Ein fauler Kompromiß in Wien

■ Statt offiziell vor der UN-Menschenrechtskonferenz trat der Dalai Lama im Beiprogramm auf

Wien/Berlin (AFP/epd/taz) – Einen Auftritt „zweiter Klasse“ bekam der Dalai Lama gestern in Wien. In einer Rede vor regierungsunabhängigen Organisationen bekräftigte das geistliche Oberhaupt der Tibeter die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, bei Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten. Es sei notwendig, alles zu tun, „um brutal mißhandelten Brüdern und Schwestern zu helfen“. Nachdem der Friedensnobelpreisträger auf Druck Chinas von der offiziellen UN-Menschenrechtskonferenz ausgeschlossen worden war, durfte er am Abend seine Rede über die „Universalität der Menschenrechte“ in einem Zelt von amnesty international außerhalb des UNO-Geländes halten. Auf diesen Kompromiß hatten sich Österreichs Außenminister Alois Mock und der Generalsekretär der Konferenz, Ibrahima Fall, geeinigt. Trotzdem reagierte die chinesische Regierung mit einer deutlichen Warnung an das Gastgeberland: „Wir hoffen nicht, zu sehen, daß von der österreichischen Seite etwas unternommen wird, was die bilateralen Beziehungen verletzen könnte“, hieß es aus dem Pekinger Außenministerium. Der Dalai Lama, der zum Ärger Pekings in der letzten Zeit mehrfach von Regierungen in den USA und Europa empfangen worden ist, sei „seit langer Zeit in separatistische Aktivitäten zum Schaden der nationalen Einheit verwickelt“.

Für China – ebenso wie für viele Regierungen besonders Asiens und Afrikas – steht die Auseinandersetzung um den Auftritt des Dalai Lama stellvertretend für den Konflikt zwischen den Menschenrechtsvorstellungen des Nordens und des Südens: „Das heutige Konzept der Menschenrechte“, so der indonesische Außenminister Ali Alatas, dessen Land die Präsidentschaft der über hundert „blockfreien Staaten“ innehat, „wurde im Westen entwickelt“. Sein Land lehne eine „rein individualistische Sicht der Menschenrechte“ ab, denn es räume „dem Recht der Gesellschaft oder der Nation eine hohe Priorität“ gegenüber dem einzelnen ein. „Die Staaten können sich nicht länger hinter den bequemen Vorhang der Nichteinmischung zurückziehen, erklärte dagegen der Däne Nils Helveg Petersen für die EG. Die Vertreter Rußlands und der BRD unterstützten gestern den Vorschlag der USA, die am Vortag die Ernennung eines UN- Hochkommissars für Menschenrechte gefordert hatten. Der russische Außenminister Andrej Kosyrew setzte sich auch für die Schaffung eines internationalen Gerichtshofes für Menschenrechte ein. Sein deutscher Amtskollege Klaus Kinkel schlug ein Initiativrecht für den UN-Hochkommissar vor, „um von sich aus gravierende Menschenrechtsverletzungen aufgreifen zu können“. „Wer foltert, soll nicht ruhig schlafen“, forderte Kinkel.

US-Außenminister Warren Christopher legte ein Elf-Punkte-Programm für Menschenrechte vor. Darin schlug er unter anderem auch die Benennung einer UNO-Sonderberichterstatterin über die Verletzungen der Rechte von Frauen vor, die weltweite Ächtung der Folter und das Recht auf Bildung für alle bis zum Jahr 2000. „Wir wollen lieber kein Abkommen als ein verwässertes oder unaufrichtiges Abkommen“, sagte Christopher vor den Delegierten aus 183 Staaten. Siehe auch Tagesthema Seite 3