Diskriminierung staatlicherseits festgeschrieben

■ Interview mit Khalida Messaoudi, Mitbegründerin der algerischen Initiative „Unab- hängige Assoziation für die Durchsetzung der Frauenrechte“, zur Situation in ihrem Land

Zwei Monate vor der Ermordung des algerischen Präsidenten Boudiaf wurde Khalida Messaoudi im April 92 Mitglied des „Conseil Consultative“, eines 60köpfigen Beirats, den Boudiaf als Beratungsgremium seiner Regierung ins Leben rief. Noch heute ist sie eine von sechs Frauen in diesem Gremium.

taz: Wie sieht heute, nach dem Verbot der fundamentalistisch-islamistischen Partei FIS, die Situation in Algerien aus?

Khalida Messaoudi: In Algerien herrscht immer noch Angst. Die FIS verübt Anschläge auf Intellektuelle, Polizisten, Andersdenkende, auch Feministinnen. Amnesty international geht davon aus, daß der heutige Terror ein Ergebnis der Politik der algerischen Regierung ist, als deren Folge die FIS ihren Wahlerfolg einbüßte. Doch ich bin eine Frau, und Frauen wurden von den Fundamentalisten auch vor den Wahlen schon verfolgt, angegriffen und getötet. Die FIS ist nicht erst seit ihrem Verbot eine Terrororganisation.

Welche Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen gibt es in Algerien? Sind es nur die Terroranschläge der FIS, die Sie anklagen?

Natürlich nicht. 1989 wurde in Algerien ein neues Familienrecht verabschiedet — ein Kniefall der regierenden FLN vor den damals schon starken Fundamentalisten. Das Familienrecht schrieb die Diskriminierung von Frauen staatlicherseits fest. Seit 1989 untersteht eine Frau per Gesetz der Vormundschaft ihres Vaters oder eines anderen Verwandten. Heiraten kann sie nur mit Einwilligung des Vormunds, der auch die offiziellen Schritte einleiten muß. Lebt kein direkter männlicher Verwandter mehr, wird ein Richter Vormund. Gleichzeitig kann ich als Frau politisch aktiv sein, kann in einer politischen Institution arbeiten. Aber heiraten darf ich nicht selbstbestimmt. Während Söhne bis zur Volljährigkeit einen Vormund haben, bleiben Töchter unter der Vormundschaft der Väter, bis sie heiraten. Heiraten sie nicht, haben sie ihr Leben lang einen Vormund. Ist eine Frau verheiratet, so ist ihr Mann das Familienoberhaupt. Zwar dürfen Frauen nach der Heirat ihren Besitz behalten, auch eigenes Land. Verbietet ein Ehemann seiner Frau jedoch, außer Haus zu gehen, muß ein anderer die Verwaltung ihres Landes übernehmen.

Darüber hinaus ist in Algerien die Polygamie legal. Ein Mann darf insgesamt bis zu vier Frauen heiraten. Will ein Mann die Scheidung, so braucht er keine Erklärungen abzugeben, jeder Richter muß seinem Wunsch stattgeben. Will dagegen eine Frau sich scheiden lassen und ihr Mann verweigert sich, wird sie niemals geschieden. Willigt er ein, so muß die Frau das Haus verlassen, egal welche Möglichkeiten sie hat. Denn es wird stets unterstellt, Frauen hätten die Möglichkeit, zu ihrem Vormund zurückzukehren. Viele Frauen stehen jedoch nach einer Scheidung auf der Straße, betteln oder prostituieren sich, um zu überleben. Eine Frau hat zwar das Recht, ihre Kinder mitzunehmen, doch sie bleibt in allen Entscheidungen von ihrem Ex-Mann abhängig: Er muß einwilligen, wenn sie die Kinder zur Schule schicken will, er muß einverstanden sein, wenn sie mit den Kindern den Wohnort wechseln will. Das heißt, eine geschiedene Frau lebt weiterhin unter der Herrschaft ihres Mannes.

Wie wird dieses Recht in Intellektuellen-Kreisen gesehen?

Die Einführung dieses Familienrechts war natürlich eine politische Entscheidung, da sie auch jene dazu zwingt, diese patriarchale Hierarchie zu akzeptieren, die sie eigentlich ablehnen. Mein Vater hat immer die Rechte seiner Töchter respektiert. Als er 72 war, hat meine Schwester, damals schon eine bekannte Ärztin, geheiratet. Mein Vater war geschockt, daß er sie als ihr Vormund verheiraten mußte. Er meinte: „Meine Tochter hat wesentlich mehr Bildung als ich, sie trägt als Ärztin große Verantwortung. Dennoch darf sie nicht entscheiden, ob sie heirateten will oder nicht.“ Das war für ihn völlig paradox, doch er mußte den Vormund spielen.

Einige Staaten beharren in Wien darauf, daß kulturelle und religiöse Traditionen es ihnen verbieten, Frauenrechte durchzusetzen...

Kulturelle und religiöse Gründe werden vorgeschoben, um eine Politik gegen Frauen zu rechtfertigen. Die Demokratie ist der Sauerstoff der Menschenrechte. Und Demokratie ist universell. Kulturelle Aspekte werden darunter subsumiert. Auch wenn ich mich entscheiden würde, keine Algerierin mehr zu sein, bleibt meine kulturelle Identität die einer Algerierin – egal ob ich einen kurzen Rock trage oder Lippenstift auflege.

Haben Frauenrechte hier auf der Konferenz überhaupt eine Chance?

Schon allein wenn frauenspezifische Menschenrechtsforderungen im Schlußdokument von Wien erwähnt würden, wäre die Konferenz ein großer Erfolg. Es gibt Leute, die sagen, was soll's, das sind doch nur Worte. Aber ich will diese Worte als Anleitung zum Handeln verstehen. Dann kann ich mich an der Basis um deren Umsetzung kümmern. Außerdem hoffe ich, daß die Vereinten Nationen eine Sonderberichterstatterin einsetzen werden, um über Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen zu berichten. Selbst wenn diese Forderung in Wien nicht beschlußfähig sein sollte, wäre es ein erster Erfolg, daß über die Forderung auf internationaler Ebene überhaupt gesprochen wurde.