Gegen Brandstifter und gegen Andersdenkende

■ Die Solinger Demonstration gegen Gewalt und Ausländerhaß geriet zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichsten Gruppierungen

Der Weg zum Sammelpunkt der Autonomen führt über die Schützenstraße. Das Geschäftshaus Nr. 60 sticht sofort ins Auge. Nur hier sind die großen Schaufensterscheiben noch nicht mit Pappe oder Holz verkleidet. Statt dessen hängen im Fenster der Harley-Davidson-Vertretung zwei handbemalte Plakate. „Watch Out! This shop is protected by Smith & Wessen & Colt“. Und daneben verkünden die Revolverhelden des Motoradladens dies: „Scheiben einschlagen verboten! Zuwiderhandlungen werden nicht unter 9 mm geahndet.“

Weiter unten, auf der Werwolfstraße, hat der Besitzer eines Sport-Shops die Pappverschläge als Ankündigungsfläche für seine Öffnungszeiten genutzt. Für Samstag steht da zu lesen: „Von 10 Uhr bis Tumultbeginn“. Der Mann kann seinen Laden durchgehend geöffnet halten. Der Tumult findet nicht statt — jedenfalls nicht auf dieser Straße, nicht entlang der Route der Autonomendemo.

Kein Zufall. Autonome der Region, so erzählt Roland Appel, Landtagsabgeordnete der Grünen in Düsseldorf, seien an der Vorbereitung, am „runden Tisch“ der Initiatoren, beteiligt gewesen und hätten ein entsprechendes Verhalten von ihrer Seite zugesichert. „Wir lassen uns weder von der Polizei noch von faschistischen Gruppen provozieren, aber wir werden unsere Demo auch so durchführen, wie wir uns das vorstellen“, tönt es aus dem Lautsprecherwagen, kurz bevor sich der Zug in Bewegung setzt. Mehrere tausend Menschen, darunter viele Türken aus linken Gruppen, ziehen gemeinsam mit den überwiegend unvermummten Autonomen zum Weyersbergerplatz, dem Ort der Abschlußkundgebung.

Wie bei den Autonomen, so fordern auch in den anderen vier Demozügen zahlreiche Transparente zum „Kampf gegen die Brandstifter in Bonn auf“. Der Zug, der vom äußersten Westen Solingens ins Stadtzentrum zieht, ist lang und bunt. Mehrere tausend Menschen sind es auch hier. Aber wo sind die Alten? Wo sind die, die in den 20er, den 30er oder 40er Jahren geboren wurden? Ganze Generationen fehlen in Solingen. Und dann sieht man sie doch. Sie stehen in ihren Vorgärten oder hinter den Fenstern, schauen zu, filmen das Ereignis vor ihrer Haustür. Nur bei den Ausländern sind alle Altersgruppen vertreten. Allerdings, auch viele nichtdeutsche Solinger Bürger sind zu Hause geblieben, verfolgen die Demo aus den Fenstern. Hält sie die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen zurück? Während die örtlichen Gewerkschaften und die Hauptvorstände von IG Medien und HBV den Solinger Appell „Dies ist auch unser Land“ und die Demo unterstützten, hatte der DGB- Bundesvorstand am letzten Mittwoch in einem internen Schreiben an alle Mitgliedgewerkschaften vor einer Beteiligung gewarnt: „Wir raten dazu, zu der Veranstaltung auf keinen Fall aufzurufen.“

Auf dem Kundgebungsplatz angelangt, die Organisatoren basteln noch an der Stromversorgung, kommt es vor der Bühne schon zu den ersten Rangeleien zwischen verfeindeten türkischen Gruppen. Flaschen und Dosen fliegen. Für kurze Zeit droht die Situation zu eskalieren. Letztlich sorgen die Demonstranten, darunter Autonome, selbst dafür, daß sich die Lage beruhigt. Die rechtsradikalen, nationalistischen Türken hat die Polizei zu diesem Zeitpunkt längst abgedrängt und in einer Nebenstraße eingekesselt. Ulle Huth, Solinger Künsterin, bittet alle Demonstrationsteilnehmer, „diese Demo friedlich verlaufen zu lassen“. Solingen stehe „nun für Mord, für Rassismus und für das Umfeld, auf dem diese Verbrechen gedeihen können“. Es gehe jetzt darum, „ein anderes, menschenwürdiges Klima zu schaffen“. Ulle Huth spricht von der „systematischen Hetzkampagne“ im Zusammenhang mit der Asyldebatte und davon, daß „die politischen Brandstifter in Bonn sitzen“. Es „hat aber auch keiner von uns Anlaß zur Überheblichkeit“, denn niemand könne sich „von unterschwelligem Rassismus freisprechen“.

Hoffnung für einen „Neuanfang“, für das Entstehen eines toleranten Klimas, bietet der Kundgebungsverlauf nach dieser Rede indes nicht. Für kurze Zeit flammen die unterdrückten Auseinandersetzungen auf dem Platz so heftig wieder auf, daß einer der Organisatoren, Jan Boomers aus Solingen, nur noch resigniert feststellen kann, „er sehe keine Möglichkeit, die Veranstaltung so wie geplant durchzuführen“. Bitter muß Boomers zur Kenntnis nehmen, daß die „als Signal gegen die Gewalt“ geplante Demonstration selbst neue Gewaltsignale setzt. Kurz nach dem eindringlichen Appell von Taner Aday — „laßt uns zusammen in Deutschland eine neue Zeit beginnen, die ein anderes Zusammenleben miteinander ermöglicht, in familiären, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bereichen“ — geht es wieder los. Vor allem die schon 1983 vom Bundesinnenministerium verbotene türkische Organisation Dev Sol, die in ganz NRW nur über 150 Mitglieder verfügt, liefert sich mit maoistischen Konkurrenzorganisationen kurzzeitig eine brutale Schlacht mit Knüppeln, Colaflaschen und Steinen. Als die Polizei dazwischen zu gehen versucht, wird auch sie angegriffen, jetzt auch von Autonomen. Die Bilanz: 36 zumeist leicht verletzte Polizisten, 35 verletzte Demonstranten.

Damit ist die Kundgebung faktisch gesprengt. Von den nach Polizeiangaben 12.000 Teilnehmern — die Veranstalter sprachen von 20.000 — verlassen immer mehr den Platz. Als Herbert Leuninger, Sprecher von „Pro Asyl“ an den Bundespräsidenten appelliert, als deutliches Zeichen der Umkehr die neuen Asylgesetze „nicht zu unterschreiben“, hören ihn nur noch wenige zu. Auch die von Fatima Hartmann verlesene Grußadresse der im KZ Dachau ausharrenden Roma, in der die Unterstützer aufgefordert werden, mit dem „Jammern“ aufzuhören und statt dessen „selber Flüchtlinge vor der Abschiebung zu verstecken“, kommt nur noch bei wenigen an.

Die ganze Nacht zum Sonntag über hält die Polizei rund 200 türkische nationalistische, rechtsradikale Demonstranten, die sie schon während des nachmittags erfolgreich von der Kundgebung abgedrängt hat, fest. Fast acht Stunden lang werden die vorwiegend jungen Türken in einem Kessel festgehalten, ehe die Polizei sie zur Feststellung ihrer Personalien auf Polizeiwachen in Solingen und Wuppertal verteilt. Nach eigenen Angaben hat die Polizei bei den später wieder freigelassenen jungen Männern Schreckschußpistolen mit durchbohrtem Lauf, zahlreiche Messer, selbstgebastelte Speere und verschiedene Schlagstöcke gefunden. Am Sonntag warfen die Organisatoren der Solinger Demonstration der Polizei einen „völlig ungerechtfertigten“ Einsatz vor, der wesentlich zur Eskalation beigetragen habe. Nach den brutalen Schlägereien, bei denen völlig Unbeteiligte, wie etwa ein britischer Kameraassistent, durch Knüppelschläge schwer verletzt wurden, war ein Polizeieinsatz allerdings unumgänglich geworden. Daß damit neue Gewaltausbrüche verbunden waren, kann man schlecht einer Polizei vorwerfen, die nicht zuletzt von zahlreichen unbeteiligten, friedlichen Türken herbeigesehnt worden war. J. Albrecht/W. Jakobs, Solingen