Monströse Beichte eines Henkers

■ amnesty-Benefiz zur Todesstrafe mit Ulrich Tukur in den Kammerspielen

zur Todesstrafe mit Ulrich Tukur in den Kammerspielen

Im Thalia Theater war man vor kurzem gegen Rassismus und Krieg. In den Hamburger Kammerspielen war man Sonntag vormittag gegen die Todesstrafe. Lesungen gegen das Unrecht in dieser Welt haben Konjunktur. Doch da die Welt dies unbeeindruckt läßt, fragt es sich: Sind solche Veranstaltungen nicht anachronistisch? Bestenfalls hilflose Versuche, die Macht des Wortes zu erheben? Schlimmstenfalls im gut Gemeinten steckenbleibende Kultur-Ereignisse?

Legt man die Lesung in den Kammerspielen zugrunde, ist die Frage leider mit einem „Ja“ zu beantworten. Hans-Jörn Brandenburg spielte Klavier, Wolfgang Schubert sehr hübsch Oboe. Und Ulrich Tukur las längst Bekanntes: den Schlußabschnitt aus Camus' Der Fremde, die Hinrichtungsszene aus Patrick Süßkinds Das Parfüm. Dazu ein Kapitel aus Stephen Trombleys umfangreicher Reportage über die „Hinrichtungsindustrie“ in den USA, die erst vor wenigen Wochen vorab im Spiegel erschienen war. Texte mithin, die zur Entfaltung ihrer Wirkung diese Lesung nicht unbedingt gebraucht hätten.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, die Organisation amnesty international, die als Co-Veranstalterin auftrat und der die Einnahmen der Benefizveranstaltung zuflossen, in ihrer praktischen Arbeit gegen Folter und Hinrichtungen zu unterstützen. Nur: Ein Grundproblem solcher Veranstaltungen ist stets, daß allein den schon Überzeugten gepredigt wird. Wenn das Predigen zudem noch mit Mitteln geschieht, die jeder halbwegs Interessierte schon kennt, verstärkt sich der Effekt. Menschen, die eine gemeinsame Überzeugung haben, sitzen gemeinsam in einem Raum und lassen sich Texte vorlesen, die jeder nur mit einem wiedererkennenden Kopfnicken begleiten kann. Ist es dies, was Kammerspiele-Intendant Stephan Barbarino meinte, als er in seiner kurzen Begrüßung allen ein „tiefes Bewußtsein“ wünschte?

Allerdings gab es mit den Erinnerungen des Albert Pierrepoint doch noch eine Entdeckung zu machen. Pierrepoint, ein englischer Henker dieses Jahrhunderts, der mit eigener Hand annähernd 3 000 Delinquenten vom Leben zum Tode brachte, erläutert sein Handwerk und beichtet sein Leben. Bereits als Kind gab er als Berufswunsch Scharfrichter an. An einer Stelle beschreibt er sich als jemanden, der schuldige Verbrecher qua Erhängen schmerzfrei in erlöste Menschen verwandelt. Deren tote Körper vergleicht er gar mit dem Leib Christi. Gerade die fast rührende Schlichtheit seiner Sätze provoziert: In einem der wenigen gelungenen Momenten dieser Lesung läßt sie tatsächlich etwas von der banalen Monstrosität durchschimmern, die die Todesstrafe umgibt. Dirk Knipphals