■ Raus aus dem ewigen Kreislauf von Gewalt und Demo
: Gleiche Rechte statt Gejammer!

Sparen wir uns eine Erwiderung auf die allmählich ekelerregenden Bekundungen der Politiker, die nach jedem größeren Anschlag gegen Ausländerinnen und Ausländer ungerührt ihre Rührung zum Ausdruck bringen und ihre Floskeln herunterleiern. Den meisten von ihnen kann ich es einfach nicht abnehmen, daß sie sich tatsächlich schämen. Die mühsam aufgesetzten Minen sind für das Ausland bestimmt, die im Land wissen schon, welche Fratzen sich hinter den Masken verbergen.

Bleiben wir nüchtern. Lassen wir uns nicht verleiten von der berechtigten Wut, von dem Entsetzen über das unsagbare Verbrechen von Solingen. Betrachten wir zunächst die Lage:

1. Spätestens seit vergangenem Sonnabend wird wohl niemand mehr behaupten können, daß die Fremdenfeindlichkeit eine spezifische Erscheinung ist, deren Wurzeln man im Osten Deutschlands suchen und auf die dort herrschenden ökonomischen und sozialen Verhältnisse zurückführen muß. Mögen die ökonomischen Engpässe den Fremdenhaß verstärkt haben, sie bilden nicht die Ursache dieses Phänomens.

2. Die Fremdenfeindlichkeit richtet sich längst nicht mehr allein gegen Flüchtlinge. Die Ermordeten in Mölln und nun die in Solingen lebten in „normalen bürgerlichen“ Verhältnissen, sie gehörten Familien an, die seit Jahrzehnten in Deutschland etabliert und integriert sind.

3. Die verantwortlichen Politiker haben trotz der ständigen Zunahme der Fremdenfeindlichkeit, trotz Tausender Brandanschläge und zahlreicher Morde nichts grundsätzliches dagegen unternommen. Die Festnahmen und Verurteilungen der Täter, die es gegeben hat, können wohl kaum als grundsätzliche Maßnahmen betrachtet werden. Das erforderte schon die Verpflichtung gegenüber dem Rechtsstaat. Hingegen hat die Bundesregierung, zum Teil in Zusammenarbeit mit der Opposition, Schritte unternommen, die eindeutig als Zugeständnisse an Neonazis und Rechtsradikale zu bewerten sind. Ein wichtiges Grundgesetz ist praktisch gestrichen und der Zugang der Flüchtlinge nach Deutschland versperrt worden. Einen Tag nach den Kommunalwahlen in Hessen, bei dem Rechtsradikale beängstigende Erfolge erzielen konnten, ließ das Bundesarbeitsministerium verkünden, daß es ab sofort die Arbeitsaufnahme für Ausländerinnen und Ausländer soweit wie gesetzlich möglich erschweren werde. Gemäß dieser Verordnung soll jede angebotene Stelle fortan zunächst einen Monat lang Deutschen und Angehörigen der EG-Staaten vorbehalten werden. Das betrifft selbst ausländische Arbeitskräfte aus Nicht-EG-Staaten, die im Besitz eines Arbeitsplatzes sind und diesen unter der Voraussetzung der Verlängerung ihrer Arbeitserlaubnis behalten können. Findet sich in diesem Stadium ein deutscher Bewerber für die Arbeitsstelle, wird die Arbeitserlaubnis des betreffenden Ausländers und damit sein Arbeitsvertrag nicht verlängert. Dergleichen Fälle sind bereits in den letzten Wochen vorgekommen. Wie kann man diese Maßnahme anders bezeichnen als eine eindeutige Diskriminierung der ausländischen Minderheit in Deutschland.

Statt der Ausländerfeindlichkeit entgegenzuwirken, werden also Schritte unternommen, die die ausländische Bevölkerung weiterhin verunsichern und sie in ihrer gesellschaftlichen Position schwächen. Wer aber glaubt, durch diese Zugeständnisse an Rechtsradikale und Neonazis diese politisch neutralisieren zu können – ein Argument, das sogenannte Pragmatiker hinter vorgehaltener Hand propagieren –, befindet sich im Irrtum. Wenn man Rechtsradikalen den kleinen Finger reicht, fordern sie sogar mehr als die ganze Hand. Das Verbrechen in Solingen steht auch im Zusammenhang mit der zuvor im Bundestag beschlossenen Einschränkung des Asylrechts.

Was ist nun zu tun? Gewalt mit Gewalt zu vergelten, hätte verheerende Folgen. Protestveranstaltungen, Kundgebungen, Lichterketten, Rockkonzerte und dergleichen haben nichts ausrichten können. Politiker haben sich offensichtlich davon nicht beeindrucken lassen. Selbst die Initiativen zur Unterstützung von Ausländern und Flüchtlingen sind mehr oder minder ratlos. Solingen hat zwar den Willen zum Widerstand auch bei Teilen der schweigenden Mehrheit neu belebt. Doch es scheint wenig Sinn zu haben, den Kreislauf von Morden und Demonstrieren zu wiederholen. Auch das Ritual, bei dem der Ausländer sagt: „Ich habe Angst“, und der Deutsche antwortet: „Ich schäme mich“, lockt kaum noch eine Maus aus dem Loch.

Meiner Ansicht nach müssen wir uns auf zwei Punkte konzentrieren. Erstens auf die Forderung nach der Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit, die den meisten hier ansässigen Ausländern die Möglichkeit eröffnet, gleichberechtigt mit Deutschen an den politischen Entscheidungen teilzunehmen, und auf die Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz, das die ausländische Bevölkerung juristisch vor Diskriminierungen und Beleidigungen schützt. Zweitens müssen sich die Ausländer endlich im Rahmen der gegebenen Gesetze selbst organisieren und als Interessenverband ihre Belange durchsetzen. Es ist allmählich unerträglich, daß Ausländer wie arme Schlucker ständig um Hilfe betteln. Meine Absicht ist nicht, eine Trennung zwischen Deutschen und Ausländern vorzunehmen. Das widerspricht aber nicht dem Ziel, daß Ausländer wie jede andere Interessengemeinschaft ihre spezifischen Interessen durch einen Verband vertreten. So lange wir uns auf den Schädel hauen lassen und immer nur um Hilfe schreien, können wir nicht erwarten, daß die Schläge aufhören. Ich fürchte sogar, daß demnächst neben Hoyerswerda, Rostock, Sachsenhausen, Mölln und Solingen noch weitere Städte zu Berühmtheit gelangen werden. Bahman Nirumand