Deutschland als Zitze?

■ Endlich sind die Ursachen für die Entwicklung von Menschen zu Neonazis gefunden

Der Titel klingt verheißungsvoll: „Der rechtsextreme Gewalt- Täter – Eine Psychoanalyse“. Denn wer möchte jenseits der üblichen Modernisierungsthesen nicht endlich über die Ursachen des aufflammenden Rassismus in Deutschland aufgeklärt werden? Doch leider bleibt die Aufklärung ziemlich verbeult zurück, weil Psychotherapeut und Buchautor Julian S. Bielicki dazu neigt, seine Kategorien mit dem Holzhammer zu formen.

Man oder besser frau möchte es geradezu einen Skandal nennen, daß ein Mann über Rechtsextremismus schwadronieren darf, ohne eins seiner konstituierenden Elemente begriffen zu haben: die Ablehnung alles Weiblichen und die Radikalisierung des Patriarchats zur Kampf- und Kriegsbrüderschaft. Andernfalls hätte er sich nie getraut, solch blühenden Blödsinn wie den folgenden zu formulieren: „Nazis und Faschisten sind psychisch allesamt kleine Mädchen geblieben.“ Oder: „Für den Rechtsextremisten ist Deutschland eine ausschließlich ihm gehörende Zitze, die er, und nur er, aussaugen darf.“

Der zentrale Irrtum des Neo- Freudianers Bielicki, der wie sein Vorbild Mannwerdung und Menschwerdung verwechselt: Er glaubt, daß sich das Gewissen eines heranwachsenden Menschen im ödipalen Konflikt und damit „wesentlich in der Auseinandersetzung mit dem Vater“ entwickelt. Rechtsextremisten aber zeichneten sich dadurch aus, daß sie „kein Gewissen“ und keinerlei Einfühlungsvermögen in andere Personen hätten und allesamt mit narzißtischen, schizoiden oder Borderline-Störungen behaftet seien.

Diese Störungen würden auf der Abwesenheit des Vaters und „einer ungelösten symbiotischen Beziehung zur Mutter“ basieren und verhindern, daß sich Innen- und Außenwelt, Phantasie und Realität trennten und sich das triebhemmende Über-Ich in Form von Verboten konstituiert. In der Ex-DDR seien solche Störungen besonders häufig anzutreffen, weil die Kinder dort ihre Väter „als Versager gegenüber dem DDR- Staat“ und nach dessen Zusammenbruch „als völlige Taugenichtse“ erlebt hätten.

Zudem seien sie, statt eine „liebevolle“ familiäre Atmosphäre zu erleben, in Kinderkrippen und Kinderhorte gesperrt worden, wo sie stets „eine unerreichbare, kontrollierende und übermächtige Frau“ vor der Nase gehabt hätten. Die Folge laut Bielicki: Neonazis– lies: kleine Mädchen – wollen ein Leben lang „von einem starken Mann überwältigt werden“ und „sich ihm hingeben“. Theweleit, hilf! Kann man Ursache und Wirkung des patriarchalen Machtsystems noch schlimmer verdrehen?

Aber wahrscheinlich sind wir Frauen nicht in der Lage zu begreifen, daß in Wahrheit mal wieder die Mütter den Rechtsextremismus verschuldet haben, weil sie „lieblos und kalt, dabei oft überversorgend und besitzergreifend“ waren. Folge: Der Rechtsradikale wird ein Leben lang nach der Zitze schreien: „Wehe einem Fremden, der sich der Zitze nähern will! Die eigene Nation, die eigene Partei, die eigene Gruppe wird als Mama verstanden.“ Als Kronzeuge dieser Theorie wird auch noch Hitler herbeizitiert, der „mit Gewißheit keinen ödipalen Konflikt“ erlebt habe.

Seine Mutter habe ihn abgelehnt, und sein Vater habe ihn ständig geschlagen, aber „der Widerstand des kleinen Hitler gegen die Gewalt des Vaters ist weniger als Rebellion denn als verzweifeltes Festhalten an der Mutter zu sehen, die ihm als einzig noch irgendwie Gutes verblieben war. Um nichts in der Welt hätte er sich dem Vater zugewandt ... Wäre es tatsächlich zu einer Identifikation Hitlers mit seinem Vater gekommen, so hätte Hitler auch über ein Gewissen verfügt“ – und der Holocaust wäre der Welt erspart geblieben.

Leider läßt Autor Bielicki noch an vielen anderen Stellen seinen Holzhammer fallen, bis die Realität platt zurückbleibt. „Eine Vorstufe des rechtsextremen Gewalttäters ist der Kapitalist“ und: „Die Umsetzung und Berechnung des Wertes eines Menschen in DM (oder andere Währungen) ist eine Vorstufe zum Töten“, erfahren wir beispielsweise im Kapitel „psychische Entwicklungsstufen des rechtsextremen Gewalttäters“. Ist der Schreiber also doch ein heimlicher linksradikaler Revoluzzer? Bittschön, keine Mißverständnisse, letztere sind in Bieleckis Augen nämlich auch nicht besser: „Das Ich-Ideal des Linksextremisten ist eine ideale Mutter, die er in Gruppe, Partei, Menschheit sucht.“

Das hat der Autor zwar gerade erst den Neonazis untergeschoben, aber was soll's. Sonst wäre ja die Gelegenheit verschwendet, schnell noch zu warnen: „Die Forderung nach einer Basisdemokratie kann leicht zur Diktatur und zum Terror einer triebhaft agierenden Masse werden.“ Oder: „Politische Veränderungen dürfen nur auf parlamentarischem Wege geschehen.“ Oder: „Alle Massen- und Volksbewegungen sind kulturfeindlich und triebhaft. Deswegen werden bei Massen- und Volksbewegungen immer auch der Fremdenhaß und der Antisemitismus triebhaft.“ Damit dürften wohl endgültig alle Fragen erledigt sein. Ute Scheub

Julian S. Bielicki: „Der rechtsextreme Gewalt-Täter – Eine Psychoanalyse“. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1993, 220 Seiten, 28 DM