■ Gedanken zum Kompromiß in Sachen 218
: Vater Staat mag die Frauen nicht

Es ist sicherlich überzogen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Neufassung des § 218 einen „Rückfall ins Mittelalter“ zu nennen (wie es vor allem die Ost-Kommentatorinnen taten); ebenso falsch aber ist es, in ihr einen Fortschritt zu sehen (wie auf Westseite häufig geschehen). Der eigentliche Skandal liegt darin, daß sie weder das eine noch das andere darstellt, sondern daß es im Prinzip genauso weitergeht wie bisher, daß Frauen genau wie bisher das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen, die Anerkennung als gleichberechtigte autonome Subjekte verweigert wird.

Jede, die in den Kommentaren der letzten Tage am Urteil des BVG auch nur ein gutes Haar gelassen hat, verkennt die Bedeutung dieses Urteils für die Situation von Frauen und für den Zustand dieser Gesellschaft überhaupt. Es ist richtig, daß einigen (finanzkräftigen) Frauen die Abtreibung faktisch erleichtert wird; aber was hier als scheinbarer Fortschritt daherkommt, ist nicht mehr und nicht weniger als das Fortschreiben der Demütigung von Frauen. Rechtswidrig und straffrei – in dieser Entscheidung zeigt sich, worum es eigentlich geht: nicht um den rechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens – daß dieser gegen den Willen der Frau letztlich nicht zu leisten ist, haben wohl auch die BVG- RichterInnen mittlerweile verstanden. Nein, worum es immer noch und immer wieder neu geht, ist die Demonstration der männlichen Macht im Staate, das verzweifelte Festhalten daran, daß Frauen sich nicht als gleichberechtigte, mit gleichen Rechts-, Handlungs- und Entscheidungsfreiräumen bedachte Mitglieder dieser Gesellschaft verstehen dürfen. Die Katastrophe ist also nicht nur die faktische Verschlechterung der Situation der Frauen im Osten; sondern die, daß den Frauen in dieser Gesellschaft wieder vor Augen geführt wird, was man eigentlich von ihnen erwartet: zuerst das Austragen von Kindern und dann erst jedes außerhäusliche Engagement. Was für Männer nicht einmal der Erwähnung bedarf – „Selbstbestimmungsrecht des Mannes“ klingt ja doch irgendwie merkwürdig – ist für Frauen nach wie vor rechtswidrig.

Am selben Tage, an dem die Entscheidung des BVG zum § 218 in allen Zeitungen stand, konnte man auch von der Diskussion und Entscheidung der Verfassungskommission zur Ergänzung des Artikels 3.2. Grundgesetz lesen. Natürlich war zu erwarten, daß eine Kompensationsklausel, die Quotenregelungen unproblematisch ermöglicht hätte, nicht durchkommen würde; natürlich war auch zu erwarten, daß ebensowenig Artikel 6, der die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates stellt, geändert werden würde. Was aber mit böser Ironie die unverhoffte Gleichzeitigkeit der Meldungen zum § 218 und zum Artikel 3.2 auch den letzten Optimisten klarmachen mußte, ist, daß den interpretationsmächtigen Organen und Kommissionen dieses Staates nichts, aber auch gar nichts an der Idee der gleichen Rechte und Freiheiten der Mitglieder dieses Staates, der Frauen und Männer, liegt. Die Ablehnung der Formel der „Gleichstellung von Frauen und Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen“ in der Verfassungskommission ist die genaue Entsprechung des Urteils des BVG zum § 218.

Reaktion der Frauen ist weitgehend schlichtes Entsetzen: ohnehin war es ärgerlich, daß man sich plötzlich für einen Kompromiß einsetzen sollte, den die Frauenbewegung immer abgelehnt hatte. Aber daß noch nicht einmal dieser schlechte Kompromiß Gnade vor den Augen der RichterInnen fand, zeigt im Grunde nichts anderes als deren vormodernes Bewußtsein. Wir hatten schließlich alle gedacht, wir seien schon ein bißchen weiter – die ermüdenden Kämpfe um Anerkennung würden nun wenigstens einige Erfolge zeitigen. Die Diversifizierung der Frauenbewegung und der feministischen Theoriebildung in den letzten Jahren läßt sich schließlich auch in dieser Weise interpretieren. Statt dessen zeigt nun das BVG wieder, wieviel Kämpfe noch nicht gewonnen sind. Und eben hier steckt ein Konfliktpotential, welches das BVG vermutlich verkennt: es ist nicht nur eines im Geschlechterverhältnis – das allein würde schon für reichlich Spannungen sorgen; Es ist eines der Polarisierung der Gesellschaft selbst.

Die Entscheidung zum § 218 reicht nämlich in ihrer Bedeutung weit über die schlichte „Frauenfrage“ hinaus: sie fügt sich ein in eine Linie, die wie eine Strategie zur Destabilisierung der Gesellschaft scheint. Was man von staatlichen Organen gerade in ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchsituationen erwarten sollte, ist die Stabilisierung der Gesellschaft, ihre Integration, das Sorgen für soziale Gerechtigkeit und der Schutz von gleicher Achtung und Würde aller Gesellschaftsmitglieder, besonders derjenigen diskriminierter Gruppen. Was jedoch faktisch im Moment passiert ist, daß das Handeln der staatlichen Organe zunehmend zur gesellschaftlichen Desintegration führt: Dem Staat gelingt weder die rechtliche Integration, wie die Entscheidungen zum 218 und die Debatte um das Asylrecht zeigen, noch die soziale – deutlich an den Kürzungen des sozialen Netzes im Namen eines zynisch so genannten „Solidarpakts“, noch die symbolische Integration der Gesellschaft, wie das kompromißlose Versagen von Kohl im Anblick von Solingen zeigt.

Wenn staatliches Handeln fehlschlägt in dem Sinn, daß es scheinbar konsequent nur noch die Interessen einer bestimmten Klientel verfolgt – die der Männer, der Deutschstämmigen, der Gutverdienenden – wenn wichtige Entscheidungen von Regierung oder Parlament oder letztlich BVG sich gegen die Interessen immer derselben gesellschaftlichen Gruppen – die der Frauen, der AusländerInnen, der „sozial Schwachen“ – richten, dann passiert genau das, was für eine liberale Demokratie am gefährlichsten ist: die Entzweiung der Gesellschaft durch den Staat.

Von diesen staatlichen Organen ist derzeit also nicht viel zu erwarten. Und seit die SPD hart und erfolgreich nur mehr an ihrer eigenen Demontage arbeitet, die Grünen und das Bündnis sich seit zwei Jahren ausschließlich selbst vereinigen, geht auch die Hoffnung auf eine überzeugende Opposition ins Leere. Wer sich für gleiche – oder gleichwertige – Rechte einsetzt, ist folglich auf gesellschaftliche Bewegungen angewiesen: Die Kampagne für eine doppelte Staatsbürgerschaft bildet da vielleicht einen kleinen, hoffnungsvollen Anfang. Und die Frauenbewegung muß es schaffen, sich über die Entscheidung des BVG zum § 218 und der zu erwartenden Ablehnung von Quotenregelungen durch eben dieses BVG nicht in die vollständige Resignation treiben zu lassen, sondern sich an genau diesen Entscheidungen und damit an den alten, langweiligen Forderungen wieder zu fokussieren; dezentral, bunt, heterogen, aber vor allem: öffentlich.

Schon immer mußten Frauen zweigleisig verfahren: Sie mußten zum einen um gesellschaftliche Anerkennung, um gleiche Freiheit kämpfen, zum anderen eben diese „Gleichheit“ feministisch kritisieren und in Frage stellen. Und wieder einmal hat der Mißerfolg auf der Ebene gesellschaftlicher Anerkennung erreicht, daß sich alle feministischen Theorien über die kreativen Potentiale des Geschlechterverhältnisses in bedrückender Weise als unzeitgemäß erweisen. Beate Rössler

Philosophin an der FU Berlin; Herausgeberin des gerade bei Campus erschienenen Bandes „Quotierung und Gerechtigkeit“