Sinéad O'Connor wurde Dichterin

Dublin (taz) – Warum ist ausgerechnet unter RockmusikerInnen der Irrglaube so weit verbreitet, daß die Welt nach einer „Botschaft“ aus dem kleinen Rockerhirn lechzen würde? Daß so etwas leicht danebengehen kann, haben drei Altmeister der Musikszene mit ihrem faschistischen (David Bowie), rassistischen (Eric Clapton) und rechtsradikalen (Rod Stewart) Geschwätz bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und noch immer drucken Musikzeitschriften den Verbaldünnschiß der drei Kotzbrocken munter ab. Im Vergleich dazu ist die irische Sängerin Sinéad O'Connor geradezu erfrischend. Am vorletzten Wochenende sollte die Ex-Glatze neben zahlreichen anderen MusikerInnen an einem Friedenskonzert für Nordirland teilnehmen, ließ sich in der Halle jedoch nicht blicken. Sie habe an einem Gedicht gearbeitet, erklärte sie zwei Tage später. Am vergangenen Donnerstag war es endlich soweit: O'Connor hatte für umgerechnet 30.000 Mark eine ganze Seite in der Irish Times gemietet, um das Werk über ihre Angst, ihre Unsicherheit und ihren Schmerz der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Gedicht spaltete die Nation in drei Teile: in diejenigen, die vor Rührung tagelang weinen mußten, wie die Journalistin Kathryn Holmquist; die anderen, die in der morgendlichen Radio- Talk-Show einen Wutanfall über die Anmaßung der Sängerin bekamen; und schließlich die große Mehrheit, der das alles scheißegal war. Ralf Sotscheck