„Schröder soll verhindert werden“

■ Interview mit Professor Oskar Negt, Freund und Berater von Gerhard Schröder, zur Kür des SPD-Parteivorsitzenden

taz: Herr Professor Negt, bewegt Sie die Entscheidung am Sonntag?

Oskar Negt: Der Vorgang ist zunächst einmal bemerkenswert, weil es Vergleichbares in der Geschichte der SPD noch nicht gegeben hat. In bezug auf eine Demokratisierung der SPD halte ich die Prozedur aber nicht für hoffnungsvoll, weil das Arrangement von den Parteibürokraten ersonnen wurde, um Schröder zu verhindern. Ich hoffe, daß die Parteibürokraten sich verrechnet haben und dieses Kalkül nicht aufgeht, weil ich allein ihm zutraue, in Bonn die Machtverhältnisse umzukehren. Mit Schröder könnte es gelingen, eine neue Reformperiode in diesem Land einzuleiten. Zwar sind seine programmatischen Akzente wegen der totalen Personalisierung während der letzten Wochen ein wenig untergegangen, aber er ist für mich derjenige, der wichtige Reformprojekte – wie etwa den Ausstieg aus der Kernenergie – tatsächlich durchzusetzen gewillt ist. Sollte er zum Vorsitzenden gewählt werden, dann wird er auf dem Parteitag eine umfassende Reformprogrammatik entwickeln, die auch Wege und Visionen für das neue Jahrzehnt enthält.

Schröder stand einmal für eine andere Asylpolitik, um dann am Ende dem Bonner Asylkompromiß doch zuzustimmen. Im Zweifelsfall siegt auch bei Schröder der Staatsmann über den Programmatiker.

Was Sie hier ansprechen, sind Probleme von Gewicht, die Schröder auch belasten. Ich halte aber für wichtig, wie offen er seine Positionsveränderung erklärt und wie offen er dargestellt hat, daß er aus der Asylkompromißdebatte nicht einfach aussteigen konnte. Ich kann den Verdacht, der in Ihren Worten etwas mitschwingt, Schröder sei ein Opportunist, aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich glaube, daß er ein machtbewußter Politiker ist, der beharrlich Positionen durchzusetzen versucht und auch bei schwierigen Fragen nicht abtaucht. Was in der Asylfrage jetzt beschlossen wurde, drückt Schröders wirkliche Gesinnung nicht aus. Ich bin sicher, daß Schröder, sollte er eine Chance als Bundeskanzler bekommen, diese Frage ganz anders regeln wird. Auf der machtpolitischen Ebene ist für mich Schröder der einzige, der so etwas wie einen Gegenpol zu Kohl bilden kann.

Könnte man Kohl nicht auch mit einer Kombination aus Scharping und Lafontaine ablösen? Lafontaine ist doch vom Typ her Schröder sehr ähnlich.

Das ist für mich eine Verliererkombination. Lafontaine hat zwar im letzten Wahlkampf sehr viele Wahrheiten formuliert, aber ich halte ihn für einen angeschlagenen Kandidaten. Scharping ist ein seriöser, solider aber eben auch etwas blasser Politiker, dem ich die jetzt erforderliche Fähigkeit, Menschen für einen Neuanfang zu mobilisieren, nicht zutraue. Jetzt den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur in eine Hand zu legen, scheint mir eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung, um Kohl tatsächlich zu schlagen. Bei der von Ihnen genannten Kombination halte ich das für ziemlich ausgeschlossen.

Was passiert mit Schröder, wenn er verliert?

Das ist für ihn persönlich keine Katastrophe. Dann muß er es in fünf Jahren noch einmal versuchen. Interview: Walter Jakobs