Neue Vahr: 30 Jahre Betonklops?

■ 1963 wurde die Modellsiedlung Neue Vahr vollendet / Heute: überaltert, ohne Wandel

Neue Vahr: 30 Jahre Betonklops?

1963 wurde die Modellsiedlung Neue Vahr vollendet/ Heute: überaltert, ohne Wandel

Die Neue Vahr wird dreißig Jahr'Foto: Jörg Oberheide

Der Bremer Westen lag nach dem Krieg in Schutt und Asche, die Menschen wohnten in Behelfsunterkünften - die Wohnungsnot war groß, als 1957 Bürgermeister Wilhelm Kaisen den Grundstein für die damals größte deutsche Wohnsiedlung legte, die Neue Vahr. Größere Siedlungen wie das Märkische Viertel mit 17.000 Wohnungen oder die Gropiusstadt mit 18.000 Wohnungen in Berlin wurden erst in den 70er Jahren gebaut.

In einem heute unglaublichen Tempo entstanden in der Neuen Vahr 10.000 Wohnungen, 1963 zogen die letzten der 40.000 „Vahraonen“, wie die BewohnerInnen genannt wurden, ein. Die MieterInnen der ersten Jahre stammten aus allen Stadtteilen und kamen

aus allen gesellschaftlichen Schichten. Das ist nicht so geblieben, heute weicht die BewohnerInnen-Struktur in allen Punkten von anderen Stadtteilen ab: In der Neuen Vahr wohnen viel mehr Alte, viel weniger Kinder und wesentlich weniger Berufstätige als in anderen Bremer Stadtteilen. Außerdem haben mehr Menschen einen Hauptschulabschluß und nur wenige einen höheren Schulabschluß. Diese Entwicklung und die hohe Zahl an Nicht-WählerInnen und DVU-WählerInnen machen Prof. Eberhard Kulenkampff von der Gewoba Sorgen.

Auf einer Fachtagung zum 30. Geburtstag der Neuen Vahr mit dem Thema „Hat die Großsiedlung als Wohnform eine Zu

kunft?“ äußerte sich Kulenkampff denn auch kritisch zur Situation des Stadtteils. „Die Vahr ist ein Denkmal edler Einfalt, gut gemeint , aber keine Stadt“, so Kulenkampff, „sie ist auf gute Weise nützlich, aber Spaß macht sie nicht“. Denn Spaß mache nur die Vielfalt.

Gewoba-Chef Kulenkampff fordert also mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, eine ergänzende Bebauung zum Beispiel für EigentümerInnen oder Familien — und überhaupt mehr Ideen für eine Entwicklung ins Ungewisse. „Politiker, gebt Entwicklungsfreiheit“, schloß er seinen Diskussionsbeitrag.

„Ach der mit seinen Stelzenbauten“, flüsterte es da aus den Reihen von Vahrer BürgerInnen. Der Gewoba-Chef hatte nämlich schon öfter vorgeschlagen, über Parkplätzen Häuser auf Stelzen zu errichten - damit für Neubauten keine Grünflächen dran glauben müssen. Beiräte und Ortsamt jedoch sträuben sich gegen eine „Verdichtung“ in der Vahr, scheinen, so wird jedenfalls bei der Gewoba über sie gemunkelt, ohnehin jeder Veränderung abhold. Die Beharrlichkeit des Stadtteils zeige sich, so die Gewoba, auch an diesen Zahlen: Ein Drittel der ErstbewohnerInnen wohnt noch dort, bei den Geschäften gab es nur 200 Veränderungen in 30 Jahren — ungewöhnlich wenig.

Doch wie soll denn eine „Durchmischung“ der Vahrer Bevölkerung gehen, wandte der Beirat Helmut Weigelt ein: Die Bindung der Sozialwohnungen in der Vahr reiche noch bis ins nächste Jahrtausend, die in anderen Stadtteilen dagegen laufe demnächst aus. Mit anderen Worten: In Zukunft werden, so Weigelt, noch mehr „Wohnungsnotstandsfälle“ in die freiwerdenden Wohnungen der Neuen Vahr überwiesen. Weigelt schien ohnehin genervt von all den schönen Ideen der StadtplanerInnen: „Das Herbert-Ritze-Bad wird geschlossen, das Bürgerhaus steht auf der Kippe, das sind die einzigen Kommunikationsräume hier — und da reden wir über eine Verdichtung!“ cis