Nachschlag

■ Anka Grupinska las im polnischen Kulturzentrum

Freitag abend stellte Anka Grupinska, Leiterin der Kulturabteilung der polnischen Botschaft in Israel, in Berlin ihr Buch vor: „Im Kreis“ versammelt Gespräche mit jüdischen Kämpfern aus dem Warschauer Getto und fand bei seinem Erscheinen in Polen große Resonanz. Ihre Befragungen der Überlebenden fanden noch in der Zeit des kommunistischen Regimes statt und wurden einzeln in der Untergrundpresse der demokratischen Opposition publiziert.

Anka Grupinska gehört nach eigenen Worten als Journalistin einer Generation von nach 1945 Geborenen an, die keine direkten Erfahrungen mehr mit Juden machen konnte. Auf einen weiteren wichtigen Aspekt ging sie leider nicht ein: 1968 erlebte Polen eine antisemitische Kampagne unangenehmen Ausmaßes, die zeigte, wie hervorragend die KP weiterhin auf der Klaviatur von Chauvinismus und Nationalismus zu spielen wußte, und das Zerrbild vom „kosmopolitisch-imperialistischen Zionisten“ erneut aus der Rumpelkammer stalinistischer Propaganda geholt wurde. Ein Philosoph wie Leszek Kolakowski wurde aus dem Land geekelt und die Opposition von der Unreformierbarkeit des Systems überzeugt.

Es wäre interessant gewesen, das von den Überlebenden immer wieder angesprochene Gefühl der Heimatlosigkeit, der Unvermittelbarkeit von Erfahrungen, vor diesem Hintergrund konkretisiert zu sehen. Die gelesenen Passagen beschrieben größtenteils das Jahr des Aufstands, 1943. Es sind die Geschichten Wehrloser, die wie gehetzte Tiere aus dem Agieren der deutschen Besatzer herausspüren müssen, was das von Fall zu Fall bedeuten könnte: der Abtransport in die Vernichtung oder eine nochmals gewährte Schonfrist. Als die ersten Schüsse fallen, Barrikaden im Treppenhaus gebaut werden und Handgranaten heimlich herbeigeschafft werden, ist das eine Befreiung, eine Nicht-Unterwerfung, die sich ihre Würde zurückholt. Gänzlich unpathetisch, aber erschütternd genau, berichtet Aron Karmi, jetzt in Tel Aviv lebend, von diesem Kampf, in dem übrigens die Juden sowohl von der Roten Armee wie auch von der bürgerlichen polnischen Armee schmählich im Stich gelassen wurden. Marek Edelmann, der letzte lebende Initiator des Gettoaufstandes, sollte von der Landesarmee sogar als „jüdischer Spion“ erschossen werden, ehe es ihm gelang, zu den kommunistischen Partisanen überzulaufen. In den achtziger Jahren war er Berater von Solidarność – logisches Resultat eines lebenslangen Kampfes auf seiten der Schwachen.

Heute ist der damalige Umschlagplatz für Deportationen eine simple Tankstelle. Was bleibt, sind die unsichtbaren Wunden derer, die überlebten, ohne jemals entkommen zu sein. Für sie alle wohl gilt, was eine Jüdin beschreibt, die im Getto als Krankenschwester arbeitete: die Übermächtigkeit der Vergangenheit, die Unmöglichkeit, sich noch richtig freuen zu können, das Leben auszukosten; ein später Sieg der Meister aus Deutschland. Bücher wie das von Anka Grupinska können das beschreiben; Linderung können sie den Opfern nicht bieten. Das Wort von der ausgleichenden Gerechtigkeit erweist sich erneut als idealistische Phrase angesichts vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Brutalitäten. Marko Martin

Anka Grupinska: „Im Kreis“, Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1993, 225 Seiten, 38 DM