Interviews zum Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts zum Paragraphen 218

Peggy Parnass, Reporterin,

Kolumnistin, Kommentatorin

und Autorin:

Als das Urteil gesprochen wurde, habe ich keine Silbe verstanden, obwohl ich Gerichtsreporterin bin. Inzwischen weiß ich: ein Schweineurteil unter Schweinevoraussetzungen. Sieben Richter, nur eine Richterin, schon das ist ein Skandal. Hier diktieren Männer die Bedingungen für unser Leben. Und ich hab' die Schnauze voll davon, daß Frauen vom Staat immer wieder dazu gezwungen werden, sich irgendwelchen Männern zu beugen.

Wenn all dies doch wenigstens neu wäre. Schon 1871 trat der §218 in Kraft, 1920 brachte die SPD einen Antrag gegen den Paragraphen ein. 50 Jahre später noch mal, weil sich nichts geändert hatte. Bevor wir hier es taten, zeigten sich in Frankreich 200 der prominentesten Frauen des Landes wegen ihrer Abtreibung an, konnten nicht bestraft werden, wir zogen nur nach. Wie gesagt, alles nicht neu, alles zum Erbrechen. Ich setze mich nicht für das werdende, sondern für das vorhandene Leben ein. Wenn man sich in der Welt umguckt, weiß man, damit nimmt man es nicht so genau.

Unsere Ärzte können frohlocken. Nicht mehr die 170 Mark der Krankenkassen, sondern wieder Schwarzmarktpreise. Also wie immer: Begüterte bevorzugt. Doch wie auch immer – preiswert oder unerschwinglich –, keine Frau treibt aus Jux ab.

Dagmar Zimmermann,

Psychotherapeutin:

Frauen werden durch diesen Paragraphen weiter kriminalisiert, es geht also nicht um die Selbstbestimmung der Frau, daß sie bestimmt, ob sie Mutter werden will oder nicht, sondern sie macht sich strafbar. Und sie muß zu einer Zwangsberatung gehen. Aber was ist das für eine Beratung, wenn sie zwangsweise erfolgt und auch noch dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen soll. Das heißt doch nur, daß das keine Beratung ist, sondern die Frau soll beeinflußt werden, ein Kind in die Welt zu setzen. Das ist in der heutigen Situation zynisch. Es gibt keine Wohnungen, oder viel zu teure, es gibt zu wenig Kindergartenplätze, es gibt überall Einschnitte bei den sozialen Leistungen, und es gibt eine ganz hohe Frauenarbeitslosigkeit. Vor diesem Hintergrund paßt es, daß das Gesetz verschärft wird, die Frauen sollen wieder zurück nach Hause. Was das Gesetz schlimmer macht als die Indikationslösung, ist, daß die Krankenkasse den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr bezahlt. Also wie immer schon: Es wird die Unterprivilegierten treffen und für die Privilegierten ändert sich so großartig nichts. Das schlimmste ist, daß das für die Frauen in den neuen Ländern eine ganz starke Verschlechterung ist.

Vera Tschechova, Schauspielerin:

Das Urteil ist ein seismographischer Befund dafür, wo wir stehen. Das Urteil ist furchtbar. Das ist mittelalterlich, es ist wirklich empörend. Das geht gegen die Selbstbestimmung der Frau, was ich unglaublich finde. Ich weiß auch nicht, was man tun kann, aber die Frauen müssen sich irgendwie organisieren und mobilisieren ... also, wo leben wir denn!

Monika Spohn,

Bankangestellte:

Da könnte ich ja schon wieder ... Wofür hat man 25 Jahre lang gekämpft, wofür? Für so einen Scheiß! Es ist deprimierend. Für die Frauen aus den neuen Bundesländern ist es ja noch schlimmer. Ich habe allerdings damit gerechnet, daß das Urteil so ausfällt. Das hat sich ja abgezeichnet, daß das alles abgeschmettert wird. Ich werde sehen, daß ich es schaffe, heute abend zu der Protestaktion in Berlin hinzugehen, weil ich das für wichtig halte.

Carola Stern, Autorin:

Seien wir uns klar darüber: Was gestern in Karlsruhe geschehen ist, verändert diese Republik. Es ist weit mehr als das entwürdigende Urteil einer Handvoll von Männern gegen Millionen von Frauen. Wir müssen die Zusammenhänge sehen, die Wirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen, betroffen sind vor allem Frauen; den Abbau des Sozialstaats auf allen Ebenen, die Kürzung von Kinder- und Erziehungsgeldern, betroffen sind vor allem Mütter. Und uns muß klar sein: Nicht nur „Republikaner“, sondern auch Richter, nicht nur Skinheads, auch Politiker, insbesondere der CDU/CSU, rücken diese Republik Stück für Stück nach rechts. Ich fürchte, wir driften ab in Weimarer Verhältnisse. Die Konsequenz vor allem und gerade für uns Frauen kann nur heißen: Aufstehen! Protestieren! Demonstrieren! Rebellieren! Widerstand aus ganzer Kraft!

Sybille Volkholz, Senatorin a.D. und Abgeordnete von Bündnis90/ Die Grünen im Berliner

Abgeordnetenhaus:

Es ist schon ein Erfolg, daß die nicht zurück zur Indikationslösung gegangen sind, sondern daß die Fristenlösung grundsätzlich akzeptiert worden ist. Das ist für die alten Bundesländer ein leiser Fortschritt. Das ganze Drumherum ist natürlich für die neuen Länder ein erheblicher Rückschritt. Das Ende der Krankenkassenfinanzierung ist ein ganz gravierender Mangel. Damit hängt die Möglichkeit abzutreiben wieder von den Einkommensmöglichkeiten der Frau ab. Das halte ich für mit dem Sozialstaat nicht zu vereinbaren. Insofern ist das ein sehr halbherziger Schritt nach vorne.

Claudia Skoda,

Modedesignerin:

Man kann nur den Kopf schütteln, weil alle Entwicklungen im Moment so konservativ sind. Mir wird richtig angst und bange, daß auch in dieser Sache so konservativ entschieden wird. Mir macht das insgesamt angst. Es geht ja nicht alleine um diese eine Entscheidung, die natürlich katastrophal ist. Mich macht das sehr wütend. Sobald die Kirche irgendwelche Macht hat, werde ich sauer, weil ich finde, das ist alles überholt. Solche Dinge kann man heute so nicht mehr entscheiden. Und letztlich sind es ja wahrscheinlich religiöse Gründe, oder sagen wir konservativ-religiöse Gründe. Daß die Krankenkassenfinanzierung gestrichen wird, ist das einzige, was ich daran gelten lassen kann, abgesehen davon, daß ich das nicht gut finde. Insgesamt ist das Urteil eine Katastrophe, besonders für die Frauen in den neuen Bundesländern.

Interviews: win