Rendezvous mit Bremens vergessenen Frauen

■ Ein Feministischer Stadtrundgang durchs Ostertor und Steintor: Auf der Suche nach den Spuren der Bremer Frauengeschichte

Landete wegen revolutionärer Schriften im Gefängnis: Marie MindermannBild: Kunsthalle

Kunsthalle

Als „dilettantisch und primitiv“ wurde 1899 ihre erste Ausstellung in der Bremer Kunsthalle verrissen: Zu Lebzeiten hat die mittlerweile wohl berühmteste Bremerin keine Anerkennung bekommen; heute ist Bremen stolz auf sie. Die Malerin Paula Becker-Modersohn (1876-1907) kommt aus einem weltoffenen Elternhaus; sie hat früh Künstlerkontakte und wird von der Mutter in ihrem Wunsch, Malerin werden zu wollen, unterstützt. Dennoch macht sie auf Wunsch der Eltern eine Ausbildung am Bremer Lehrerinnenseminar, bevor die Mutter ihr ermöglicht, für ein Jahr auf die Berliner Malerinnenschule zu gehen.

Nach ihrer Rückkehr be

kommt sie Kontakte zur Künstlerkolonie Worpswede, zieht auch dorthin und gehört fest zur „Worpsweder Clique“ mit Otto Modersohn und Fritz Mackensen. In Worpswede lernt sie auch die Bildhauerin Clara Westhoff kennen; in ihr findet sie eine „Schwesterseele“, nach der sie später in ihrer Ehe vergeblich sucht. Obwohl besonders der Vater ihr unterstellt, ihre Zeit mit der Malerei sinnlos zu vergeuden, verfolgt sie weiter ihr Ziel. Sie besucht 1900 Clara Westhoff in Paris, die dort im Atelier Rodins arbeitet. Sie lernt die junge französische Malerei kennen; ihre Hauptthemen werden Stilleben, Menschen in der ländlichen Landschaft, Portraits und auch Selbstportraits.

Nach ihrer Rückkehr aus Paris heiratet sie Otto Modersohn

und ist damit von ihren finanziellen Sorgen befreit. Bald ist sie allerdings von der Ehe enttäuscht, und Worpswede empfindet sie als einengend. Sie geht wieder nach Paris und will sich von Otto trennen. Paula richtet sich dort ein eigenes Atelier ein; sie ist sehr aktiv und malt als erste Frau ein revolutionäres Selbstbildnis als ganzen Akt.

In dieser Pariser Zeit schreibt sie dieses Gedicht:

Ich stehe zwischen meinem alten und meinem neuen Leben.

Wie das wohl wird. Und wie ich wohl werde in dem neuen Leben.

Ich bin nicht Modersohn.

Ich bin

Ich.

Und hoffe es immer mehr zu werden.

Das eigenständige Leben in Paris ist für Paula nicht einfach: Letztlich scheitert sie als Frau alleine an finanziellen Schwierigkeiten. Sie kehrt 1907 nach Worpswede zurück. Paula ist schwanger, sie hört auf zu arbeiten. Drei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde stirbt Paula Becker-Modersohn an Embolie. In ihrer Schaffenszeit malte sie rund 700 Bilder. Während der Nazizeit gelten ihre Bilder als entartet. In der Boettcherstraße steht das Paula- Becker-Modersohn-Haus.

Ostertorwache

Wegen des Verfassens revolutionärer Schriften hatte die Ostertorwache, auch heute noch ein Gefängnis, im Jahr 1852 für acht Tage eine bekannte Gefangene: die Schriftstellerin Marie Mindermann (1808-1882). Sie kommt aus einem Handwerkerhaushalt und kann nur bis zum 13. Lebensjahr die Schule besuchen. Danach muß sie im Haushalt helfen; ihre Eltern können ihr aus finanziellen Gründen den sehnlichsten Wunsch, Lehrerin zu werden, nicht erfüllen. In abendlichem Selbststudium erwirbt sie sich ihre Literaturkenntnisse. 1830 lernt sie Karoline Lacroix kennen: Marie Mindermanns erste Biographin Metta Meinken bezeichnet ihreVreundschaft als „Freundschaftsehe“, die bis zum Tode Maries Bestand hat.

Während der Revolution von 1848 wird Marie Mindermann politisch aktiv. Sie engagiert sich in zunächst anonym herausgegeben Schriften für den revolutionären Pastor Dulon. Sie kritisiert fundiert und satirisch die „Bremer Zustände“, beschreibt politische Machenschaften. In der Öffentlichkeit — die wie selbstverständlich davon ausgeht, daß es sich bei dem anonymen Verfasser um einen Mann handelt — gelten die Schriften als kirchenrechtlich fundiert und außerordentlich gescheit. Als der Senat allerdings Nachforschungen anstellt und klar wird, daß eine Frau die Verfasserin ist, gelten die Schriften nur noch als mittelmäßig. Marie wird zu einer Geldstrafe oder acht Tagen Beugehaft verurteilt, die sie auch antritt. Über ihre Hafterlebnisse berichtet sie anschließend ausführlich. Marie Mindermann zieht sich aus dem politischen öffentlichen Leben zurück, als sie danach Schwierigkeiten mit ihrem Verleger bekommt — der schickt ihr eine Sammlung von Märchen und Erzählungen zurück mit dem Kommentar, er dürfe von „politisch anrüchigen Personen“ bei Strafe der Schließung seines Geschäfts nichts veröffentlichen.

Zur Existenzsicherung schreibt Marie jetzt lyrische Texte, Novellen und plattdeutsche Dichtung. Sie ist eine anerkannte Schriftstellerin und wird 1875 zur Meisterin des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt (Goethehaus) ernannt. Marie Mindermann ist 1867 wesentlich an der Gründung des Frauen-Erwerbsvereins in Bremen beteiligt.

Villa Ichon

Unter den vielen Türschildern an der Villa Ichon fehlt das für die Bremer Sektion der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ IFFF. Eine der Mitgründerinnen der deutschen Sektion war die Bremer Frauenrechtlerin und Pazifistin Auguste Kirchhoff (1867-1940), fünffache Mutter und seit ihrem vierzigsten Lebensjahr auf breiter Front für Frauenanliegen aktiv. Die Juristentochter, mit einem Juristen verheiratet, engagiert sich zunächst im karitativen Bereich. Sie tritt 1905 der bremischen Sektion des deutschen Vereins für das Frauenstimmrecht bei, ebenso dem Bund für Mutterschutz und Sexualreform. 1915 fährt die unerschrockene Pazifistin gegen den Willen des „Bundes deutscher Frauenvereine“ zur Frauenfriedenskonferenz nach Den Haag.

Die IFFF wird ab 1919 ihre geistige Heimat, bis zum Verbot 1933 leitet sie die Bremer Sektion. Auguste Kirchhoff kämpft gegen den Krieg, nationalen und internationalen Chauvinismus und für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Frühzeitig warnt die in der „Bremer Volkszeitung“ und Frauenzeitschriften wie „Die Frauenbewegung“ und „Die neue Generation“ vor den Gefahren des Antisemitismus und des Nationalsozialismus. Außerdem kämpft Auguste Kirchhoff gegen die staatlich konzessionierte Prostitution, fordert gleiche Rechte für unverheiratete Mütter und uneheliche Kinder und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in der Abtreibungsfrage.

Ab 1920 werden die Aktivitäten der IFFF poizeilich überwacht — das beinhaltet auch Saalschutz gegen Rechtsradikale. 1933 werden alle Vereine, in denen Auguste Kirchhoff tätig war, aufgelöst. Sie lebt danach wie viele engagierte Frauen sehr zurückgezogen und stirbt nach langer Krankheit unbeachtet.