Jenseits des Gesangs

■ Kontrolliert schwermütig: Maurice Blanchots kurze Meditationen über die Lyrik von Paul Celan

Maurice Blanchots Haltung zum Schreiben und zur Sprache ist zutiefst existentiell: „Das Wort ist das Leben, das den Tod in sich trägt und bewahrt.“ Er fragt: „Wie finde ich wieder, was vor dem Schreiben war, wenn meine ganze Kraft sich darauf richtet, herzustellen, was danach ist?“ Heiter war Maurice Blanchots Interesse an der Literatur nie, ganz im Unterschied zu verwandten Geistern wie Jean Starobinski oder Roland Barthes. Für Blanchot, den 1907 geborenen Philosophen, Romancier und Literaturtheoretiker, bedeutet Literatur – und wie selbstverständlich meint er „große“, „hohe“ Literatur – die Erfahrung des Todes.

Eine seiner jüngsten Lektüren widmet Blanchot der enigmatischen, im Werkverlauf zunehmend knappen und gekerbt wirkenden Lyrik von Paul Celan. Die bereits 1984 in Frankreich veröffentlichte Studie „Le dernier à parler“ ist jetzt in einer zweisprachigen Ausgabe im literarisch ambitionierten Verlag Gatza erschienen, an der sich einzig bemängeln läßt, daß die von Blanchot benutzte französische Übersetzung Celans nicht nachgewiesen ist. Blanchot interpretiert nicht, urteilt nicht und analysiert nicht: er meditiert. In vier Abschnitten von unterschiedlicher Länge – alle ohne Überschrift – folgt er ohne erkennbare Systematik so hermetischen Celanschen Themen wie: Gewalt/Strenge, Sehen, Fallen/Vereinigung, Draußen/Materialität, Weiße, Schmerz. Blanchot schreibt „graphisch“. Er folgt nicht Celans Werk, sondern fragmentiert es: so macht er es sich zugänglich. Dabei kombiniert er verschiedene Gedichtteile aus verschiedenen Epochen miteinander. Erläuterung und Paraphrase fallen in eins. Was auf diese Weise entsteht, ist ein filigranes assoziatives Epos, kurz, ungewöhnlich und schwer zugänglich.

Zunächst könnte man auf die Idee kommen, Blanchot sei Celans Paradoxa auf der Spur. Etwa: Wo alles verloren ist, gibt es dennoch die Gabe. Doch Blanchots dichteste Passagen gehen über die rhetorische Figur des Paradoxons hinaus: „(...) eine Sprache, die oft so hart (wie in manchen Gedichten des späten Hölderlin) – nein nicht hart, sondern grell und schrill, jenseits dessen, woraus Gesang entstehen kann – ist und dennoch niemals ein Wort der Gewalt hervorbringt, niemals zum Schlag ausholt, von keiner aggressiven oder zerstörerischen Absicht beseelt ist: so als hätte die Selbstzerstörung bereits stattgefunden, auf daß jeder andere verschont bleibe oder daß bewahrt sei ein durchs Dunkel getragenes Zeichen.

Blanchots Verhältnis zu Celan, dessen Name übrigens insgesamt nur dreimal fällt (Blanchot hat in Frankreich lange vor Foucault das Ende des „Autors“ verkündet) ist eindeutig affektiv, er ist, wie er selbst sagt, „fasziniert“ – vielleicht eine Bedingung der Meditation. Wenn Maurice Blanchot auch zu den todernsten unter den Literaturkritikern gehört, so heißt das nicht, daß er der todeserfahrenen Poetik Paul Celans nicht das Körnchen Ironie ablauschen könnte, das in ihr „trotz allem“ zu finden ist. „Trotz allem“ – so lautet auch die von Blanchot ebenfalls zitierte Kernphrase aus Celans berühmter Bremer Büchner-Preis-Rede: „Sie, die Sprache, blieb unverloren, trotz allem.“

Obwohl er bei Celan unübersehbar seinem Thema, dem Tod, nachspürt, vermeidet Blanchot es, den im Zusammenhang mit dem jüdischen Dichter üblicherweise erwähnten, längst metaphorisch gewordenen Namen Auschwitz zu benutzen (das geschieht dafür im Klappentext des Verlags). Die erstaunliche Tatsache, daß der in Czernowitz geborene Celan, dessen Eltern im KZ umkamen und der seit dem Kriegsende bis zu seinem Selbstmord 1970 in Paris wohnte, zeit seines Lebens an der deutschen Muttersprache festgehalten hat, nennt Blanchot – nicht ohne Schwermut, aber kontrolliert – die „Möglichkeit, Gedichte in jener Sprache zu schreiben, durch welche der Tod über ihn, über seine Nächsten, über Millionen von Juden und Nicht-Juden kam – Geschehen ohne Antwort“.

Wie man die manchmal schwerfällig elliptische, trauernde Geste seines Versuchs über Celan auch empfinden mag: Blanchot weiß, was er tut. Er sucht keine Antwort, sondern die Suche. Ina Hartwig

Maurice Blanchot: „Der als letzter spricht“. Aus dem Französischen von Makoto Ozaki und Beate von der Osten. Mit einem Vorwort von Rüdiger Görner, zweisprachige Ausgabe, Verlag Mathias Gatza, 45 S., 22 DM