„Ein souveräner, überzeugter Demokrat“

■ Ignatz Bubis zum Vorschlag, Jens Reich zum Bundespräsidenten zu wählen

taz Herr Bubis, bislang ist der Bundespräsident zwischen den Parteien ausgehandelt worden. Soll das jetzt anders werden?

Ignatz Bubis:Ja. Wir wollen versuchen, das in Zukunft anders werden zu lassen. Es sind ja einige Namen genannt worden, deren Träger dann immer zurückhaltend reagierten oder sagten, sie stünden nicht zur Verfügung. Damit ist die Debatte um den künftigen Präsidenten auf ein völlig falsches Gleis der Beliebigkeit gebracht worden. Unser Kandidat sollte tatsächlich zur Verfügung stehen, tatsächlich aus dem Osten kommen, wie es der Bundeskanzler gerne hätte, aber auch immer schon seine Westbindungen gehabt haben. Und er sollte kein Berufspolitiker und dennoch mit der Politik vertraut sein. Das waren Kriterien, von denen wir überzeugt sind, daß sie auf Jens Reich zutreffen.

Was sollte denn die Parteien jetzt dazu motivieren, in der Frage der Bundespräsidentschaft ein Stück Macht an die Gesellschaft zu delegieren?

Es gibt, wie wir wissen, große Politikverdrossenheit und ich denke, daß eine gesellschaftlich unterstützte Kandidatur diese Verdrossenheit bei demokratisch gestimmten BürgerInnen abbauen helfen könnte. Hier sehe ich ein Interesse der Parteien selbst, ein Stück Verzicht zu leisten.

Ein Bürgerrechtler mit deutlicher Skepsis gegenüber dem Vollzug der deutschen Einheit, ist ja nicht gerade ein Kandidat, der von seinem politischen Profil her für Union oder FDP auf Anhieb attraktiv erscheinen mag.

Reich war skeptisch gegenüber der Form der deutschen Vereinigung 1989, zu einem Zeitpunkt, als auch hier im Westen die Form noch höchst umstritten war. Jens Reich hat auf seine Weise die deutsche Einheit sehr entschieden unterstützt. Was die Unterstüzung aus den Parteien betrifft, so ist unser Vorschlag dort mit Interesse aufgenommen worden. Die bisherige Zurückhaltung hängt meiner Meinung damit zusammen, daß die FDP noch auf ein Wort ihres Wunschkandidaten Genscher wartet und die SPD an eine Kandidatur von Johannes Rau denkt. Sicherlich wird die CDU auch einen Wunschkandidaten haben. Genau deshalb aber haben wir versucht, mit Jens Reich einen Kandidaten vorzuschlagen, mit dem sich alle Seiten abfinden können und der Öffentlichkeit gleichzeitig eine Person zu präsentieren, die sich nicht glatt ins Bild des Parteienstaates einfügt.

Muß die Gesellschaft diesen Vorschlag durchsetzen?

Also wir wünschen, daß die Parteien Verständnis für diese Kandidatur aufbringen und den Versuch wagen. Wir haben Bürgerpräsidenten in den verschiedensten Ländern, denken Sie an Vaclav Havel. Es gab auch schon einmal in der Frühgeschichte der Bundesrepublik die Idee Thomas Mann zum Präsidenten zu wählen.

Was macht denn aus Ihrer persönlichen Sicht die Eignung von Jens Reich für dieses Amt aus?

Jens Reich ist ein souveräner, überzeugter Demokrat, der nicht in das Tagesgeschäft der Politik eingebunden ist. Gerade deshalb könnte seine Kandidatur dazu beitragen, die Kluft zwischen Politik und Gesellschaft wieder etwas zu überbrücken. Das Interview führte

Matthias Geis