werden. Er ist in genauso großem Maße das Ergebnis gescheiterter Entwicklungsmodelle und erfolgreicher Bereicherungsstrategien herrschender Klassen in der Ersten und der Dritten Welt. Und auch die individuelle Rationalität in der Konkurrenz, die die entwickelte kapitalistische Marktwirtschaft charakterisiert, bewirkt einen Umschlag in gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Irrationalität, indem sie öffentliche Güter wie die globale Umwelt außerhalb ihrer Kostenkalküle beläßt. Die Externalisierung gesellschaftlicher Kosten privater Produktion und Konsumtion wurde insbesondere während der achtziger Jahre zum Gegenstand heftiger innenpolitischer Konflikte in den Zentrumsländern. Auf die politischen Forderungen der Ökologiebewegungen wurde mit Internalisierungen, technischen Innovationen, vor allem aber mit einer Verlagerung ökologischer Folgekosten in andere, abhängige Teile der Welt reagiert. Selbst die drastisch verschärfte Asylpolitik der Länder der Europäischen Gemeinschaft ist ein Teil der Strategie, sich von den globalen Folgewirkungen kapitalistischer Produktion zu isolieren und den Club der Reichen mit ihrem oligarchischem Wohlstand zu einem closed shop zu machen: Armutsflüchtlinge und Ökologieflüchtlinge haben gefälligst draußen zu bleiben.

Armut und ökologische Degradation einer großen Mehrheit der Weltbevölkerung und Abschottung einer reichen Minderheit vertragen sich auf Dauer nicht. Globale Umverteilungsstrategien im Rahmen einer neuen entwicklungspolitischen Initiative sind nicht mehr als ein Ablaß, wie sie die Kirchen zur Salvierung begangener Sünden eingezogen haben. Was not tut, ist ein gravierender Umbruch der Funktionslogik ökonomischer Prozesse in allen Regionen der Welt. Gerade auch nach dem Scheitern des realen Sozialismus.