Weniger Interesse an alternativen Projekten

■ Seit 15 Jahren unterstützt das „Netzwerk“ Projekte, jetzt ist es selber bedroht

Angefangen hatte alles mit den Berufsverboten unter Willy Brandt 1977. Betroffene des Erlasses hatten die Idee einer Versicherung, die ihnen eine Alternative bieten sollte. Eine Versicherung war allerdings viel zu aufwendig und kostenintensiv. Selbstverwaltete Betriebe war das Stichwort. Sich unabhängig von staatlicher Hilfe zu machen, aus eigener Kraft eine alternative Zukunft zu sichern. So entstand das „Netzwerk“ als eine Geld-Verteilungs-Institution, die das System der „Promi-Listen“ ablöste, die auf der Suche nach Mäzenen helfen sollten.

Jetzt wurde das Geld zuerst von den Mitgliedern des Netzwerkes und Spendern in einen großen Solidarititätsfonds geworfen und anschließend wieder verteilt, damit nicht jeder, der ein neues Projekt beginnen wollte, zu jedem potentiellen Geldgeber einzeln rennen mußte.

Ökoläden, Frauen- und Mädchenhäuser, selbstverwaltete Druckereien, Programmkinos, Off-Theater und andere Kleinstbetriebe erhielten seither eine Chance, gegen die übermächtige kommerzielle Konkurrenz bestehen zu können. Durch Anschubfinanzierungen, günstige Kredite oder Geldgeschenke konnten sie so zumindest die Kinderkrankheiten überstehen. Die Berliner machten bald Schule: In zwei Dutzend westdeutschen Städten entstanden Netzwerke nach dem Vorbild im Kreuzberger Mehringhof. Einmal im Jahr treffen sich alle Netzwerker der Republik zu einem Erfahrungsaustausch.

Nicht jedes beliebige Projekt kann darauf hoffen, von Netzwerk unterstützt zu werden. Einzelpersonen scheiden von vornherein aus, auch Kirchen, Parteien oder Gewerkschaften gehören nicht zum Kreis der Auserwählten. Modellhaft soll das Projekt sein, daß sich um eine Hilfe von Netzwerk bewirbt, selbstverwaltet und selbstverständlich ökologisch produzierend, wenn es sich um Betriebe handelt. Zudem muß ausgeschlossen werden können, daß sich ein einzelner an solch einer Firma bereichern könnte.

Fünfzehn Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Möglicherweise wird bald das Netzwerk selbst Unterstützung nötig haben: Seit dem Mauerfall sind die Mitgliederzahlen kontinuierlich in den Keller gefallen. Obwohl sie sich mittlerweile bei 1.500 eingependelt haben, rechnen die Mitarbeiter in den Büros im Mehringhof ständig mit dem Aus.

Elisabeth Bolda sieht schwarz: „Wenn wir es nicht schaffen, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre mehr Mitglieder zu bekommen, müssen wir wahrscheinlich dichtmachen.“ Deshalb hatte man im vergangenen Jahr damit begonnen, Förderschwerpunkte einzurichten, um Sponsoren eine konkrete Perspektive für ihr Geld zu geben. Es sollte nicht mehr so aussehen, als ob die Mitgliedsbeiträge in einem Meer von anonymen Projekten untergehen und Spender keinen Einblick mehr haben. Beim jüngsten Förderschwerpunkt „Betriebe gegen rechts“ wurde überlegt, wie Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit gegen Rassimus, Gewalt und Rechtsextremismus vernetzt und sich Netzwerk aktiv in die Arbeit schon bestehender Iniatitiven einklinken könnte. Ein Sonderkonto wurde vor kurzem eingerichtet und eine Werbekampagne mit Plakaten und Kinospots gestartet.

In Berlin sind drei Mitarbeiter damit beschäftigt, den Papierkram zu erledigen, die Verwaltungsarbeit zu leisten und mit derzeitigen Summen von 500.000 Mark zu jonglieren. Projektgruppen entscheiden einmal wöchentlich darüber, an wen Unterstützungen bis zu 2.000 Mark gezahlt werden. Die Gruppen prüfen, inwieweit die immer noch gültigen Vergabekriterien auf einen Antrag zutreffen und setzen sich mit den Projekten direkt in Verbindung, um über die Zahlungen zu verhandeln.

Zweimal im Monat trifft sich der ehrenamtliche Beirat mit 15 Personen, um über Förderanträge über 2.000 Mark zu entscheiden. Der vierköpfige Vorstand schließlich will einmal monatlich darüber unterrichtet werden, was im Netzwerk passiert. Hier werden auch die politischen Entscheidungen getroffen und immer wieder über das Netzwerk-Konzept diskutiert.

Elisabeth Bolda, hauptamtliche Netzwerkerin, sieht das Netzwerk in einem Dilemma. Einerseits soll es ein Sammeltopf für kleine anonyme Initiativen sein und als Verteiler dienen, andererseits läßt sich damit keine Werbung machen. „Wir hoffen, daß durch die Aktionen unsere Arbeit einsichtbarer wird und wir bekannter werden.“ Sie sieht auch einen Rückgang am Interesse, alternative Projekte zu starten.

Auch der oft an die Wand gemalte Werteverlust der letzten Zeit habe wohl dazu beigetragen. Viele Leute, die heute einen Betrieb aufbauen wollten, würden sich zum Teil um Direktkredite bemühen. Deshalb verlagert sich die Arbeit immer weiter zur Unterstützung von politischen Inis, autonomen Gruppen oder alternativen Aktionen.

Ein anderes Problem sei der Bekanntheitsgrad des Netzwerkes. „Wenn wir ein Projekt unterstützt haben, weiß ja später niemand, daß da Geld von uns drinsteckt.“ Deswegen hat man auch im Mehringhof die Notwendigkeit von Public Relations eingesehen. In loser Folge veranstalten die Netzwerker Diskussionen zu aktuellen Anlässen, Lesungen und Plakataktionen. Vierteljährlich erscheint der Rundbrief, die hauseigene Zeitung, die in ihrer jüngsten Ausgabe ganz unter dem Schwepunktthema „Betriebe gegen rechts“ steht. So hofft der Verein mit der rasenden Wildsau im Emblem, über einen intimen Kreis bekannt zu werden, um so seine Arbeit für die „Kleinen“ fortsetzen zu können. Jörg Welke