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Letzte Rettung für das Pilzkonzept

Deutsche Reichsbahn plant drittes Bahnhofskonzept: Für den Bahnhof Papestraße liegt ein Entwurf der Architekten JSK/Perkins und Will vor / Sechs ICE-Bahnsteige unter Glas  ■ Von Rolf Lautenschläger

Nach den Wettbewerbspleiten für den Spandauer Fernbahnhof sowie den Bahnhof Gesundbrunnen – beide können wegen der zu hohen Kosten vorerst nicht realisiert werden – versucht sich die Deutsche Reichsbahn an ihrem dritten geplanten Bahnhofskonzept am Innenstadtrand: Für den Fernbahnhof Papestraße liegt ein Entwurf der Architekten JSK/Perkins und Will (Berlin/Frankfurt/M.) vor, die den Südbahnhof mit sechs ICE-gerechten Bahnsteigkanten (400 Meter Länge) unter ein breites Glasdach legen wollen. An den Eckpunkten sind jeweils vier Hochhausscheiben plaziert, deren Türme für Hotel- und Büroflächen reserviert sind.

Das Verkehrsbauwerk auf der Grenze zwischen den Bezirken Tempelhof und Schöneberg „könnte von beiden Stadtteilen aus über Vorplätze erschlossen werden“, sagte Architekt Joos. Eine fußläufige Verbindung von Schöneberg nach Tempelhof soll über eine dem Bahnhof nördlich vorgelagerte Brücke führen. Joos: „Parallel zu den Fernbahngleisen verläuft eine S-Bahn-Trasse, die von der Ringbahn überfahren wird. Die Bahnsteige der Fernbahn werden dazu in eine Vertiefung gelegt.“ Im Bereich Papestraße soll außerdem eine „mehrgleisige Abstellgruppe für ICE- Züge entstehen“, wie Reichsbahn- Sprecherin Kraszke mitteilte.

Den Bahnhof für Reisende in Richtung Halle, Dresden und Leipzig sowie in die nahe Region des Berliner Umlandes vergab die Reichsbahn im Direktauftrag an das Architekturbüro, nachdem sich die oben genannten Planungen als nicht finanzierbare Superbauten entpuppten. Der 200 Millionen Mark teure Bahnhof trägt deshalb abgespeckte Züge und hausiert nicht mit überzogenen Renditeerwartungen durch das Angebot von Dienstleistungsflächen und ganzen Bürostädten. „Ein Mehr an Bahnhof soll geplant werden“, wie Kraszke versichert. Rund 40.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche stehen hier beispielsweise der Megafläche von 250.000 Quadratmeter beim sogenannten „Zentralbahnhof Lehrter Straße“ gegenüber. Kraszke: „Die Erlebniswelt mit Gleisanschluß muß bezahlbar bleiben, nur so ist das Pilzkonzept beizubehalten.“

Der Direktauftrag der Reichsbahn an das Architekturbüro liest sich indessen wie der letzte Versuch, das Pilzkonzept durch Planungsvorlauf noch in Teilen zu retten. „Erfolgt der Bau der Bahnhöfe an den Schnittstellen von Ring und Radialen nicht“, so der Abgeordnete Michael Cramer (Bü 90/Grüne), „dann wird der Lehrter Kreuzungsbahnhof zum einzigen Umsteigebahnhof. Alles wird sich auf dieses Zentrum konzentrieren.“ Die Verteilung der Reisenden auf die peripheren Bahnhöfe entfiele. In der Mitte entstünde ein gigantisches Bahnhofsviertel, für mehr als 120.000 Umsteigende pro Tag. Die Idee der dezentralen Bahnhöfe wäre somit gestorben.

Verwunderung über den Alleingang der Reichsbahn bei der Bahnhofsplanung äußerte nicht nur Pressereferentin Ulrike Plewnia aus dem Haus des Stadtentwicklungssenators Volker Hassemer. Für den Bereich würde für Herbst '93 ein städtebaulicher Wettbewerb vorbereitet, der die städtische Verdichtung und die Dienstleistungskonzeption festlegen sollte. Kritik an der Geschwindigkeit der Planung formulierte auch Schönebergs Baustadträtin Sabine Ritter (AL). Außerdem, so Ritter, mangele es dem Entwurf bei der Verkehrseinleitung, die die Topographie unterbreche. Der vorgesehene Grünzug finde wenig Berücksichtigung. Zugleich vermisse sie in dem Konzept den Bau von Wohnungen.

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