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Den Akademiestreit nutzen, um Diepgen kaltzustellen

■ Berliner CDU und Kohl machen Front gegen den CDU-Landesvorsitzenden

Berlin (taz) – Auf dem Landesparteitag der Berliner CDU warf am Wochenende der Landesvorsitzende Eberhard Diepgen der mitregierenden SPD vor, „koalitions- und regierungsunfähig zu werden“. Die verbale Attacke war voreilig, denn bereits heute wird die SPD den Regierenden Bürgermeister Diepgen vor der Regierungsunfähigkeit bewahren. Sie wird ihm ausgerechnet gegenüber seiner eigenen Fraktion den Rücken stärken, wenn im Abgeordnetenhaus der von ihm ausgehandelte Staatsvertrag über die Akademie der Künste zur Abstimmung steht.

Die CDU-Fraktion wiederum weiß in ihrer Ablehnung der ihrer Ansicht nach Stasi-belasteten Kulturinstitution gleichfalls einen potenten Verbündeten auf ihrer Seite. Bundeskanzler Helmut Kohl betrachtet „mit Befremden und Sorge die Pläne der West-Berliner Akademie der Künste, alle Mitglieder der Ost-Berliner Akademie der Künste en bloc aufzunehmen“. Diese Sorge teilte er Diepgen zu Pfingsten in einem Brief mit. Kohl hielt „eine Überprüfung der Pläne für zwingend erforderlich“ und brachte den von ihm ungeliebten Diepgen damit in eine unangenehme Lage. Denn die Berliner Landesregierung hatte den Staatsvertrag bereits am 15. September 1992 zeitgleich mit der brandenburgischen beschlossen, letzte Woche gab das dortige Landesparlament dem Projekt seine Zustimmung. Der kulturpolitische Sprecher der Berliner SPD, Niko Sander, fürchtet bereits eine nachhaltige Schädigung der ohnehin schleppenden Fusionsbestrebungen beider Länder. Gegen die „verfassungswidrige Einmischung des Bundeskanzlers“ will sowohl Sander wie auch das Bündnis 90/ Grüne Diepgen stützen.

In Erwartung der heutigen Parlamentszustimmung zur Fusion hat Akademiepräsident Walter Jens bereits für Freitag zur ersten Mitgliedervollversammlung der KünstlerInnen geladen. Sollte der Termin platzen, sieht Kutursenator Ulrich Roloff-Momin (SPD- nah) die Möchtegern-Kulturmetropole Berlin vor einem „Scherbenhaufen“. Akademie-Austritte von der staatlichen Gängelung überdrüssigen KünstlerInnen wären die Folge.

Gegenüber Kohl hatte Diepgen noch letzte Woche in einem Brief deutlich gemacht, daß die geforderte Gauck-Überprüfung den Akademiemitgliedern grundsätzlich nicht aufgezwungen werden könne und die bisher gefundene Lösung die ausreichende Basis für ein Zusammengehen darstelle. Werde die Debatte über das Verfahren aber von der Politik geführt und damit der Autonomiegedanke der Akademie in Frage gestellt, so schurigelte der Regierende seinen Kanzler, so dürfe die Gefahr nicht verkannt werden, daß damit noch größere Turbulenzen ausgelöst werden können. Den Bundeskanzler ficht diese Belehrung nicht an, er bleibt, so ist aus dem Kanzleramt zu erfahren, bei seiner ablehnenden Haltung.

Um zumindest die Zustimmung der CDU im Parlament zu sichern, hat Diepgen in letzter Minute eingelenkt. Er legte gestern eine Resolution vor, die das Abgeordnetenhaus zusammen mit dem Staatsvertrag beschließen soll. In ihr werden die Akademiemitglieder aufgefordert, sich „freiwillig einer Überprüfung durch die Gauck- Behörde zu unterziehen“. Doch die Initiative ging nach hinten los. Lediglich Teile der FDP werden sich damit die Zustimmung zum Staatsvertrag abringen lassen, die CDU bleibt bei ihrer Ablehnung. In der Akademie hingegen stieß die Aufforderung zur „Gauckung" gestern auf heftigen Protest. Vize- Präsident Hardt-Waltherr Hämer sieht darin einen „Eingriff in die Autonomie“, Austritte seien nicht mehr auszuschließen.

„Die Truppenteile sind festgezurrt“, so schätzt der kulturpolitischen Sprecher der CDU Uwe Lehmann-Brauns die Gefechtslage vor der heutigen Abstimmung ein. Ihn ficht weder an, daß sich sein Landesvorsitzender nun in der Abstimmung auf die Unterstützung der PDS verlassen muß, noch, daß mittlerweile 130 namhafte KünstlerInnen die Unterzeichung des Staatsvertrages gefordert haben. Das breite Bündnis von Boleslaw Barlog über Axel Corti, Cornelia Froboess, Günter Grass, Marianne Hoppe, Dieter Hildebrandt bis zu Peter Zadek warnt vor „staatlicher Bevormundung oder Eingriffen in die Autonomie eines traditionsreichen Hauses“.

Der Vorwurf, einen solchen Eingriff versucht zu haben, lastet bereits auf Lehmann-Brauns. Er soll im Juni letzten Jahres gegenüber der Akademie die CDU-Zustimmung zur Fusion angeboten haben, wenn diese im Gegenzug 35 von ihm vorgeschlagene Persönlichkeiten aufnehme. Auf seiner Liste fanden sich neben DDR-Dissidenten wie Wolf Biermann und Sarah Kirsch, internationalen Künstlern wie Andrzej Szczypiorski und Václav Havel auch Kandidaten wie der Leiter der Literaturabteilung des Hessischen Rundfunks, Karl Corino, und der Vorsitzende der Östereichischen Gesellschaft für Literatur, Wolfgang Kraus. Deren Verdienst sah Lehmann-Brauns vor allem in ihrem Engagement für die in der DDR Unterdrückten. In der Akademie wurde aber heftig bezweifelt daß darin bereits eine ausreichende Qualifikation für eine Aufnahme zu sehen ist, das Ansinnen Lehmann- Brauns wurde entrüstet zurückgewiesen.

Auch wenn der Akademie-Staatsvertrag verabschiedet wird, hat Diepgens Polit-Karriere einen erheblichen Knick erlitten. Beim CDU-Parteitag im Herbst will Diepgen wieder für den Landesvorsitz kandidieren. Es mehren sich jedoch die Stimmen, die ihn auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters beschränken wollen. An der Spitze der parteiinternen Frondeure steht Lehmann- Brauns. Sander vermutet inzwischen, daß der Akademiestreit sowohl von dem agilen CDU-Opponenten als auch vom Bundeskanzler instrumentalisiert wird, um den von beiden geringgeschätzten Landesvorsitzenden Diepgen kaltzustellen. Dieter Rulff

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