Traurig jammervolles Ding

Neuerdings berufen sich Filmregisseure auf Clinton – als hätte der nicht genug Probleme: „Falling down“  ■ Von Anja Seeliger

Sex? Gibt's nicht, obwohl Michael Douglas auch in diesem Film ziemlich viel schwitzt. Hier geht's um Höheres: um den wirtschaftlichen Niedergang und Glaubensverlust der weißen Mittelklasse, die Hinterlassenschaft der fiesen Republikaner. Schumacher ist ein Liberaler, der einen komischen und gesellschaftskritischen Actionfilm drehen wollte. Herausgekommen ist „Falling down“, ein Film wie klebriger Likör. Schmeckt gut, trotzdem muß man nach zwei Stunden kotzen.

Es ist heiß in Los Angeles, und zu allem Überfluß steht da auch noch ein Verrückter im Whommyburger und will Frühstück. Um elf Uhr zweiunddreißig. Dabei steht auf der Tafel ganz groß: Frühstück nur bis halb zwölf. Da wir uns in Amerika befinden, unterstreicht Douglas seine Forderung nach Frühstück mit einer Kanone, überlegt es sich anders und bestellt einen Hamburger, der ihm dann auch nicht paßt: „Das ist wieder mal typisch. Sehen Sie sich dieses Bild an.“ Zeigt auf das Foto eines Hamburgers. „Es ist fleischig, saftig und sieben Zentimeter dick. Und nun seht euch dieses traurige, jammervolle, zerquetschte Ding an.“ Oh Mann, die Probleme der weißen Mittelklasse! So brillant wurden die selten vorgeführt.

Douglas, der in diesem Film den aparten Namen D-FENS, nach seinem Autokennzeichen, trägt, spielt einen Arbeitslosen, der sich von Los Angeles nach Venice aufmacht um seine Geschiedene und die gemeinsame Tochter zu besuchen. Auf dem Weg schweifen seine zusammengekniffenen Augen über Arbeitslose, Penner, geldgierige Ausländer, durchgeknallte Nazis, ignorante Bauarbeiter und kaputte Telefonzellen. Die letzten vier Gattungen metzelt er schwungvoll nieder.

Schumacher führt Ihnen vor die Linse, was Sie schon immer mal zusammenschießen wollten. Lebte er in Berlin hätte er noch Busfahrer und Männer, die in der U-Bahn verkünden, sie hätten Aids und wollten deshalb Geld von Ihnen, mit auf der Liste. Er trifft perfekt all die nervtötenden Kleinigkeiten, die friedliche Großstadtbewohner in reißende Bestien verwandeln können. Und genau das ist das Problem. Die Sorgen der weißen Mittelklasse sind so banal wie D- FENS' Frühstück im Whommyburger, und wenn sie ernst sind – Arbeitslosigkeit – sind weniger sie das Problem, als vielmehr die Werte auf denen sie beruhen, und die läßt Schumacher unangetastet.

Die Eingangssequenz ist brillant und einige Szenen ziemlich komisch. Vorwürfe, Douglas spiele eine Neuauflage vom Mann, der rot sieht, macht Schumacher mit einer einzigen Kamerafahrt zunichte, die wie ein Blick einmal von oben bis unten an dem Mann entlanggleitet: Das spottet jeder Beschreibung. Die schmalen, lächerlich abfallenden Schultern in einer Militärjacke, die schlabbrigen Hosen und unmöglich ausgetretene Latschen. Aber ein Blick in Douglas Gesicht läßt alle Geschichten über biedere Bürger, die eines Tages aus heiterem Himmel in ein Restaurant marschieren und zwanzig Leute erschießen, unangenehm real werden. Befremdlich nur, mit welcher Hartnäckigkeit Schumacher die Tatsache leugnet, daß dieser Mann ein Psychopath ist.

Graham Fuller hat in der amerikanischen Zeitschrift Interview behauptet, der Film erinnere ihn an Taxi Driver. Eine lächerliche Vorstellung. Scorsese erkennt einen Psychopathen, wenn er einen filmt. De Niro war verrückt, und Scorsese hat das niemals geleugnet, sondern einfach klargemacht, daß es eine Verbindung gibt zwischen gesellschaftlicher und individueller Gewalt. D-FENS wird dagegen als ein Mann verkauft, der billigenswerte amerikanische Ideale hat, auf deren Zusammenbruch er nur ein wenig übertrieben reagiert. In einem Kleiderladen will ein übergeschnappter Nazi D-FENS einen Raketenwerfer schenken, mit der Begründung: „Wir sind gleich.“ Worauf D-FENS entgegenhält: „Wir sind nicht gleich. Ich bin Amerikaner, und Sie sind ein krankes Arschloch.“ Scorsese war niemals dumm genug, an eine derartig biedere Trennung zwischen guten und schlechten Amerikanern zu glauben.

Die Widerlinge, die D-FENS das Leben schwer machen, hat Schumacher fein säuberlich quotiert, immer politisch korrekt und doch haarscharf daneben: Koreaner, Chicanos, Weiße. Schwarze hat er ausgespart. Der einzige Schwarze, der in dem Film vorkommt, trägt einen Anzug wie D- FENS und demonstriert vor einer Bank, die ihm keinen Kredit geben will. Während der Dreharbeiten in L.A. brachen dort die riots aus, wovon im Film nichts zu sehen ist. Schumacher wollte die Bilder „nicht zu kommerziellen Zwecken“ benutzen. Ziemlich lausige Ausrede für einen, der das gesammelte Elend einer Ära vermarktet. Aber sei's drum, vielleicht dachte er auch einfach, die haben ihre eigenen Probleme. Sollen sie doch selber einen Film machen. Das ginge in Ordnung, würde er den WASP D-FENS nicht ständig den Niedergang „amerikanischer Werte“ bequengeln lassen und ihn so zum Stellvertreter für alle Opfer der Reagan-Bush-Jahre machen. Die Probleme der Schwarzen sind mitnichten die Probleme der weißen Mittelklasse, denen Habseligkeiten aus den Händen geglitten sind – Arbeitsplatz, Ausbildung, Reihenhaus –, die die meisten Schwarzen nie hatten. Jedenfalls brachen die Aufstände in L.A. nicht wegen eines Whommyburgers los.

Schumacher wurde vorgeworfen, sein Film sei politisch nicht korrekt, da die Leute klatschen könnten, wenn Douglas losballert. Schumacher antwortete, er vertraue darauf, daß das Publikum dafür zu intelligent sei. Besten Dank. Die Gewaltszenen sind in der Tat überhaupt nicht das Problem, sondern die gesellschaftlichen Werte, die verteidigt werden. D-FENS hatte einen Job in einer Rüstungsfirma, bevor er gefeuert wurde. Dafür muß er entdecken, daß ein Schönheitschirurg sich heutzutage eine Hollywoodvilla bauen lassen kann. Na und? Klar ist Arbeitslosigkeit ein Übel, aber wer wollte ernsthaft kritisieren, daß man heute mit Schönheitschirurgie mehr Geld verdient als mit Waffen? Natürlich trauert D-FENS auch um seine zerbrochene Ehe. Nicht weil die Liebe hin ist, sondern die Familie. Kurz gesagt, er leidet unter dem Verlust all dessen, was die Republikaner hochgehalten und hintenrum ruiniert haben – wofür ihnen ewiger Dank gebührt – Ehe, Familie, Patriotismus. Und ausgerechnet darüber heult sich jetzt ein Clinton-Anhänger aus?

In letzter Zeit beschert uns Hollywood, die Nase immer im Wind, wöchentlich eine Abrechnung mit der republikanischen Ära. Die Regisseure, von Lyne über Levinson bis zu Schumacher berufen sich alle auf Bill Clinton, als hätte der nicht genug Probleme am Hals. Sein Film signalisiere „das Ende einer Ära – einer Zeit, in der Gier und Sehnsucht nach materiellem Besitz die Leute derart eingenommen hat, daß sie die wahren Werte aus den Augen verloren haben“, erklärte Adrian Lyne zu seinem neuen Film „Ein unmoralisches Angebot“.

Das Ergebnis ist derartig spießig, daß es einem die Tränen in die Augen treibt. Nicht nur das Ehepaar findet wieder zusammen, selbst der Milliardär hat sein Angebot – 1 Million Dollar für eine Nacht mit der Ehefrau– aus Liebe gemacht und läßt sie wieder gehen, weil sie ihren Mann doch mehr liebt als ihn, obwohl der kein Geld hat. Wahre Werte! Da dreht sich einem der Magen um. Levinson läßt in seinem Film „Toys“ Arbeiter in einer Spielzeugfabrik ein Lied von „happy workers“ singen – noch ist der Boß ein Guter, der sich allen Ernstes eine „Fabrik aus Unschuld und Freude, mit jeder Menge Spaß für alle“ wünscht. Wer keinen Sinn für Spaß und Freude hat, landet am Ende in einem Spielzeuggefängnis, an eine Bahre gekettet wie ein psychiatrischer Patient im 18. Jahrhundert. Die traditionellen Werte der Amerikaner gehen zu Bruch, und diese Liberalen haben nichts entgegenzuhalten als Ehe, Spaß für alle und einen Job in einer Rüstungsfabrik? Man sollte die Ohren dieser drei Feiglinge an Martin Scorseses Haustür nageln. Den Gegenentwurf zur konservativen Gesellschaftsordnung hätte auch Pat Buchanan schreiben können.

Gewalt ist ganz sicher nicht das Problem in Schumachers Film, sondern die Distanzierung davon. D-FENS hat als Gegenpol einen Polizisten, der ähnliche Probleme hat. Prendergast (Robert Duvall) wird als schlaffer Schreibtischhengst verachtet, hat eine fette quengelnde Frau, einen widerlichen Boß und komplett minderbemittelte Kollegen. Er wird im Laufe des Films mit seinem Problem fertig, indem er seine Frau zurechtweist, den Boß ein Arschloch nennt und einem Kollegen, der seine Frau beleidigt, einen Kinnhaken verpaßt. Schumacher verkauft das als Mutation zu einem Amerikaner aus echtem Schrot und Korn. Da fällt einem nichts mehr ein. Außer Barry Levinson. Der läßt seinen Helden in „Toys“ behaupten: „Krieg ist die Domäne des kleinen Schwanzes.“ Filmemachen neuerdings auch.

Joel Schumacher: „Falling down“, Kamera: Andrej Bartkowiak, USA 1992. Mit: Michael Douglas, Robert Duvall, Barbara Hershey u.a.