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"Jeder Tag ist mir wichtig"

■ Mary Kanene gründete in der sambischen Hauptstadt Lusaka eine Selbsthilfegruppe, die sich vor allem an HIV-positive Frauen wendet / Sie will Frauen darin bestärken, mit Tabus und Traditionen zu brechen

Mary Kanene weiß seit 1986, daß sie HIV-positiv ist. Damals kam sie mit der Diagnose Hepathitis-B in ein Hospital in Lusaka. Erst auf ihr Drängen wurde ein Aids-Test gemacht. „Wenig später stellte sich heraus, daß auch mein Mann und mein jüngster Sohn positiv sind.“ Heute ist der Jüngste acht Jahre alt und geht wie seine beiden Brüder und die zwölfjährige Schwester zur Schule.

Die Stimme der 36jährigen wird immer leiser, wenn sie von den ersten Monaten danach berichtet. Natürlich seien ihre Gedanken immer wieder um die Frage nach dem wann, wie und warum gekreist. Wer hat wen angesteckt. „Meine erste Reaktion war ein Gemisch aus Angst, Trauer und Wut.“ Natürlich habe sie damals ihrem Mann die Schuld an der Krankheit gegeben. Die Ehe steckte in einer Krise. „Wir dachten an Scheidung. Ich weiß, daß mein Mann in dieser Zeit auch mit anderen Frauen geschlafen hat.“ Mary Kanene war ihm „treu“. „Frauen in Afrika müssen treu sein“, erklärt sie. Für Männer gilt dieses Gebot nicht. Die meisten von ihnen leben sexuell äußerst freizügig, schlafen, auch wenn sie verheiratet sind, oft mit anderen Frauen. Seit sieben Jahren wissen die Kanenes nun, daß sie HIV-positiv sind. Sie haben sich nicht scheiden lassen. Heute ist es Mary Kanene egal, wer wen wie angesteckt hat. „Wichtig ist, daß wir leben. Wir brauchen uns gegenseitig.“

Die Krankheit spielt eine zentrale Rolle im Leben der beiden. Sie gründeten die „Positive Action Zambia“. Während Marys Ehemann Oliver Kanene in Lusaka die Zeitung Aids and Health news herausgibt, bietet Mary Kanene beinahe täglich im Büro der Positive Action Beratung und Unterstützung an. Mittlerweile trifft sich in Lusaka zweimal monatlich eine Selbsthilfegruppe HIV-positiver Frauen bei ihr. Vor allem Frauen will sie unterstützen und ansprechen, denn von den mittlerweile mehr als 5.800 aidskranken Menschen Sambias sind die Hälfte Frauen. Die Tendenz ist steigend, da ihr Ansteckungsrisiko weitaus größer ist als das der Männer.

Und das liege zu einem großen Teil auch an den afrikanischen Traditionen, sagt Kanene. Traditionen und Vorurteile, die dazu beigetragen haben, daß sich der HIV-Virus, der in Afrika in erster Linie durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen wird, in erschreckendem Maß ausbreiten konnte. Mehr als 85 Prozent aller weltweit HIV-infizierten Menschen leben in der Region der Sub-Sahara, zu der auch Sambia gehört. Mehr als sieben Millionen Menschen sind allein auf dem afrikanischen Kontinent HIV-positiv, und etwa 30 bis 50 Prozent aller PatientInnen in den Krankenhäusern Sambias sind akut aidskrank. Viele bekommen gar nicht erst ein Bett im Hospital und werden von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Roten Kreuzes, von Gesundheitsorganisationen oder der Kirche zu Hause gepflegt. Doch überall mangelt es an Geld und Medikamenten.

In einigen afrikanischen Ländern, darunter auch Sambia, ist jede fünfte schwangere Frau HIV- positiv. Die Organisation Unicef schätzt daher, daß bis zum Jahr 2000 in ostafrikanischen Ländern allein fünf Millionen Aids-Waisen leben werden.

Die „Society of Women against Aids“, der auch Mary Kanene angehört, hat sich zum Ziel gesetzt, nach und nach Traditionen zu verändern, Frauen darin zu bestärken, mit ihnen zu brechen. Denn der Gedanke, daß der afrikanische Kontinent ein „Sex-Paradies“ gewesen sei, bevor dann Aids kam, wie so manche deutsche Zeitschrift gerne verbreitet, muß einem männlichen Hirn entsprungen sein und kann sich nur auf das Leben von Männern beziehen. „In Afrika ist Sex ein Tabu“, meint Mary Kanene, „vor allem für Frauen.“ Niemand redet darüber, Frauen schweigen lieber und lassen geschehen.

Insbesondere die Mütter dürften mit ihren Töchtern nicht über Sexualität reden. Und so werde in den Städten wie auf dem Land ein Nachbar, ein Verwandter oder eine spezielle „Einweiserin“ beauftragt, junge Mädchen in die Sitten und Bräuche einzuweisen. Sie bringen ihnen bei, so Mary Kanene, „wie sie einem Mann gefallen können, wie sie sich auf einen Mann vorbereiten und wie sie ihn sexuell befriedigen können.“

Ein zweiter Faktor, der zur rapiden Verbreitung des HIV-Virus in Afrika beiträgt, sind die Geschlechtskrankheiten. Mangelnde Kenntnis und medizinische Unterversorgung fördern die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten in der gesamten Bevölkerung. Ein kleiner Gonnokkokenknoten in der Vagina einer Frau potenziert automatisch ihre Anfälligkeit für den HIV-Virus um ein Vielfaches.

Natürlich kann es keinesfalls mit dem empowering afrikanischer Frauen getan sein, das sieht Mary Kenene auch so. Denn ein weiterer Faktor für das hohe Ansteckungsrisiko von Frauen ist die Aversion der afrikanischen Männer gegen Kondome. „Das geht eindeutig gegen seine Ehre“, meint Mary Kanene. Frauen, die ihren Mann davon zu überzeugen versuchten, Kondome zu benutzen, riskierten, als Prostituierte beschimpft zu werden. „Wenn eine Frau will, daß der Mann Kondome benutzt, dann muß das doch heißen, daß sie nicht treu ist, daß sie mit vielen anderen Männern Sex hat“, erläutert Kanene die Logik der Männer.

Die Positive Action Zambia versucht mit Aufklärungskampagnen, Tabus zu brechen. Nur wenige Menschen in Sambia wissen, daß Mary Kanene und ihr Mann HIV-positiv sind. „Wir können es nicht publik machen“, meint Mary Kanene. Die ersten Plakate, die 1981 in Sambia vor Aids warnten, malten ein Todesbild des Schreckens. Aids wurde als häßlicher Vampir dargestellt, der sich, im Dunkeln lauernd, auf die Menschen stürzt. Texte wie „Danger! Aids kills!“ oder „Wenn dich Aids einmal erwischt hat, gibt es kein Zurück!“, schufen Aids-Mythen. Die Kampagnen trugen kaum zur Aufklärung bei, sondern zur kopflosen Angst. HIV-Positive sind nach wie vor – wie bei uns kaum anders — Unberührbare, mit denen Kontakt am besten zu vermeiden ist. Daher rät die Positive Action allen HIV-Positiven, sich genau zu überlegen, wem sie davon erzählen und wem nicht.

Positive Action versteht sich nicht nur als Aktion für HIV-Positive, sondern will auch zu einem anderen Umgang mit Aids animieren. „Positiv zu sein heißt nicht das Lebensende“, ist eine Anzeige der Aktion überschrieben. Mary Kanene lebt mittlerweile mehr als sieben Jahre mit dem Wissen um die Krankheit. Viele ihrer FreundInnen, viele, die sie betreut hat, sind in der Zwischenzeit gestorben. Bevor sie ihren Kindern das Frühstück zubereitet, zieht sie sich jeden Morgen allein zurück, meditiert und betet. Sie findet Halt in ihrem Glauben. Seitdem sie weiß, daß sie HIV-positiv ist, hat sich ihr Leben verändert. „Jeder Tag ist mir heute wichtig. Ich will von jedem Tag, von jeder Stunde etwas haben, will sie bewußt leben. Ich plane mein Leben heute sehr genau, damit ich genug Zeit habe, für mich, für meine Kinder.“ Karin Flothmann

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