"Mölln war für mich der Knackpunkt"

■ Der Mitbegründer der "Nationalen Alternative", Ingo Hasselbach, warnt vor möglichen rechts-terroristischen Gruppen

taz: Herr Hasselbach, Sie sagen, Sie sind aus der rechten Szene ausgestiegen. Es gibt aber Antifa- Gruppen, die Ihnen nicht glauben.

Ingo Hasselbach: Ich kann es ihnen nicht übelnehmen, wenn sie zweifeln. Mein Ausstieg ist schließlich nicht von heute auf morgen geschehen, der Prozeß hat über ein Jahr gedauert.

Sie galten früher als führendes Mitglied der „Nationalen Alternative“ (NA). Heute heißt es plötzlich, sie wären Mitglied der NSDAP/AO gewesen.

Ich war Mitbegründer und eine zeitlang Vorsitzender der „Nationalen Alternative“. Später habe ich eine Zelle der NSDAP/AO geführt, weil ich von Parteien die Nase voll hatte.

In welchem Verhältnis steht die NSDAP/AO zur NA?

Es gibt im Prinzip keinen so großen Unterschied. Das Programm der NA war auch sehr an das der NSDAP/AO angelehnt. Das gilt, mit Ausnahme der Nationalistischen Front für alle ultrarechten Parteien. Gary Lauck, der Chef der NSDAP/AO in den USA, ist in der rechten Szene wichtig, weil er das ganze verbotene Propagandamaterial nach Deutschland bringt. Bei der NA war es etwa so, daß, wenn wir neue Mitglieder geworben haben, dann deren Namen und Adressen zu Lauck nach Lincoln/ Nebraska schickten. So wird es auch jede andere rechte Partei gemacht haben. Lauck hat sich über jedes neue Mitglied gefreut.

Haben Sie selber entscheiden können, eine Zelle der NSDAP/AO zu gründen, oder mußten Sie dazu die Zustimmung der Organistion einholen?

Das haben wir selber entschieden. Wir waren Leute, die etwas machen wollten. Dann haben wir eine Kameradschaft gegründet und die als Zelle der NSDAP/AO angeboten.

Und wie sah dann die Zusammenarbeit mit Gary Lauck aus?

Wir haben Schulungen nach dem NSDAP/AO-Material gemacht. Bei der legalen NA konnte man das nicht machen, weil dadurch ein Verbot der Partei gedroht hätte. In der illegalen Zelle haben wir auch ganz andere Schulungsthemen genommen, wie die „Judenfrage“. Wir haben auch den „NS-Kampfruf“ benutzt.

Und was ist in der NA geschult worden?

Themen wie die „Ausländerrückführung“, das, was auch andere legale Parteien wie die „Nationale Liste“ gemacht haben. Wir haben auch Schulungsmaterialien der Republikaner verwendet.

Wie groß war denn die NA?

Es gab an die 300 Mitglieder. Es gab einen Kern, der streng nationalsozialistisch ausgerichtet war. Das Gros der Leute hat sich damit nicht identifiziert, die waren nur stolz darauf, Mitglied der NA zu sein. Die waren um die 18 Jahre alt, für sie war das etwas völlig Neues.

Spielten Skinheads eine Rolle?

Wir haben in der NA versucht, Skinheads zu organisieren. Damit sind wir kläglich gescheitert. Das ist eine Gruppe, die nicht organisiert ist, die sich nur lose von Konzerten her kennt und die mit Parteien wenig zu tun haben will.

Warum sind Sie von der NA zur NSDAP/AO gegangen? Ist die NA langweilig geworden?

Ich war geheilt von Parteien, wegen deren Streitereien untereinander. Zusammen mit Freunden habe ich dann die „Kameradschaft sozialrevolutionärer Nationalisten“ gegründet, aus der dann die Zelle der NSDAP/AO wurde.

Wer schulte wen in Ihren Gruppen?

Das kam darauf an: Es gab Kaderschulungen, das waren maximal zehn ausgewählte Leute. Es gab auch allgemeine Schulungen, an denen auch 18jährige teilnahmen, die eigentlich mehr dem Umfeld zuzurechenen waren. Es war so aufgeteilt, daß jede Woche eine Schulung stattfand. Es gab einen Kameradschaftsführer, der sagte: du machst nächste Woche Schulung und du übernächste. Festgelegt wurde auch, wer welches Thema bearbeitet. Angefangen mit den „Zündel-Prozessen“ in Kanada wegen dessen „Sechs-Millionen-Lüge“, das „Führer-Prinzip“, also Sachen, die für einen Kader wichtig sind.

„Mein Kampf“ von Adolf Hitler auch?

Adolf Hitler war nicht so sehr das Idol der meisten DDR-Leute.

Woher kamen die einzelnen in der Zelle?

Die meisten waren Leute, die wir aus der Weitlingstraße in Berlin kannten und von denen wir wußten, daß sie zuverlässig sind. Wenn einer dazugekam, mußte sich einer aus der Gruppe für ihn verbürgen. Am Schluß waren wir um die zwanzig Mann.

Hatten die anderen eine ähnliche Geschichte wie Sie, kamen sie auch aus der DDR, aus anderen Parteien und Organisationen wie NPD, DVU, Republikaner?

Sie kamen alle aus Ost-Berlin. Den einzigen West-Berliner haben wir bald abgekanzelt.

Schulung ist das eine, Wehr- und Kampfsport das andere. Wieweit ging Ihre Gruppe?

Wehrsport gab es im Sommer, wo wir jedes zweite Wochenende ins Wehrsportlager gefahren sind. Richtung Rügen und so weiter.

Wer hat das organisiert?

Wir haben Leute genommen, die eine gewisse Vorerfahrung hatten, die bei der Bundeswehr oder der NVA waren. Am Schluß haben wir mit einer Greifswalder Gruppe zusammengearbeitet, von denen viele in der Bundeswehr waren.

Ihrer Organisation wurde auch Geld aus sogenannten mittelständischen Kreisen zugesteckt? Ärzte, Rechtsanwälte, alte Nazis?

Teils auch, größtenteils aber anonym. Auf Veranstaltungen haben sie sich unsere Kontonummer geben lassen.

Welche Rolle spielten die führenden der Köpfe der neonazistischen Szene, etwa FAP-Chef Friedhelm Busse, Christian Worch oder Arnulf Pfriem?

Im großen und ganzen haben wir mit deren Planungen nicht viel zu tun gehabt, außer bei größeren Veranstaltungen. Sie müssen sich unsere Kameradschaft als autonome Gruppe in der rechten Szenen vorstellen.

Was heißt hier „autonom“?

Eigenständig, unabhängig von anderen Leuten. Wir hatten keinen Bock mehr, uns von anderen Leuten reinreden zu lassen. Wir hatten ja anderthalb Jahre mit Michael Kühnen hinter uns.

Gab es auch Sprengstoff?

Für Sprengmittel gab es bei uns eine Ausbildung, aber nur nach Büchern. Sprengstoff selbst hatten wir nicht. Es gab auch Ausbildungen an Maschinenpistolen.

Hatten Sie daran gedacht, dieses Wissen auch einzusetzen?

Es lief darauf hinaus, das für den Tag X oder den Putsch zu lernen. Das ging soweit, daß es Strukturen gibt, die sich eindeutig ins terroristische Lager entwickeln können.

Andere Gruppen haben unter anderem im Fernsehen angekündigt, ihre selbstgebauten Sprengkörper in Flüchtlingsheime werfen zu wollen.

Solche Überlegungen gab es von Anfang an. Sie wurden aber nicht ausgeführt.

Was uns immer noch nicht klar ist: Was zeichnet 1993 einen überzeugten Nationalsozialisten aus?

Zum Beispiel der Gehorsam, das Akzeptieren von Befehlen innerhalb der Gruppe, die Treue zum Kameradschaftsführer und eine gewisse politische Weltanschauung, die sich in der Tradition der SA versteht.

Ist in Ihrer Kameradschaft etwa über die Rassentheorie oder die Bodenerwerbstheorie der Nazis diskutiert worden?

Das gab es, als Michael Kühnen noch gelebt hat. Es gab dann aber einen Zeitpunkt, wo wir im Berliner Raum keine Leute mehr hatten, die über dieses Wissen verfügten. Richtig kompaktes Wissen hatten die wenigsten. Wir hatten auch Kontakt zu einer Burschenschaft, der Arminia in Marburg. Von dort kam das Angebot, daß sie für uns für die Sachen, für die man studieren muß, Schulungen durchführen könnten.

Die Burschenschafter wußten, mit wem sie es zu tun hatten?

Mit Sicherheit wußten die das. Die Angebote standen, aber der Kontakt hat sich dann verlaufen.

Wie sind in Ihrer Gruppe die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda oder in Rostock diskutiert worden?

Hoyerswerda ist eine Signaltat gewesen. Für viele war das ein Aufschwung. Sie freuten sich, daß wieder Dampf in die rechte Szene kam. Die dort Festgenommenen waren Leute, die im Gegensatz zu uns etwas gemacht haben. Das waren fast schon Märtyrer. Ich kenne aber keinen aus der Gruppe, der in Hoyerswerda dabei war.

Und Rostock?

Wir waren nur am letzten Tag dort, um zu sehen, was von der Berichtserstattung stimmt oder nicht. Da war eigentlich schon alles vorbei. Auch Rostock wurde als eine symbolische Tat angesehen.

Selber haben Sie demnach keine „symbolischen“ Taten verübt?

Zumindest nicht gegen Ausländerwohnheime. Wir haben nur das berühmte Katz-und-Maus-Spiel mit der Antifa und den Autonomen gemacht, das hat uns völlig gereicht. Sicherlich gab es Diskussionen, daß so etwas wie Rostock gemacht werden müßte. Es haperte aber wie bei vielen Sachen an der Ausführung. Und wir waren eben keine Reisekader, die schnell überall sein konnten.

Das klingt alles ziemlich harmlos. In Hoyerswerda nicht dabei, in Rostock nicht dabei, eine bißchen Katz-und-Maus-Spiel mit den Autonomen...

... an Ausschreitungen gegen Ausländer waren wir nun einmal nicht dabei, in Berlin fanden nun einmal keine statt. In der rechten Szene hat uns auch keiner darum beneidet, in Berlin zu leben. Berlin ist schon immer als rotes, als heißes Pflaster angesehen worden.

In den Auseinandersetzungen mit Autonomen hat es aber auch Verletzte gegeben. Das war wohl vergleichsweise in Ordnung?

Schwerverletzte hat es auf beiden Seite genug gegeben. Wir wurden angegriffen, weil wir als der politische Feind angesehen wurden. Wir haben das andersherum genauso gesehen.

Und die Reaktionen in Ihrer Gruppe nach Mölln?

Für mich war Mölln ein Knackpunkt. In der Szene ist das aber begrüßt worden. Als ich gesagt habe, ich habe keinen Bock darauf, daß der Tod von Frauen und Kindern in Kauf genommen wird, haben die meisten gesagt, das sind wenigstens Leute, die mal was unternehmen, während wir bloß quatschen. Zu dem Zeitpunkt gab es auch in der rechten Szene Diskussionen, was rechter Terrorismus sein könnte. Da waren Leute dafür, Ausländerheime anzugreifen.

Gibt es denn einzelne, die willens und in der Lage sind, rechten Terrorismus zu verüben?

Es gibt einige, die das drauf hätten. In meiner Kameradschaft gab fünf bis sechs Personen, die dafür fit genug waren. In Greifswald gab es auch ein paar Leute. Von ungefähr 15 Personen weiß ich, daß sie dazu in der Lage wären.

Dazu bräuchte man auch die nötige Logistik.

1990 war ein Jahr, in dem Waffen und Sprengstoff leicht zu bekommen waren. Da hat der eine oder andere schon etwas gebunkert.

Nach den Morden in Mölln gab es in der breiten Bevölkerung ein großes Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit. Ist das in Ihrem Umfeld wahrgenommen worden?

Man hat sich lustig gemacht über die Lichterketten. Geschluckt haben die Leute erst, als Parteiverbote folgten. Wir haben überlegt, ob wir auch dran sind. Eine Reaktion auf die Bevölkerung gab es so nicht. Es ist immer gesagt worden, soundsoviele waren bei den Lichterketten ja gar nicht dabei. Wie man die Tatsache der Judenermordung negiert hat, so hat man auch die Reaktion in der Bevölkerung negiert.

Wo kommen die Leute aus Ihrer Berliner Gruppe denn her, aus welchen Milieus?

Teilweise waren die Eltern hohe Tiere bei der Stasi, teilweise aber auch ganz normale Arbeiterkinder. Für viele war es die Knasterfahrung, die prägte. Und die meisten waren dann ja auch von der sofortigen Wiedervereinigung gar nicht so begeistert. Die NA sagte damals auch, daß die Wiedervereinigung nicht vor fünf, sechs Jahren erfolgen sollte, einige Werte, unsere Ideale von der DDR wollten wir mit rübernehmen.

Wie sind Sie zum ersten Mal mit dem Staat kollidiert?

1987, auf einem deutsch-sowjetischen Freundschaftsfest habe ich „Die Mauer muß weg“ gerufen. Das war mein Einstand.

Wie war das nun mit Mölln? Sie sagten, danach wollten Sie aus der Szene raus?

Mittlerweile bin ich offiziell seit Februar raus. Danach bin ich mit alten Freunden weggefahren, Punks, für die Freundschaft wichtiger war als politische Meinungsverschiedenheiten. Zu der Zeit überlegte ich, wie ich mein Abwenden auch für die anderen glaubwürdig machen könnte und dachte, es muß öffentlich gemacht werden.

Sie sagten, es habe gedauert. Wie sieht ein solcher Ablösungsprozeß aus?

Ich bin über das ganze Jahr 1992 noch mit den ganzen Leuten konfrontiert worden, Otto Ries, Reisz, Worch. Es war mir irgendwann zuwider, was Ries und der Reisz von sich gaben. Diese Sprüche. Ich bekam auch raus, daß der Ries nicht einmal ein Ritterkreuzträger ist, wie er immer erzählte. Ich habe mich immer mehr abgekapselt und Abstand gewonnen.

Wie hat Ihre Gruppe auf Ihr Aussteigen reagiert?

Ich hatte es mehrmals angekündigt, aber keiner hat es ernst genommen. Ich sagte nur nicht, daß ich meinen Ausstieg öffentlich machen würde. Daß die nicht begeistert sein würden, wußte ich schon. Ich konnte mir ganz gut vorstellen was passieren würde, wenn ich mich öffentlich von den Leuten distanzieren würde. Die letzten drei Wochen tyrannisieren sie meine Mutter, meine Schwester wurde verprügelt.

Hatten Sie von Anfang an vor, Ihren Ausstieg öffentlich zu dokumentieren?

Ich wußte einfach, daß ich einen Bruch brauchte. Das ist wie eine Droge, du kannst nicht einfach so rausgehen. Du mußt praktisch deinen gesamten Freundeskreis fallenlassen.

Würden Sie mittlerweile allen empfehlen, die in solchen Gruppen sind, schnell auszusteigen?

Als normales Gruppenmitglied ist das sowieso kein Problem. Wenn du aber in der Hierarchie hochgestiegen bist, wird es problematisch. Bevor es soweit kommt, würde ich jedem raten, genau zu überlegen, was er macht.

Zurück zu Ihnen. Was wird die nächste Zeit bringen? Familie, Rückzug ins Private?.

Vielleicht auch das. Aber auf keinen Fall zurück in eine neue politische Gruppierung. Alles ist noch offen.

Das Gespräch führten Wolfgang Gast und Andrea Seibel