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Volksvertumung Von Thomas Pampuch

Es gibt Nachsilben, die haben es in sich. Mit ein paar Buchstaben wird da im Nachklappverfahren Wesen, Zugehörigkeit, und Eigentümlichkeit erzeugt, zugeordnet, ja beschworen. Absoluter Meister des Suffixismus ist im Deutschen die Silbe „tum“. Mit einem einzigen Laut vermag sie es, Identitäten zu schaffen, Sinn und Wir-Gefühle zu stiften, die Welt in Freund und Feind zu teilen. Scheint sie bei Wörtern wie Altertum oder Eigentum noch unbelastet, so wird schon bei Konstruktionen wie Christentum und Judentum, Deutschtum und Slaventum deutlich, daß die Silbe in der Lage ist, Gemeinschaften und ihre angeblichen Wesensmerkmale zu dekretieren und gegen andere abzuschotten. Daß sich das keineswegs auf scheinbar hehre Gruppen wie religiöse oder nationale beschränkt, zeigen Wortschöpfungen wie Verbrechertum oder Rowdytum. Mit „tum“ wird eingegrenzt wie ausgegrenzt, wird Eigenart auf einen Gruppenleisten geschlagen. Wer tümelt, betätigt sich, ob er nun will oder nicht, ideologisch, und meist eher hetzerisch als friedlich.

Schon der alte Brecht hat mit seinem „Das Volk ist nicht tümlich“ tapfer gegen die Volksvertumung angekämpft. Doch es zeigt sich, daß die Neigung, ihr zu verfallen, seither keineswegs geringer geworden ist. In einer Welt der zunehmenden Ethnologisierung scheint es vielmehr für viele Völker, Nationalitäten, Mehr- und Minderheiten kaum ein größeres Vergnügen zu geben, als sich hemmungslos dem Tümlertum hinzugeben. Das Tragische daran: Meistens geht mit der Besinnung und Wiederentdeckung des eigenen Volkstums die Entdeckung eines Untermenschentums bei Anrainern, Nachbarn oder irgendwelcher Minderheiten einher. (Und wenn man dann mal beim völkischen Brauchtum ist, entdeckt man auch gerne alte Landessitten, etwa das Augenausstechen und Hautabziehen derzeit im bosnischen Krieg.)

Fast harmlos und eher komisch erscheint einem da die Orgie an Volkstum, die ab morgen drei Wochenenden lang Inzell bei Traunstein heimsuchen wird. Auf einer „Bavariade“ sollen dort Goaßlschnalzen und Schafkopfen, Maibaumklettern und Fingerhakeln und was nicht alles noch in einer Art bayrischer Olympiade als Brauchtum wiederentdeckt und reaktiviert werden. Jodeln und Schuhplatteln hat man wegen der Gefahr, sich lächerlich zu machen, aus dem Programm gestrichen. Mag ja sein, daß das Ganze vom olympisch- völkerverbindenden Geist durchweht ist (wogegen jedoch spricht, daß nur durch Geburt oder Wohnsitz ausgewiesene Bayern teilnehmen können). Spätestens bei so absonderlichen Wettbewerben wie Steckäplattln und Strängkatznziagn werden freilich auch reinrassigste Altbayern in Schwierigkeiten mit ihrem Bayerntum kommen. Dann müssen sie nämlich den Mann, der sich das ganze Spektakel ausgedacht hat, einen gewissen Arno Schmitt, fragen, was das sein soll. Und der wird ihnen in pfälzisch antworten, weil er ein Zugroaster aus Kaiserslautern ist. Man sollte ihn dazu verdonnern, 300mal fehlerfrei „Blaukraut bleibt Blaukraut und Brauchtum bleibt Brauchtum“ herzusagen. Altes bayrisches Brauchtum. Denn Irren ist tümlich, das wissen die Bayern.

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