Frischer Muff

■ Wiener Biedermeier in einer kaiserlichen Residenz

Biedermeier gilt als philiströs, kleinbürgerlich und spießig; wie recht hatte Jean Paul mit seiner Definition der Idylle als „Volksglück in der Beschränkung“. In Wien wirkte sich der Neofeudalismus Metternichs bemerkenswert aus: kontrastierte doch die im Wiener Kongreß (1814/15) betriebene Weltpolitik mit jener von Jean Paul benannten bürgerlich-beschränkten Kultur. Ein Vorläufer von Helmut Qualtinger, Georg Kreisler und Thomas Bernhard erfand im Revolutionsjahr 1848 die Verkörperungen des Spießers der Restaurationszeit, die Herren Biedermann und Bummelmaier. Die Kunstrichtung, die – durch Zusammenziehung – nach diesen ehrenwerten Herren benannt ist, ist stigmatisiert; nur in ausgesuchten Einzelwerken findet sie den Weg an die Wände der Kunstmuseen.

Aber Überraschungen gibt es stets dort, wo sie am wenigsten erwartet werden. Im Wiener Kunstforum besteht die Gelegenheit zur Revision der durch Kunstlexika verbreiteten Vorurteile. Sechzehn Maler werden vorgestellt, ein schlichtes monographisches Konzept also. So einfach die Ausstellung aufgebaut ist, so sehr verdeutlicht sie die Unterschiede der Werke und differenziert das Bild der Kultur der Restaurationszeit.

Gewiß – politische Revolutionen finden in den Bildern nicht statt. Im Gegenteil, die Politik wird noch aus dem Blickwinkel bürgerlicher Beschränktheit repräsentiert. Zwei Episoden aus dem Leben des Kaisers Franz I. sind dafür typisch: In der Ölskizze zum monumentalen „Einzug des Kaisers in Wien 1814“ (1828) legt Johann Peter Krafft auf die Darstellung der Bevölkerung ein solches Gewicht, daß der Monarch seine Dominanz beinahe einbüßt. Aufgrund des Verhältnisses von Herrscher und Menschenmenge ist sogar eine latent demokratische Bildaussage spürbar. Dem Selbstbild Franz I. entsprach ein späteres Gemälde Kraffts wohl eher: Um 1834 entstand „Kaiser Franz I. begleitet den Sarg eines Armen“; das Gemälde zeigt den Herrscher als demütigen Vater seines Volks, das allerdings im Bild ausgespart ist.

Zahlreicher sind die Werke mit sozialkritischen Themen – hier ein Soldatenabschied, da ein Invalide. Darstellungen der Armut halten die Waage zwischen dem pittoresken Voyeurismus in der Tradition der „Kaufrufe“ und wirkungsästhetischer Rührung. Peter Fendi avancierte zu einem der beliebtesten Genremaler in Wien, dessen Gemälde auch dem Kaiserhaus gefielen. Er wußte, was seine Kundschaft für angemessen hielt, und schuf doch Bilder, die an die Sozialkritik der Düsseldorfer Malerschule heranreicht.

Fendis ×uvre repräsentiert die Vielfalt der „biedermeierlichen“ Tendenzen. Sie beginnt mit Rührstücken wie dem Bildnis eines Mädchens, das seinem verlorenen Lotterieeinsatz nachtrauert. Aufgesetzter Glanz verwässert ihren Blick, erinnernd an den „himmelnden“ Augenaufschlag der Heiligen Guido Renis. Wie andere Maler auch, arbeitete Fendi mit Versatzstücken. Den blondgelockten Wonneproppen im rosa Kleid verarbeitete er ebenso mehrfach wie das Motiv der verzweifelten Mutter, die ihren gesenkten Kopf in den Händen verbirgt. Daneben stehen modern anmutende Bilder, etwa ein aquarelliertes Nachtstück, das eine Dachstube im Mondlicht geometrisch zerlegt. Auf malerische Glätte und hyperrealistischen Detailreichtum verzichtend, nimmt sein Gemälde „Die Lauscherin“ Merkmale impressionistischer Malerei vorweg.

Eine Stärke der Ausstellung ist die Konfrontation der Gegensätze. Mit kurzen Begleittexten wird das Publikum angeleitet, hinter die Fassaden der anekdotischen Genreszenen zu schauen. So wird vermieden, einen nostalgischen Kunstgeschmack zu restaurieren. Die konzentrierte ästhetische Argumentation zeigt, daß der biedermeierliche Horizont die geläufige idyllische Beschränkung hinter sich gelassen hat. Christoph Danelzik

Die Ausstellung „Wiener Biedermeier. Malerei zwischen Wiener Kongreß und Revolution“ ist bis 27.Juni im Wiener Kunstforum zu sehen. Der Katalog kostet 420 ÖS.