Altkommunist soll Aserbaidschan regieren

Gaidar Alijew, Ex-Parteichef, Ex-KGB-Chef und Breschnew-Vertrauter, verlangt Sondervollmachten / Aufständische in Gandža fordern jetzt auch den Rücktritt des Staatspräsidenten  ■ Von Dorothea Hahn

Berlin (taz) – Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans sind die alten Machthaber der Sowjetzeit offenbar auf dem Weg zurück nach Baku. Ausgerechnet der ehemalige Parteichef und langjährige Geheimdienstchef Gaidar Alijew soll dem Land aus der Notlage helfen, in die es durch den jüngsten Militäraufstand in der Stadt Gandža geraten ist. Der frühere Dissident Abulfas Eltschibej, der im Gefängnis saß, als Alijew die Partei lenkte, und heute der einzige demokratisch gewählte Politiker an der Spitze des Landes ist, soll Alijew gebeten haben, die Regierung zu übernehmen. Doch der 70jährige Alijew, der seit 1990 in der aserbaidschanischen Exklave Nachičevan regiert, winkte erst einmal ab. Er verlangte Sondervollmachten, die Eltschibej unerfüllbar erschienen.

Über der zweitgrößten aserbaidschanischen Stadt Gandža sollen die Aufständischen – Soldaten, die von dem ehemaligen aserbaidschanischen General in Berg Karabach, Surat Gussejnow, befehligt werden – die rote Sowjetflagge gehißt haben. Gerüchte in der Hauptstadt Baku sagen, daß sie von russischen Offizieren des früheren sowjetischen 104. Luftwaffenregiments unterstützt werden, das im Mai aus der Stadt abgezogen wurde. Auf seiten der Aufständischen sollen auch zahlreiche Flüchtlinge aus dem zwischen Berg-Karabach und Armenien gelegenen Gebiet kämpfen. Viele von ihnen wurden erst im April dieses Jahres in die Stadt Gandža evakuiert, nachdem die aserbaidschanische Armee einen zweiten Korridor an die armenischen Milizen von Berg-Karabach verloren hatte. Erst nach jener Niederlade war General Surat Gussejnow, der jetzt die Aufständischen in Gandža kommandiert, von der aserbaidschanischen Regierung abgesetzt worden. Ihm wurde von Baku vorgeworfen, er plane einen Putsch mit russischer Unterstützung.

Ende vergangener Woche war es – direkt nach dem Abzug der letzten russischen Einheiten aus der westaserbaidschanischen Stadt – zum Ausbruch der Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in Gandža gekommen, bei denen es rund 70 Tote und mehrere hundert Verletzte gegeben haben soll. Ziel der Regierungstruppen war es offenbar, die Aufständischen, die im Besitz ehemaligen sowjetischen Militärmaterials sind, zu entwaffnen. Die Aufständischen sagen, ihre Leute seien im Schlaf massakriert worden. Ein Teil der Regierung in Baku – darunter der Innenminister und der Staatspräsident – behauptet, nicht vorab über die Operation informiert worden zu sein, der andere Teil der Regierung will wissen, daß die eigenen Truppen zumindest nicht das Feuer in Gandža eröffnet hätten.

Ursprünglich forderten die Aufständischen nur den Rücktritt von Premierminister Panach Gussejnow (der nicht mit dem gleichnamigen Rebellenchef verwandt sein soll). Inzwischen hat der Premier zwar seinen Rücktritt eingereicht, doch jetzt wollen die Rebellen auch Staatspräsident Eltschibej schassen den Vorsitzenden der nationalistischen „Volksfront“ war im Juni 1992 mit 59 Prozent der Stimmen in sein Amt gewählt worden.

Seither hat Eltschibej den Austritt Aserbaidschans aus der GUS erklärt und sein Land wirtschaftlich und militärisch immer enger mit der Türkei verbunden. Seine wiederholten Hilferufe, die er in den letzten Tagen nach Ankara schickte, verhallten dennoch folgenlos. Die türkische Regierung erklärte lediglich ihre Sorge über die Entwicklung in dem transkaukasischen Land. Beobachter in Ankara vermuten, daß dort eine Regierung unter Alijew akzeptiert würde, vorausgesetzt, die Vollmachten von Staatspräsident Eltschibej würden nicht weiter beschnitten.

Mitglieder der „Volksfront“ von Staatspräsident Eltschibej kritisierten gestern eine Regierungsübernahme von Alijew scharf. Die Entwicklung der vergangenen Tage bezeichneten sie als von Moskau gesteuertes Komplott. Alijew war zwischen 1969 und 1987 Generalsekretär der Kommunistischen Partei in Aserbaidschan, nachdem er zuvor den KGB der damaligen Sowjetrepublik geleitet hatte. Während seiner Amtszeit setzte er eine rigorose Russifizierung durch. Obgleich er zeitweilig als einziger Moslem dem Politbüro der KPdSU angehörte, ließ er während seiner Amtszeit in Aserbaidschan fast alle Moscheen des Landes schließen. Er galt als zuverlässiger Vertreter Breschnews in der Peripherie der Sowjetunion. In der KPdSU war er einer der lautstarksten Kritiker von Vetternwirtschaft und Korruption. Zahlreiche seiner Gegenspieler wurden nach Korruptionsvorwürfen abgesetzt. 1987 verlor er selbst seine Parteiämter wegen Korruption.

Schon 1990 gewann Alijew bei den von zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichneten Wahlen in Nachičevan wieder Oberwasser. Er erreichte dort stattliche 95 Prozent der Stimmen – und wurde Parlamentspräsident.