Die Enteignung des Habana Libre

Aus Anlaß seines 35jährigen Bestehens zeigt das frühere Hilton im kubanischen Habana eine Fotoausstellung zur Geschichte des Hotels. Längst knüpft die Gegenwart wieder fast nahtlos an der vorrevolutionären Vergangenheit an  ■ Von Jens Holst

Auf den ersten Blick wirkt dieser Raum wie eine Nebenstelle des nahen Revolutionsmuseums. Auf grobkörnigen Schwarzweißfotos sind bärtige Guerillakämpfer zu erkennen, die nicht recht in die Umgebung passen. Der Dreck an ihren Stiefeln zeugt von den letzten Kämpfen gegen die soeben besiegten Truppen des kubanischen Diktators Fulgencio Batista. Aufgenommen wurden die Bilder am 8. Januar 1959. Sie zeigen den Einzug von Fidel Castro und seinen Mitstreitern im vornehmsten Hotel der kubanischen Hauptstadt Habana.

Aus Anlaß seines 35jährigen Bestehens zeigt das frühere Hilton und heutige Habana Libre eine Fotoausstellung, in der wichtige Etappen der Geschichte des Hotels nachvollzogen werden können. Kein anderer Ort in der kubanischen Hauptstadt ist so eng mit der jüngeren politischen Entwicklung der Karibikinsel verbunden wie das Habana Libre: Gebaut von der internationalen Hilton-Kette, wurde es ganz überwiegend von der Revolutionsregierung genutzt.

Unmittelbar neben den Helden der Revolution hängen deren Widersacher, ebenfalls in Schwarzweiß, aber nicht ganz so grobkörnig. Auf einem Foto weiht Marta Fernández de Batista, die Ehefrau des Diktators, in Anwesenheit von Conrad Hilton das für 21 Millionen Dollar erbaute Hotel in Habanas Innenstadt ein, Hofkaplan Alfredo Llaguno gibt seinen Segen dazu. Es ist der 19. März 1958, als das 25 Stockwerke hohe Gebäude mit den 534 Zimmern seiner Bestimmung übergeben wird. Täglich kommen mehr ausländische Touristen nach Kuba, vor allem aus den Vereinigten Staaten. Nur wenige Flugstunden entfernt von der Heimat finden sie auf der Karibikinsel ein ideales Urlaubsparadies, das neben Sonne, Strand und Meer die üblichen Wettbewerbsvorteile eines Entwicklungslandes bietet: alles ist viel billiger als zu Hause, das Essen, die Drinks und die Frauen. Kuba gilt in den fünfziger Jahren als größtes Bordell der Karibik, hier blüht der Sex-Tourismus.

Mit dem Sieg der Guerilla an jenem 8. Januar 1959, keine neun Monate nach der Einweihung des neuen Luxushotels in Habana, kommt es zu einem jähen Abbruch der Touristenströme. Fidel Castro, der die Geschicke der Revolution anfänglich vom Hilton-Hotel aus leitete, verkündete alsbald, seine Regierung werde den Menschen und insbesondere den Frauen in Kuba die Würde zurückgeben. Nicht nur damit zog sich der comandante en jefe (Oberbefehlshaber) der ehemaligen Guerillatruppen den Unwillen des großen Bruders im Norden zu. Doch dessen Invasionsversuch in der berühmten Schweinebucht im April 1961 scheiterte. Im Zuge der daraufhin einsetzenden Enteignungswelle gegenüber US-amerikanischen Unternehmen wurde auch das Hilton in der kubanischen Hauptstadt zwei Monate später verstaatlicht und in Habana Libre (Freies Habana) umgetauft. Als Volkseigentum war das größte Hotel der Karibikinsel nicht mehr reichen Touristen und der eigenen Oberschicht vorenthalten, auch wenn es während der ganzen Zeit nahezu unausweichlich als Quartier aller ein- und durchreisenden Ausländer vorgeschrieben war, zumindest für die erste Nacht.

Die kurzzeitig aufgetretene Revolutionsromantik während des Rundgangs in der Ausstellung hält nicht lange an. Fidels grobkörnige Mannen kann man sich heute schlecht im großzügigen Foyer des Hotels vorstellen. Nach 35 Jahren hält der Kapitalismus erneut Einzug im größten und bekanntesten Hotel Kubas. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagt ein kubanischer Freund zu mir: „Komm, laß uns irgendwo anders hingehen. Ich kann dir hier nicht einmal einen Kaffee ausgeben. Obwohl ich eigentlich der Gastgeber bin, fühle ich mich wie ein Ausländer.“

Für KubanerInnen ist das Habana Libre offenbar nicht mehr vorgesehen. Das einzige akzeptierte Zahlungsmittel ist im Herzen der kubanischen Hauptstadt die Währung des Erzfeindes, der US- Dollar. Und den darf ein Einheimischer offiziell gar nicht besitzen. Dem kubanischen Volk ist mit dem Aufkommen des staatlich geförderten Tourismus das Habana Libre ebenso wieder entrissen worden, wie ihm die übrigen Urlaubsgebiete mit weißen Sandstränden und türkisblauem Meer vorenthalten werden. Die Gegensätze sind angesichts der als periodo especial (Sonderperiode) bezeichneten Versorgungsprobleme besonders kraß.

Die KubanerInnen erhalten auf Bezugsschein wöchentlich jeweils zwei Kilogramm der vorhandenen Obst- und Gemüsesorten, ein Pfund mit Soja verlängertes Gehacktes, 200 Milliliter Öl und etwas mehr als ein halbes Kilogramm Brot – nach Auffassung des brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto wäre ein Großteil seiner Landsleute über solche Lebensmittelrationen glücklich. Hungern muß auf der Zuckerinsel in der Karibik bei dieser Ernährungslage wohl niemand, zumal besonders bedürftige Bevölkerungsgruppen noch weitergehende Zuteilungen erhalten, zum Beispiel alle Kinder bis sieben Jahre, Alte und Kranke täglich einen halben Liter Milch – aus Milchpulver. Doch erleben die Menschen in Kuba einen ständigen Rückgang des Lebensstandards. Sie vergleichen ihre Lage ja auch nicht mit der von Indigenas in Guatemala und Peru oder mit den Menschen in den lateinamerikanischen Slums, sondern mit den ausländischen Gästen oder den inzwischen reich gewordenen ExilkubanerInnen aus Miami. Der Hinweis, daß seit der Lebensmittelrationierung die Häufigkeit von Herzinfarkten um bis zu 30 Prozent zurückgegangen sei, kann den meisten KubanerInnen ebenfalls nur zynisch erscheinen.

Gleichzeitig läßt sich im Kuba der allgemeinen Verknappung mit „frei konvertierbarer Währung“ nahezu alles kaufen. Seit die Revolutionsregierung nämlich bedingungslos auf den Tourismus setzt und ihn zum wichtigsten Devisenbringer des gebeutelten Landes machen will, ist eine ganz eigene Infrastruktur entstanden. An vielen Stränden des Landes wurden Hotelanlagen gebaut, die ebenso wie das Habana Libre ausschließlich auf Dollarbasis arbeiten. Hier biegen sich die Tische unter üppigen Buffets, auf denen reichlich Milch und Brot vorhanden sind und selten Fleisch fehlt. Für Urlauber ist es kein Problem, Benzin für einen Mietwagen zu bekommen – gegen US-Dollar natürlich. Dennoch gibt es nicht wenige, die Einsicht in die Notwendigkeit zeigen und den Tourismus als einzigen Ausweg aus der Wirtschaftskrise ansehen, in die Kuba nach dem Untergang des Ostblocks geraten ist. „Was sollen wir denn machen?“ fragt verzweifelt der protestantische Pfarrer Raimundo Garcia, „der Zucker bringt nichts mehr ein, Nickel können wir wegen des US-Embargos nicht verkaufen, unser Erdöl reicht nicht aus, so daß wir es sogar importieren müssen. Wir haben nichts anderes anzubieten als unsere Strände. Die Regierung ist sich der daraus entstehenden Probleme durchaus bewußt, es gibt aber keine Alternative!“

So versucht jeder vom großen Kuchen des Tourismusgeschäfts etwas abzubekommen. Angefangen beim kleinen Jungen, der um Kaugummi bittet, den er für drei Pesos weiterverkauft, über den fliegenden Händler, der Habana- Zigarren für ein Zehntel des offiziellen Preises anbietet und schon im Dollargeschäft mitverdient, bis hin zur Abzweigung der für den Tourismus vorgesehenen Waren – entweder zum Eigenverzehr oder zum Verkauf auf dem ständig wachsenden Schwarzmarkt – sind alle Formen des Zwischenhandels vertreten. Überall im Land entstehen sogenannte Intur-Läden, in denen nach dem Prinzip der Intershops der ehemaligen DDR alles nur Denkbare angeboten wird. Im Erdgeschoß des Habana Libre zum Beispiel gibt es ganze fünf dieser Geschäfte mit unterschiedlicher Produktpalette. Freien Zutritt haben KubanerInnen nur in Begleitung eines ausländischen Besuchers, der beim Bezahlen danebenstehen muß, um den Schein zu wahren.

Nachdem auch ich meinen kubanischen Freund davon überzeugen konnte, daß ich ihn ja zu einem Kaffee einladen könnte, setzt sich eine ausgesprochen attraktive Mulattin an den Nebentisch der Bar des Habana Libre. Sie lächelt einen mittelalterlichen Touristen an. Wenig später verschwinden beide in den Fahrstuhl. Das Mädchen ist höchstens fünfzehn, doch ihr Verhalten wirkt so professionell wie das ihrer älteren Kolleginnen. Die Bar des Habana Libre ist ein Zentrum der jineteras, die darauf warten, einen der dollartragenden Touristen anzusprechen. In vielen Fällen geht es dabei um bloße Begleitung im Austausch gegen einige Drinks oder ein Essen außerhalb der bescheidenen Rationen, die es auf Bezugsschein gibt. Doch die Möglichkeit, schnell ein paar Dollar zu verdienen, führt zum Wiederaufleben der Prostitution in Kuba.

Die anfangs schleichende und zuletzt immer offenkundiger werdende erneute Enteignung des volkseigenen Habana Libre wird zu dessen 35. Geburtstag entscheidend vorangetrieben. In einem Joint-venture-Projekt mit spanischem Kapital soll das berühmteste Hotel Kubas innerhalb des nächsten Jahres modernisiert werden. Zwar behält der kubanische Staat 51 Prozent der Anteile, doch wird dies nicht verhindern können, daß das Habana Libre von nun an nach marktwirtschaftlichen Vorstellungen geführt wird.